6. Kapitel

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,,Lean Lashinta'', hauchte eine Scharidan atemlos in die eingetretene Stille. Die Mundwinkel des jungen Mannes, der neben Caja getreten war, zuckten leicht. Offensichtlich amüsierte ihn die Reaktion, die er auf alle Anwesenden, besonders das weibliche Geschlecht, hatte.
Dunkelbraune, verwuschelte Haare, zwischen denen immer mal wieder eine rote Strähne hervorlugte, fielen ihm vorwitzig in die Stirn. Seine Haut hatte die Farbe von flüssigem Karamell und Kaffee, während seine Augen ein stechendes Blau waren, wie arktisches Eis. Der Ton stimmte fast mit ihren eigenen Augen überein, nur das seine echt waren und ihre nicht. Sein Gesicht war....wirklich anbetungswürdig, genauso wie sein durchtrainierter Körper, der in der schwarzen Widerstandsuniform ausgesprochen gut zur Geltung kam. Die Gesichtszüge waren fein geschnitten und gleichzeitig markant, die faszinierenden Augen stachen förmlich heraus. Sein Mund lud einfach nur zum Küssen ein und als er ihn ein wenig nach oben verzog, blitzten strahlend weiße Zähne auf. Ähnlich wie Caja trug er sein Tattoo offensichtlich, ein deutliches Zeichen an alle. Nur das es bei ihm am Hals und nicht auf der Wange war. Das Tattoo ließ ihn - wenn möglich - nur noch heißer aussehen.
Novaya war fast schon entsetzt, dass ein apsinkh, ein verdammter Mischling so gut aussehen konnte. Tatsächlich stand Lean Nevar in nichts an Schönheit nach, auch wenn beide gänzlich unterschiedliche Typen waren. Während Nevar eine düstere Austrahlung hatte und sich durch eiskalte Berechnung und gleichzeitige Unberechenbarkeit auszeichnete, verströmte Lean eine anziehende Wildheit und ungezügelte Leidenschaft.
Sie konnte tatsächlich nachvollziehen, warum so viele Drijanen, weibliche als auch männliche, für den jungen Anführer schwärmten. Diese Erkenntnis schockte sie und führte dazu, dass sie wieder einen klaren Kopf bekam und nicht mehr durch sein attraktives Aussehen abgelenkt wurde. Denn das war gar nicht gut.
Es gelang ihr, sich wieder auf das wesentliche zu fokussieren: Ihr Zielobjekt stand nun nur noch ein paar Meter von ihr entfernt und war tatsächlich von alleine zu ihr gekommen.
Der Besuch im Lamurr hatte sich mehr als gelohnt. Jetzt musste Novaya es nur noch richtig anstellen.
Schnell hob sie ihr Glas wieder vors Gesicht und glitt noch weiter zurück in den Schatten ihrer Ecke, als Lean seinen stechenden Blick ebenfalls durch den Club schweifen ließ und dabei die Gäste musterte.
Die Stimmung im Raum war erneut umgeschlagen. Oder hatte sich eher verstärkt. Es war das erste Mal, dass sich der junge Rebellenführer auf die Erde gewagt hatte und so die Rebellion auch in diese Welt trug. Und die Exilgemeinde der Drijanen war sich offensichtlich noch unsicher, was sie davon halten sollte.
Neben Lean und Caja tauchte nun noch ein Scharidan auf. Er trug ebenfalls das Zeichen der Rebellen. Er sagte etwas zu Lean und dieser nickte.
Die Musik verstummte, ob es daran lag, dass die Sängerin vor Schock und Überraschung keinen Ton mehr herausbrachte, oder weil sie erkannt hatte, dass es besser war Stille für Lean und seine beiden Rebellen zu gewährleisten.
Der Scharidan neben Lean klatschte in die Hände, ein paar Drijanen zuckten bei diesem lauten Geräusch zusammen als wären sie gerade aus einer Trance gerissen worden. Er lächelte zufrieden, offensichtlich hatte er sein Ziel erreicht, die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zu lenken.
Novaya atmete leise auf - bis jetzt lief noch alles gut. Sie war noch nicht aufgefallen. Ein überraschender Angriff aus dem Hinterhalt wäre dann nämlich nicht mehr möglich gewesen.
,,Drijanen!'', sagte der Scharidan und deutete auf Lean. ,,Uns wurde die große Ehre zuteil, den tapferen Anführer unseres Widerstands, unserer Rebellion zu präsentieren, mavoi Lean Lashinta!''
Sie unterdrückte ein abfälliges Schnauben. Mavoi - in Scada gleichbedeutend mit dem Wort Bruder in der Menschensprache. Novaya fand das unerträglich - der Irrglaube, das sie alle eine große Familie wäre. Wie lange dieses Denken wohl noch anhalten würde? Novaya kannte die Antwort - spätestens, wenn Nevar oder Lean tot waren, würde diese lächerliche Vorstellung zerbrechen.
Da waren sie den Menschen gar nicht so unähnlich. Nur das die Menschen sich nicht unter Kasten anfeindeten, sondern unter Ländern und Nationen. Und statt Augen-, Blut- und Rauchfarben waren es bei ihnen Hautfarben.
Eine weitere Erkenntnis, die Novaya alles andere gefiel. Das Letzte, was sie jetzt noch wollte, war Ähnlichkeiten zwischen sich und dem schwachen Geschlecht der Menschen zu finden.
Nach einem kurzen Moment der gespannten Stille, fingen die Gäste an durcheinander zu rufen und zu applaudieren. Lean zeigte ein kurzes Lächeln, sonst blieb sein Gesicht weitestgehend emotionslos, und verbeugte sich nur knapp mit einer Hand auf dem Herzen.
Eine Lupin in ihrer Nähe rang nach Luft. Belustigt stellte Novaya fest, dass diese heftige Reaktion nur durch diese kleine Bewegung von Lean verursacht wurde. Ob es wohl schon Tote gegeben hatte, nur wegen dem Anblick Leans? Da erschien ihr das Sprichwort der Menschen, das sie unterwegs aufgeschnappt hatte, manche bräuchten einen Waffenschein für ihr Aussehen, wirklich passend.
Novaya schmunzelte über ihre eigenen Gedanken, es fiel ihr jedoch sofort wieder aus dem Gesicht. Das war nicht gut.
,,Uns ist bewusst, das ihr sicherlich alle viele Fragen habt, nur lasst mich eins klarstellen: Wir wollen keinen Ärger machen oder über Politik reden, sondern nur ein wenig entspannen. Dennoch werden wir jeden, der sich uns anschließen möchte, mit offenen Armen empfangen.'' Der Scharidan zwinkerte einer hübschen Marix neben ihm zu, die jedoch gerade dabei war, Lean mit ihren Blicken förmlich auszuziehen. Und da war sie nicht die einzige - weibliche wie männliche Drijanen taten es ihr gleich und schienen ihre Augen kaum von dem jungen Rebellenführer nehmen zu können.
,,Ich würde mich freiwillig melden'', murmelte die Lupin, die gerade noch unter Atemnot gelitten hatte, und starrte dabei unablässig Lean an.
Es überraschte Novaya tatsächlich ein wenig, als Lean ohne auf die eindeutigen Blicke zu reagieren, direkt auf die Bar zu steuerte und sich lässig auf einem der Hocker niederließ. Der Marix-Barkeeper war sofort bei ihm und nahm seine Bestellung auf. Während Caja Lean wie ein Schatten folgte, jedoch nach ein paar gewechselten Worten mit Lean sich von ihm entfernte, setzte der Scharidan sich sofort von der kleinen Gruppe ab und zu ein paar tuschelnden Ladys, die ihn kichernd und mit verführerischen Blicken willkommen hießen.
Langsam wandten auch die anderen Gäste wieder ihre Aufmerksamkeit ab und die samtene, rauchige Stimme der Sängerin erklang wieder. Sie schien sich noch mehr Mühe mit ihrem Gesang zu geben, legte noch einen verführerischen Touch hinzu und versuchte so anscheinend die heiß umworbene Aufmerksamkeit Leans auf sich zu ziehen. Dieser beachtete sie jedoch genauso wenig, wie die anderen Drijanen, die teils offensiv teils weniger offensiv versuchten das selbe Ziel zu erreichen. 
Das hatte Novaya ehrlich gesagt nicht erwartet. Bei seinem Aussehen und Ruf hatte sie damit gerechnet, dass er viele Angebote bekam, aber auch damit, dass er sie annahm. Dem schien jedoch nicht so, zumindest im Moment. Vielleicht hatte er heute aus einem unerfindlichen Grund einfach keine Lust auf diese Art des Vergnügens, oder es kam einfach noch. Der Abend war schließlich noch jung.
Sie beobachtete ihn weiter aus dem Schatten ihrer Ecke heraus. Lean hatte sich ein wenig näher an die Theke gelehnt, vermutlich um Fareth besser zu verstehen, der sich leicht über die Theke gebeugt hatte, während er ihm den Drink hinstellte und leise auf ihn einredete. Dabei glitt sein Blick suchend durch den Raum. Novaya konnte sich gut denken, wen Fareth gerade suchte und auch, was er Lean erzählte. Vorsicht war nunmal besser als Nachsicht. Ein Motto, das bei den Rebellen anscheinend ebenfalls groß geschrieben war.
Auch Leans Augen schweiften nun suchend durch den Club. Novaya konnte nicht ausmachen, ob ihn Fareths Worte nun  besorgt oder beunruhigt hatten, oder ob ihn die neue Information über eine unbekannte Marix, die ihn anscheinend suchte, mehr oder weniger gleichgültig ließ. Vielleicht hielt er sie ja einfach für eine verschmähte Liebhaberin? Nur, dass sie ihn hier auf der Erde dachte zu finden, müsste ihn irritieren. Aber vielleicht überschätzte sie auch einfach seine Intelligenz.
Novaya überlegte kurz, ob sie sich jetzt schon offenbaren sollte oder ob es nicht klüger wäre noch zu warten und später einen günstigen Moment abzupassen. Sie entschied sich für eine Mischung aus beidem.
Mit einem verheißungsvollen Schmunzeln trat sie aus dem Schatten heraus, in diesem Club gab es keine Angespanntheit, da musste sie sich anpassen und möglichst locker und verspielt wirken. Und Novaya hatte sowohl bei den Ascan Elidrija als auch bei Nevar gelernt, Rollen zu spielen. Es hätte ihr also nicht allzu schwer fallen dürfen, jedoch war die Rolle, die sie hier vorgeben musste, eine ganz andere als sonst. Aber in ihrem Leben war bisher auch noch nichts leicht und einfach gewesen, sie war es also fast schon gewohnt.
Eine Erinnerung drängte sich in ihr auf und lenkte sie unwillkürlich von der Gegenwart ab, als die Sängerin genau in dem Moment ein neues Lied anstimmte und die vertraute Melodie sie mitten ins Herz traf.

 Novaya - Ascandrijas WiderstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt