Kapitel 3

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Taikas Kopf fühlte sich an, als wäre er unter einem Lastwagen geraten. Und die bleibende Dunkelheit machte das Schwindelgefühl auch nicht besser. Sie konnte sich nicht orientieren und wusste nicht, wo sie war. Es roch anders. Ganz anders als die Orte an denen sie bisher gewesen war. Irgendwie erinnerte sie dieser Geruch an alte Gebäude oder Gewölbe. Aber nicht in unangenehmer Art.

Und die Geräusche in diesem Raum verrieten ihr, dass sie nicht alleine war. In einem gleichmäßigen Rhythmus atmete es ein und aus. Leise aber bestimmt. Ob es schlief? Oder beobachtete es sie in ihrem verzweifelten Versuch einen klaren Gedanken zu fassen? „So ein verfluchter Mist!" flüsterte sie kaum hörbar und betete, das die Kreatur, die da atmete, tief und fest schlief.

Sie versuchte sich aufzusetzen, aber irgendetwas zog sie immer wieder nach unten. Mit der Hand ertastete sie eine Kette die zu ihre Handgelenken führte. Panik stieg in ihr auf. Sie konnte nichts sehen, neben ihr atmete ein Monster und sie selbst war wie ein armer Hund angekettet. Ruhigbleiben ermahnte sie sich selbst. Taika versuchte sich indem Raum umzusehen. Sie war sich zwar immer noch nicht sicher, ob sie blind war oder ob es einfach nur dunkel ist, aber sie beruhigte sich. Ein bisschen.

Ein schwaches, blinkendes Lichtschien aus der selben Richtung, wie auch diese Geräusche kamen. Vielleicht ein Smartphone? Sie versuchte sich noch einmalaufzusetzen, so leise wie möglich. Und es gelang ihr auch fast lautlos. Jetzt bemerkte sie, dass sie gar nicht auf dem Boden lag sondern auf einer kleinen Couch. Sonderliche Kombination. Couch und Ketten. Schlimmer wie in einem billigen Fetisch Film.

Sie schwang ihre Beine, die sich ungewöhnlich schwer anfühlten, über das Ende der Couch und setzte sich auf. Aber da merkte sie auch schon das Ende der Ketten. Sie hatte also die Wahl zwischen sitzen und liegen. Wunderbar dachte sie. Immerhin gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und wenn sie sich anstrengte, konnte sie schwache Umrisse erkennen. Aber das nütze ihr nun auch nichts. Sie musste wohl warten, bis der Schlafende da drüben aufwachte und sie hoffentlich gehen lassen würde. Auch wenn ihr das in diesem Moment recht albern vor kam, denn warum sollte er das tun?

Und eine noch viel wichtigere Frage: Warum war sie überhaupt hier? Was war passiert? Taika versuchte, sich zu erinnern. Was war das letzte, was ihr im Gedächtnisgeblieben ist? Richtig, sie war mir Alina unterwegs gewesen. Erst im HaVanna und dann im FUN. Sie waren in der VIP Lounge, haben viele Shots getrunken und sich mit den zwei Typen vom Nebentisch amüsiert. Dann sah sie denn Mann vom HaVanna wieder, wie er grade einer Frau das Blut aussaugte und dann rannte sie. An mehr konnte sie sich nicht erinnern.

Einer Frau das Blut aussaugte ...sie wiederholte immer und immer wieder diesen Gedanken, versuchte, in ihrem Gedächtnis die Szene zu rekonstruieren. Hat sie das wirklichso gesehen oder bildete sie sich das ein? Aber wenn sie sich das einbildete, warum hat dieser mysteriöse Mann sie dann anschließend verfolgt?

Aber darauf zu warten bis er wach wurde und sein Verhalten erklären konnte, wäre sie sicherlich dumm. Wenn es dieser Mann denn auch ist. Denn sicher war sich Taika nicht. Aber wer sollte es sonst sein? Das, was er mit ihr anstellen würde konnte nur grausam werden. Die nötigen Arme hatte er dazu auf jeden Fall. Aufgeben war deshalb keine Option! Sie musste es weiter versuchen. Irgendwie sollten sich diese Fesseln doch lösen lassen!

Sie umfasste die eine Kette mit ihrer Faust an den Fesseln und versuchte ihre Hand so klein wie möglich zumachen. Sie quetschte und stopfte so viel wie möglich von der Handdurch die Fessel. Und es tat höllisch weh. Als würde die Haut erst verbrüht und dann abgezogen werden. Aber Zentimeter für Zentimeterarbeitete sie sich vor. Und als der Handballen befreit war, ging es ganz schnell. Für Schmerzen und Heulerei war keine Zeit, die andere Hand musste auch befreit werden. Und das war sie auch – nach einer gefühlten Ewigkeit und unendlichen Schmerzen.

Sie versuchte so leise wie möglichaufzustehen. Das war einfacher gedacht als getan. Vom ganzen liegen und sitzen war ihr Körper schlaksig und weich wie Pudding. Taika tastete sich an der Wand entlang und hoffte inständig eine Tür zu finden. Und wie es der Zufall wollte, ertaste sie eine Türklinke direktneben der Couch.

Die Tür öffnete mit einem leisen knarzen. Bei jedem geöffnetem Zentimeter mehr hielt sie die Luft an. Himmel, dauerte es es bis sie weit genug offen war um hindurch zu schlüpfen. Sie betete, dass ihr Entführer so tief schlief wie es nur ging als Taika die Tür wieder schloss. Und verriegelte. Das hatte sie aus schlechten Horrorfilmen gelernt. Erneut tastete sie sich an der Wand entlang. Vorbei an Regalen, Schränken und Stühlen. Und noch mehr Regalen. Bestand denn der ganze Raum nur aus Regalen? Und in Anbetracht der Länge der Wand musste das ein ganz schöngroßer Raum sein. Ah seufzte sie erleichtert. Da war sie ja. Eine Tür. Und hoffentlich führte sie in die Freiheit.

Dieses mal öffnete sie sich ohne Knarzen und direkt neben der Tür befand sich ein Lichtschalter. Unschlüssig ob es klug ist oder nicht das Licht einzuschalten, handelte sie auch schon impulsiv. Mit dem lautesten Klicken was Taika je gehört hatte, erleuchtete sich der Raum in Sekunden schnelle. Oder besser ... Tunnel?

Taika blickte in den endlosen Korridor. Sie berührte die nackten Steinwände mit ihrer Hand und stützte sich ab. Ihre Knie gaben nach und schwindelig wurde ihr auch noch. "So ein Mist!" knurrte sie erschöpft. Erst jetzt sah sie, das ihre Handgelenke und Hände total abgewetzt waren. Auf dem Daumenhügel fehlte stellenweise sogar Haut. Aber darum würde sie sich erst später kümmern können. Jetzt musste sie erst mal einen Weg aus diesem ... Ja, wo war sie hier eigentlich? In einem Verlies? Gewölbe? Oder einem Luftschutzbunker? Für Williamshaven wohl die logischste Erklärung. Ihre Schritte hallten durch die Gänge als sie sich in Bewegung setzte. Meter um Meter bewegte sie sich hoffentlich zum Ausgang. Vor ihr lag eine Kurve. Als sie diese passiert hatte, stockte ihr der Atem. Sie sah Türen. Blutrote große Türen. Und davon sehr viele. Taika setzte ihren Weg fort. So leise und zügig wie möglich. Unter keinen Umständen sollte sich eine dieser Türenöffnen. Wer wusste schon, was sich dahinter versteckte? Noch mehrmerkwürdige Entführer und ihre Opfer? Am Ende des Korridors angekommen atmete sie einmal durch. Und traute ihren Augen kaum. Sieblickte eine steile Wendeltreppe hinauf. So steil, das sie nicht sehen konnte was hinter der nächsten Vierteldrehung lag. "Ohje" stöhnte Taika und rieb sich die Handgelenke. Zu allem Überfluss fand sie keinen Lichtschalter um die Wendeltreppe wenigstens etwas weniger gespenstisch zu machen. "Also los!" Taika stieg die Wendeltreppe mutig empor. Die Treppe war auch gar nicht mehr so dunkel wie anfangs vermutet. Nach der neunundzwanzigsten Stufe hörte sie auf mit dem zählen. So langsam fühlten sich die Füße schwer und träge an. Fast bereute es Taika, sich befreit zu haben.

Taika hielt sich an dem Seil, welches als eine Art Geländer fungieren sollte, gut fest. Die Stufen waren steil und rutschig. Dazu noch sehr flach. Sie war sich sicher, sie wäre die erste, die sich hier lang legen würde. Und in ihrer Situation konnte sie sich das nicht gerade erlauben. Situation sei auch viel zu... harmlos ausgedrückt. Immerhin wurde sie entführt und befand sich gerade auf der Flucht. Warum sie so seelenruhig und gefasst war, konnte sie selbst nicht verstehen. Vielleicht lag es an dem Adrenalin? Oder an ihrer kaputten Hand die dringend ärztliche Behandlung benötigte? Vielleicht war sie aber auch nicht mehr ganz dicht. Sie versuchte die Stufen so schnell wie möglich hoch zu laufen, aber sie fürchtete, nach jeder Stufe einem anderen Menschen - oder sowas in der Art - zu begegnen. Als wenn enge Winkeltreppen nicht so oder so schon unheimlich genug waren.

Aber das Glück schien auf ihrer Seite zu sein. Nach gefühlt hunderten von Treppenstufen sah sie endlich ein flackerndes orangenes Licht. Die Lampe hing über den Türsturz und war in einem Drahtkorb eingefasst. Sicherlich hatte sie schon mehrere Jahrzehnte hier gehangen. Was nicht nur das Flackern sondern auch die dicke Staubschicht auf der Birne verriet. Oh, und natürlich der Rest dieses merkwürdigen Ortes. Sie fragte sich noch immer, ob sie in einem Bunker oder einem anderen alten Gemäuer gefangen war. Die roten Ziegel ließen eher auf ein altes Gemäuer schließen. Bunker waren in der Regel aus Beton. Sie betrat den vor ihr liegenden Raum und staunte nicht schlecht. Außer den gleichen Lampen wie über dem Türsturz rechts und links an der Wand war dieser Raum vollkommen leer. Bis auf einer hölzernen Tür an der ihr gegenüberliegenden Wand. Taika hatte also keine andere Wahl. Diese Tür musste sie wohl oder übel öffnen - egal was dahinter war.  

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