Kapitel 22:

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Noch am selben Abend gehe ich duschen, denn ich rieche wie ein verrotteter Fisch. Danach gehe ich schlafen. Es ist kein schönes Ende des Tages, aber ich bete, dass er sich morgen wieder beruhigt hat und ich wieder beruhigt ins Bett gehen kann. Aber wenn er immer noch wütend ist, muss ich ihn zur Rede stellen oder ich verfolge ihm in den Wald hinein, wenn es sein muss. Aber dann wird er vielleicht noch wütender und nicht sprechbar. Wie kann ich es ihm so erklären, dass er den Fehler erkennt und mich versteht?

Tage vergehen. Ich glaube fast eine Woche, aber ich bin mir sicher, dass es weniger ist. Bucky hat seit meinem Sturz kein ein Wort mehr mit mir geredet und er ist immer noch stinkwütend, dass ich mich umbringen wollte. Aber stattdessen froh zu sein, dass es nicht passiert ist, geht er mir aus dem Weg und verschwendet bestimmt Gedanken darüber, was er tun soll. Wenn ich morgens aufwache, ist er schon längst weg. Wenn er mittags wiederkommt, geht er mir aus dem Weg und hält keinen Augenkontakt. Und das ist das Schlimmste. Die ersten Tage habe ich versucht, mit ihm zu reden, aber er ignoriert mich, als wäre ich wirklich tot und er würde hier alleine leben. Also ließ ich es sein, weil es sowieso keinen Sinn mehr hat. 

Ich verkrieche mich die meiste Zeit in meinem Bett, esse kaum was und versuche mir etwas auszudenken, aber es ist schwerer, als ich gedacht habe. 

Und ein neuer Tag bricht heran. Als die Sonne mir übers Gesicht scheint, blendet sie mich stark, sodass ich von Mutter Natur gezwungen werde, aufzustehen. Das Seufzen von mir lässt mir sagen, dass ich keine Lust auf heute habe, und am liebsten im Bett liegen bleiben will. Aber dennoch ziehe ich mich um, schreite zum Flur nach unten und erblicke Bucky auf dem Sofa sitzen. Er schlürft seinen Tee, als wäre er schon kalt und bitter. Ich atme tief ein und wieder aus, um zu reden. Ich weiß zwar nicht, wie ich es angehen soll, aber jetzt oder nie.

„Bucky, ich muss mir dir reden..." Er knurrt etwas und trinkt seine Tasse leer. „Bucky, bitte."

Ich erschrecke mich zu Tode, als er die Tasse auf dem Boden wirft, ruckartig aufsteht, seinen Metallarm komplett verdreht und an mir vorbei nach draußen geht. 

„Bucky?", frage ich, doch er ignoriert mich weiter. „Wo willst du hin?"

Keine Antwort. Ich bin gezwungen, ihm zu folgen. Aus irgendeinem Grund bleibt er mitten im Wald abrupt stehen und dreht sich zu mir um. 

„Wieso hast du das getan?", fragt er aufgebracht.

Ich habe schon fast vergessen, wie er sich anhört. Es bringt mich etwas aus dem Konzept und zur Verwirrung.

„I-i-ich...", stottere ich nur vor mich hin und will schnell zum Punkt kommen, da ich sehe, dass er ungeduldig wird.

„WIESO?!", schreit er.

Er sieht mich an, als wolle er, dass seine Blicke mich wirklich töten sollen. Seine Augen sind stinkwütend und er ballt seine Hände zur Faust, als würde es bald zu einem Kampf eskalieren. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Also drehe ich mich um und gehe zurück ins Haus. Es war eine ganz blöde Idee jetzt mit Bucky zu reden. Er scheint sich immer noch nicht beruhigt zu haben.

Ich weiß nicht, ob er mir gefolgt ist, oder nicht, aber es ist auch egal. Ich weiß nicht, wie ich es ihm erklären soll. Ich muss ihm aus dem Weg gehen und Worte finden, um mich besser auf ein Gespräch mit ihm vorzubereiten. So kann es nämlich nicht weitergehen. Als ich oben bin, höre ich, wie er die Treppen hoch stampft. Ich stehe in meinem Zimmer neben meinem Bett, die Tür geöffnet, denn es hat keinen Sinn sie zu schließen, denn Bucky würde mit einem Stoß die Tür aufschlagen. 

Er steht nun ebenfalls in meinem Zimmer. Ich habe den Rücken zu ihm gedreht, denn ich kann ihn nicht ansehen - nicht, wenn ich wie ein kleines Kind weine.

„Ich wollte sterben...", murmle ich und wische mir die Tränen von meinen Wangen. „...aber da war ich nicht mehr ich selbst." Mein Hals schmerzt, aber ich muss nun dadurch. „Ich habe schon mehrmals versucht, meinem Leben ein Ende zu bereiten..." 

Er unterbricht mich. „Aber weiß du, wie es deinen Freunden dann geht?"

„Bucky, ich weiß..."

„Nein, du weißt gar nichts! Zum ersten Mal seit über fünfzig Jahren habe ich wieder einen Grund zum kämpfen gefunden, und dieser Grund hat sich vor wenigen Tagen von der Klippe gestürzt!"

Ich erstarre. Ich bin der Grund, ich bin der verdammte Grund! Es wird eine Zeit still und langsam drehe ich mich zu ihm um. Er starrt mich traurig an. 

„Bucky, kannst du mir verzeihen?" Ich nähere mich ihm einen kleinen Zentimeter, er senkt seinen Kopf wieder und es wird wieder still.

Ich warte auf eine Antwort, aber nichts kommt zurück. Was denkt er jetzt bloß von mir? Er kann mir wohl nie mehr vertrauen, ohne zu wissen, dass ich noch lebe oder mich selbst umbringen will. Ich bin wie ein Kind, das man nicht alleine lassen soll, ohne dass es sich selbst weh tut. 

Er hält seinen Blick immer noch gesenkt und ich habe den Eindruck, als wolle er mich hier und jetzt verprügeln, damit ich es endlich verstehe. Nach einem kleinen Augenblick hebt er seinen Kopf etwas, schaut mich ausdruckslos an und bewegt seinen Mund, als wolle er etwas sagen, aber nicht die richtigen Worte dazu findet. 

Plötzlich kommt er ruckartig auf mich zu. Ich erschrecke bei dem Anblick, als seine beiden Hände nach mir greifen, sich um meinen Rücken schlingen und er mich umarmt. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter und ich brauche einige Sekunden, um zu realisieren, was Bucky gerade tut. Dann aber umgreifen meine Arme seinen Körper und ich erwidere seine Umarmung. 

Als er sich dann langsam löst, ist sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Und dann legt er seine Lippen auf meine.  Was auch immer ihn dazu gebracht hat, lässt meine Freude so steigen, dass das Glas überläuft. Aber trotzdem bleibe ich verwirrt, denn er hat doch seinen Kuss auf dem Schiff zurück genommen und weiß nicht, ob dieser hier dasselbe Endeffekt enthaltet. Er drückt mich gegen die Wand, zieht mich näher an sich, sodass ich seinen Nacken umfasse und seine langen Haare ins Gesicht bekomme. Ich bin von der Wahrheit dieses Kusses so überwältigt, dass ich es kaum glauben kann. Dieser Augenblick, der sich immer weiter zum besseren ausdehnt, ist so vollkommen, so richtig, dass es keinen Zweifel gibt.

The Assassin: Last ResistanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt