2. Kapitel

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Direkt nach ihrem Besuch bei der Seherin hatte sich Novaya zurück in den Palast teleportiert. Sie musste ihrem Lord unverzüglich die neuen Informationen berichten. So nah waren sie noch nie dem Aufenthaltsort des Rebellenanführers gekommen. Denn eins musste man ihm lassen. Er war gut. Er verstand sein Handwerk, seine Zauber waren für jemanden seines Standes - der nie in den Genuss von richtigen Lehrstunden gekommen war - erstaunlich wirkungsvoll. Aber definitiv ausbaufähig. Er würde wohl trotz seiner offensichtlichen Begabung nie den Standart einer voll ausgebildeten Celar erreichen. Die Celar hatten vor dem Umsturz nach den Ascan Elidrija den zweithöchsten Ruf genossen. Sie verfügten über das mächtige Element des Geistes und waren zumeist Gelehrte und lebten am Hof. Der Anführer des Widerstands war jedoch nur ein apsinkh - Abschaum. Ein Mischling.
Ein Vermischen der Kasten war zwar streng verboten, trotzdem kam es hin und wieder zu einem Mischlingskind. Diese wurden meist direkt nach der Geburt von den Ascan Elidrija gefunden und getötet. Je nach dem, was für eine Mischung es war, konnte nämlich ein verdammt mächtiges Kind daraus resultieren. Und die Ascan Elidrija bevorzugten es, wie jede anderen Herrscher auch, in ihrer Macht und Position unangefochten zu bleiben. Das Resultat daraus war, das diese Gefahr sofort elimiert wurde.
Es war also ein regelrechtes Wunder, das Lean Lashinta noch lebte. Er hatte entweder verdammt großes Glück gehabt dem Radar der Ascan Elidrija zu entgehen, oder, was sie für viel wahrscheinlicher hielt, seine Eltern, ebenfalls bekannte Widerstandskämpfer, wussten sich einfach zu helfen. Nicht verwunderlich war, das er sich dem Widerstand angeschlossen und zum Anführer ernannt worden war. Er soll nicht nur angeblich ziemlich stark sein, sondern auch die nötigen Eigenschaften besitzen. Seine Loyalität gegenüber seinen Leuten soll unfassbar sein und das brennende Feuer seiner Leidenschaft jeden immer wieder neu motivieren. Nicht zu vergessen, das er unheimlich gut aussehen soll.
Novaya musste zugeben, wirklich gespannt auf das Aufeinandertreffen mit ihm zu sein.
,,Novaya.'', hallte die dunkle Stimme ihres Lords durch den gewaltigen Thronsaal. So wie Nevar da auf dem Thron saß, erinnerte er sie tatsächlich ein wenig an die Kaiserin. Bis auf die Schatten und Dunkelheit, die nun überall im Palast zu finden waren, waren die Grundgemäuer und Einrichtungen gleich geblieben und weckten in ihr immer wieder kostbare Erinnerungen an längst vergangenen Zeiten, wenn auch nicht alle immer schön waren.
Novaya fiel vor dem Thron auf ein Knie und senkte den Kopf. ,,Mein Lord. Ich habe Neuigkeiten.''
,,Sprich.'', forderte er sie auf. Wie eigentlich immer klang er völlig emotionslos. Novaya hatte sich tatsächlich schon das ein oder andere Mal gefragt, ob er überhaupt ein Herz besaß. Seine Taten sprachen jedenfalls nicht dafür.
,,Die Seherin war sehr nützlich. Der Rebellenführer versteckt sich anscheinend zur Zeit auf der Erde.'', teilte sie ihm mit. Nevar machte keinen Hehl aus seiner Verachtung. ,,Bei den Menschen?!'' Das letzte Wort spuckte er förmlich mit vor Abfälligkeit triefender Stimme aus.
,,Ja. In Los Angeles.''
Vom Lord kam daraufhin erstmal nichts. Als sie aufsah, erkannte sie auch wieso. Ein schmales, grausames Lächeln hatte sich auf seine scharfkantigen Gesichtszüge gelegt. Seine Augen jedoch blickten ausdruckslos auf sie herab. ,,Gut, ich habe einen neuen Auftrag für dich. Bring ihn mir.''
Novaya hob den Kopf. ,,Ich soll ihn her bringen? Lebend? Nicht töten?''
Lord Nevar strich mit den Fingern über die glatten, schwarz glänzenden Lehnen seines Throns. ,,Ich weiß, dass es dir schwerfallen wird. Aber ja. Ich will ihn lebend, am besten noch möglichst unversehrt, im Verlies des Palastes wiederfinden, damit ich ihn mir dann richtig vornehmen kann. Wir werden ein Exempel an ihm statuieren, für all die anderen schiaden. Ich werde sein sahaan aus ihm heraus foltern und ihn dann an die Palastmauern hängen lassen, damit jeder sieht, was mit schiaden passiert.''
Novaya musste sich anstrengen, um keine der in ihr brodelnden Emotionen als Reaktion auf seine grausamen Worte zu zeigen. Es gelang ihr. Ungerührt, als ginge sie das alles nichts an, nickte sie folgsam. Sie hoffte schwer, dass er ihr den Widerwillen in dieser einfachen Bewegung nicht ansehen konnte. ,,Wie Ihr befehlt, mein Lord. Ich werde Euch den apsinkh bringen, lebend.''
Jeder wusste, was mit schiaden - Verrätern - geschah, wenn sie erwischt wurden. Novaya selbst hatte schon ein paar Mal dabei zusehen müssen, wie die Ascan Elidrija die Gefangenen folterten, um mehr Informationen über den Widerstand zu bekommen, der schon während ihrer Herrschaft gewachsen war. Doch die Anzahl ihrer damaligen Anhänger ließ sich nicht mit der heutigen vergleichen. Nach dem brutalen Umsturz und Herrschaftsübernahme des Lords hatten die Rebellen viele neue Mitglieder gewonnen. Kein Wunder, schließlich baute die Herrschaft des Lords nur auf Angst, Gewalt und dunkler Macht auf. Die Ascan Elidrija waren zwar ebenfalls immer sehr gefürchtet gewesen, jedoch nur die Hüter und Vollzieher der strengen Gesetze von Ascandrija gewesen. Ihre oberste Priorität war Ascandrija. Sie sorgten für Schutz und Ordnung.
Novaya war sich sicher, dass viele, die damals die Ascan Elidrija gehasst hatten, sie sich nun zurück wünschten. Denn ihre Kaste war vermutlich die einzige gewesen, die es mit dem Lord hätte aufnehmen können. Auch hatte das Land an sich nie unter ihnen gelitten. Anders als beim Lord. Doch Nevar hatte sie vollkommen unvorbereitet getroffen, mit fremder Magie und sie alle niedergemetzelt. Die Ascan Elidrija waren gefallen und erst jetzt merkten die anderen Drijanen, was sie eigentlich geleistet hatten. Denn ohne ihren Schutz und ihr gnadenloses Bestreben die Ordnung aufrechtzuerhalten, wäre Ascandrija schon viel früher übernommen und zerstört worden. Aber dafür war es jetzt zu spät. Nun herrschte Krieg. Die Truppen des Lords gegen den Widerstand.
Und Novaya war mittendrin, führte seine Truppen an.
Sie erhob sich, in der Erwartung, nun gehen zu dürfen, in ihren Augen war alles gesagt. Doch Nevar war noch nicht fertig mit ihr. ,,Novaya'', hielt er sie zurück, seine Stimme ließ nichts vermuten. Sie blieb stehen. ,,Komm heute Abend in meine Gemächer.''
Einen Moment war Novaya wie erstarrt. Fest biss sie die Zähne zusammen, ihr sahaan brodelte wild kochend in ihr auf, wie die Lava eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch. Nur schwer gelang es ihr den Drang, es zu entladen - vorzugsweise an Nevar -, zu unterdrücken. Sie zwang sich zu einem Nicken, bevor sie ohne zurückzublicken mit gerader Haltung den Saal verließ. Zeig ihnen nie, was du fühlst, klang die ausdruckslose Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf wieder. Ein guter Rat, wie sie früh gelernt hatte.
Sein Blick brannte sich in ihren Rücken, bis Novaya außer Sichtweite war. Sie musste schwer an sich halten, um nicht erleichtert aufzuseufzen, als sie der finsteren, erdrückenden Aura des Lords entkommen war. Seine Nähe bereitete nicht nur ihr Unbehagen, das wusste sie. Alle anderen, abgesehen von seinen Schattenkreaturen, mieden ihn instinktiv ebenfalls und wollten ihm automatisch ausweichen. So eine Wirkung hatte schwarze Magie nun mal einfach auf die von reinem sahaan durchflossenen Geschöpfe. Novaya hatte sich mittlerweile recht gut an seine beängstigende Aura gewöhnt, wobei ihr ihre mächtige Abstammung als Ascan Elidrija dabei wohl ebenfalls sehr geholfen und einen Vorteil verschafft hatte. Sie hatte von Anfang an weniger Probleme gehabt, in seiner Nähe keine Angstzustände oder Schwächeanfälle zu erleiden. Trotz dessen fühlte auch sie sich alles andere als wohl in seiner Gegenwart. Ihr Instinkt befahl ihr zwar meistens nicht zurückzuweichen und sich so weit wie möglich von ihm entfernt zu verkriechen, dafür aber ihn zu bekämpfen, um Ascandrija von seiner vergifteten Aura zu befreien. Nur war ihr eben das nicht möglich. Und das nagte an ihr, wie an einer Katze, der die Maus immer und immer wieder entwischte.
Novaya hatte ihre Kindheit damit verbracht zu trainieren, wie man gegen andere Drijanen und die Monster kämpfte, die in den Schatten von Ascandrija lauerten. Nichts und niemand hätte Novaya auf die schwarze Magie, auf diese Art der Versklavung und auf Nevar generell vorbereiten können. Ihr war beigebracht worden, wie man bis zum Tod kämpfte, und nicht, wie man sich geschlagen gab. Das war nicht ehrenhaft. Und Ehre war bei den Ascan Elidrija großgeschrieben. Zumindest war es das mal. Mit dem hinterhältigen Angriff des Lords, hatte sich ihre Meinung diesbezüglich ein wenig geändert. Nur zu gut erinnerte sie sich noch an diesen einen verhängnisvollen Tag. Nein, Nevar hatte nicht im mindesten ehrenhaft angegriffen. Er hatte ihnen teilweise nicht mal die Chance gegeben sich um zudrehen, sondern ihnen in den Rücken geschossen. Er nannte es Taktik, sie nannte es feige. Trotzdem änderte es nichts an dem Ergebnis, das Nevar gewonnen hatte.
Ihre Schritte hallten leicht in den breiten, dunklen Gängen wieder. Obwohl es helllichter Tag war, fiel nur spärlich Licht durch die großen Fenster. Insgesamt herrschte im gesamten Palast eine düstere Atmosphäre. Genau, wie es Nevar gefiel. Er liebte die Dunkelheit, ihre tückischen Schatten und verabscheute dafür das Licht und seine hoffnungsspendenden Strahlen. In ihren Erinnerungen war der Palast immer lichtdurchflutet gewesen. Davon sah man heute kaum noch etwas.
Ihr begegnete auf dem Weg zu ihrem Zimmer niemand. Es überraschte sie nicht. Der Lord hatte das Personal des Palastes stark dezimiert. So viele verräterische Seelen bereiteten ihm Unbehagen, hatte er zur Erklärung nur gesagt, während er den Großteil von ihnen mit nur einer Handbewegung getötet hatte, als ginge es darum flioh - kleine Insekten - zu verscheuchen und nicht Leben ohne triftigen Grund zu beenden. Novaya hatte damals nur hilflos neben ihm stehen und zusehen können. Sich gegen ihn aufzulehnen hätte nichts gebracht, außer schmerzhafte Konsequenzen.
In ihrem Zimmer ließ sich Novaya direkt auf ihr Bett fallen. Ihr Blick glitt erschöpft über die alten, aber wertvollen Möbel. Selbst ihr privates Reich hatte die Dunkelheit nicht verschont. Wo früher durch die großen Fenster viel Licht den Raum erhellt hatte, war es nun eher schummrig. Novaya mochte die Finsternis nicht, doch sie war ihr ständiger Begleiter, ihr Schatten, der ihr überall hin folgte. Es gab kein Entkommen. Nevar erinnerte sie stets daran.
Die nächsten Stunden ruhte sie sich aus und bereitete sich mental auf Nevar vor. Ihr sahaan war längst nicht mehr so stark wie früher, der ständige direkte Umgang zur schwarzen Magie schwächte es, vergiftete es. Ihre Magie nährte sich von den Elementen. Wasser, Feuer, Erde und Luft. Das fünfte Element - Geist - bezog seine Kraft aus Emotionen. Lord Nevar hatte all diese Energiequellen erschwert. Seine eigene dunkle Magie verpestete alles; Luft und Erde hatte es am schwersten getroffen, doch auch Feuer und Wasser waren nicht mehr gänzlich frei. Auch hatte er den unkontrollierten Gebrauch von den Elementen verboten. Die Drijanen durften nicht mehr uneingeschränkt von ihren Kraftquellen zehren, sondern nur noch bestimmte Mengen, die gerade dafür sorgten, das man körperlich gesund blieb. So wollte Nevar sie zusätzlich schwächen. Emotionen zu tanken war noch schwieriger geworden, da kaum einer noch mit guten Emotionen übersprudelte, die Leute waren viel abgestumpfter und lustloser geworden. Ein Umstand, der ihr stark zusetzte. Als Ascan Elidrija hatte sie nie viel Gebrauch von dem Element des Geistes gemacht, ihre Art hatte Emotionen generell immer gemieden, wie als wäre es ein giftiges Insekt. Doch die anderen Elemente so verkümmern zu sehen, machte ihr zu schaffen, sowohl körperlich als auch geistig. Sie sehnte sich in die Zeit vor Nevar zurück, wo Ascandrija noch in voller Blüte stand, wohl behütet von den Streitmächten der Ascan Elidrija. Novaya vermisste es auf ihrem Slyther Patrouillenflüge über Ascandrija zu unternehmen. Slyder war immer ihr treuer Begleiter gewesen, ihr Gefährte, ihr wohl einziger und bester Freund. Es schmerzte sie, nicht zu wissen, ob er sich in die endlosen Höhen der Hiov-Berge hatte retten können, oder wie viele andere Slyther ihren Gebieterinnen in den Tod gefolgt war.
In Novayas letzter Erinnerung waren sie auf Patroullie an den Grenzen gewesen.

 Novaya - Ascandrijas WiderstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt