Kapitel 9

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Ich wusste ganz genau, dass der Garten uns einen schönen Picknickplatz bieten würde, doch mich interessierte es brennend, ob wir den Ort von unserem letzten Spaziergang wiederfinden würden.

Über meine Frage, was in seinem Rucksack sei, hatten wir angefangen ausführlich über jegliches Essen zu disskutieren. Er teilte meine Meinung Wirsing sei absolut ekelhaft, mochte jedoch keine Artischocken.
"Trinkst du Alkohol?", wollte er interessiert wissen und ich schüttelte den Kopf. "Ich auch fast gar nicht."
"Ich kann einfach nicht verstehen was die Leute alle daran finden sich zu betrinken.", erklärte ich und er lachte.
"Die Wenigsten haben die Absicht, aber man verliert ja bekanntlich schnell den Überblick."
So kamen wir vom einen zum Anderen Thema, von Partygeschichten schließlich zu Reisezielen.

Nur am Rande fiel mir auf, dass wir schon ungewöhnlich lange die Wege entlang spazierten. Wie auf Komando bogen wir im selben Augenblick um eine Kurve und standen wieder vor der wunderschönen Rotbuche.
Genau wie in meiner Erinnerung lag die kleine Wiese zwischen duftendem Flieder und Beeten voller leuchtender Blüten.
"Schau mal.", entfuhr es Michael neben mir ehrfürchtig. Ich folgte seinem Blick und was ich sah, verschlug mir den Atem.

Ein Stück hinter dem glatten Baumstamm öffnete sich eine Lücke zwischen einem Fliederbusch und einem üppigen Haselnussstrauch. Dahinter schien eine ganze Landschaft zu liegen.
Ein riesiges Tal erstreckte sich weit hinunter und offenbarte den Blick auf Wiesen, durchzogen von einem silber schimmernden Fluss und gespickt mit grauen, flachen Felsformationen. Die bewaldeten, gegenüberliegenden Hänge streckten sich in den blassblauen Himmel und die höher gelegenen Bäume strahlten in satten Rot- und Orangetönen, ganz so, als sei es bereits Herbst.
Über dem Szenario lag ein schimmernder Dunstschleier, der verhinderte, dass ich weitere Details erkannte.

"Wie ist das möglich?", hauchte ich und schaffte es meinen Blick einen Moment von dem Bild zu lösen, um Michael an zu sehen. "Du kennst den Garten besser als ich, aber...", setzte er an, verstummte aber schlagartig als er wieder in das Tal sehen wollte.
Dort wo der magisch wirkende Ausblick gelegen hatte, führte lediglich ein verschlungener Pfad in einen dunkler werdenden Teil des Gartens.

Ich lief einige Schritte den Weg hinunter, doch nichts deutete mehr auf das eben Geschehende hin.
"Vielleicht ist das ein Geheimnis, was du ohne mich entdecken solltest.", warf Micha von der Buche her ein. Etwas in seiner Miene spiegelte Enttäuschung und Schuld wieder und gab mir das Gefühl ihn trösten zu müssen.
"Aber du hast es doch auch gesehen, ich möchte mit dir zusammen rausfinden was das war."
Er lächelte schief und begann die Picknickdecke auszubreiten.

Aus seinem Rucksack zog er eine Dose mit zwei Sandwiches, dazu hatte er aufgeschnittene Birne, kleine Tomaten, Weintrauben, Brotchips und eine Tafel Schokolade. Ich ließ mich neben ihm auf die Decke sinken.
Gerade als er mir eines der Sandwiches geben wollte fiel ihm ein: "Ah, verdammt du bist Vegetarier. Sorry."
Schnell klappte er die Brothälften auseinander und sammelte das gebratene Hänchen herunter. Als er das Brot sorgfältig wieder zusammengesetzt hatte reichte er es mir grinsend.
"Danke.", lachte ich und inspizierte den Rest des Belages. Salat, Gurke, Tomate und Remuladensauce, sowie Ei.
"Was hälst du dann eigentlich von Fleischersatz?", wollte er wissen. Ich erzählte kurz, dass ich sowas noch nie probiert hatte und schnell waren wir wieder vertief in ein Gespräch.

Irgendwann kehrte friedlich Stille ein, bis er schließlich fragte: "Sag mal, ist Freya eigentlich deine Freundin?"
Ich musste lachen. "Wie kommst du darauf?"
"Naja, ich hab euch nicht oft zusammen gesehen, aber wenn dann seit ihr so selbstverständlich und vertraut miteinander umgegangen."
Ich schüttelte den Kopf und erklärte: "Nein, sie ist einfach meine beste Freundin, obwohl wir uns noch gar nicht so unglaublich lange kennen. Außerdem bin ich schwul."

Erst als ich diesen letzten Satz schon ausgesprochen hatte, kam in mir die unbehagliche Frage wie Micha das finden würde auf. Doch ich hatte sowieso noch nie wirklich eingesehen nicht ehrlich mit meiner Sexualität um zu gehen. Es war doch völlig egal wen ein Mensch liebte und wen nicht, das machte ihn werder besser noch schlechter. Genau so wenig wie es etwas besonderes war, es war einfach normal.

Micha schien nicht im geringsten überrascht und nickte. "Sei froh, dass du es hier so leicht hast. Im Büro können sich zwar alle damit abfinden aber von ein, zwei Kollegen kriege ich trotzden ab und an blöde Kommentare an den Kopf geworfen."
Ein glückliches Lächel schlich sich auf meine Lippen, da Micha genau so selbstverständlich mit dem Thema umging.
Unser Gespräch verselbststängte sich schon wieder und wir redeten angeregt über das Weltgeschehen.

Die Sonne war weiter über den Himmel gewandert und schien uns mit ihren angenehm warmen Strahlen nun ins Gesicht, während sie sich langsam richtung Horizont neigte. Michael hatte die Dosen zurück in seinen Rucksack geräumt und es sich bequem gemacht. Nur lag er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf der Decke und schaute in den Himmel.
"Weißt du was? Ich mache mit.", beschloss ich und legte mich neben ihn. Doch der Boden, der genau an der Stelle eine Vertiefung aufwies, so dass ich den Hals unangenem Strecken musste, machte mir einen Strich durch die Rechnung. Genervt setzte ich mich wieder auf.

Micha, der verstand was los war, grinste mich von der Seite her an. "Komm ich spiel Kopfkissen für dich Prinzessin."
Ich lachte und boxte ihn leicht gegen die Schulter, doch das Angebot schlug ich nicht aus und legte mich so hin, dass mein Kopf etwas unterhalb seiner Brust bequem liegen konnte.
Einvernehmlich genossen wir die Stille und die ruhige Umgebung und ich liebte es, dass wir uns auch ohne Worte verstanden.
Es war doch erstaunlich wie sehr ich Micha in mein Herz geschlossen hatte, obwohl ich ihn vor knapp einer Woche noch nicht ausstehen konnte.
Er hatte angefangen mit einer Hand durch die Spitzen meiner blonden Haare zu fahren und damit herumzuspielen. Obwohl mich einige der Strähnen kitzelten, genoss ich das Gefühl.

Vermutlich war das der Moment in dem etwas kleines, rosarotes und aufgeregt quietschendes tief in mir drin gewusst hatte, dass da keine freundschaflichen Gefühle waren, sondern viel mehr.

Garden || ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt