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Langsam stehen Chelsey und ich wieder auf. Erst jetzt wird mir bewusst, was für eine unbequeme Position wir in Kauf genommen haben, um Kimberly zu beobachten.
Obwohl zwischen uns beiden und dem enthusiastischen Paar eine stabile Aufzugstür liegt, fühle ich mich nicht sicher in der Küche. Ohne ein Wort zu sagen verlassen Chelsey und ich Seite an Seite den Raum.
Wir treten über die Schwelle und sehen augenblicklich in die Augen einer Person, die nur auf uns gewartet zu haben scheint.
Mein Herz bleibt einen Moment stehen und ich höre Chelsey neben mir nach Luft schnappen.
Der Schock dem Jungen vom einen Moment auf den anderen direkt gegenüber zu stehen, erschreckt mich mehr, als die Tatsache, dass wir nicht die einzigen sind, die mitten in der Nacht um die Küche herum schleichen.
Wortlos starrt Will uns an.
»Mitternachtssnack?« So schnell wie möglich fange ich mich wieder und trete ihm entgegen. Er ist ein Stück kleiner als ich und mit seinen dünnen Ärmchen und den eingefallenen Wangen wirkt er beinahe eingeschüchtert von mir. Leicht spöttisch mustere ich ihn. »Weißt du, als Kimberly dich als Blakes Schatten bezeichnet hat, hätte ich nicht damit gerechnet, dass du bei den geheimen Dates der beiden dabei sein darfst.«
Chelsey, die ein Stück zurück gewichen ist, tritt nun an meine Seite und spricht ihn eine Spur freundlicher an. »Was tust du hier, Will?«
Nervös wendet der Junge sich an sie. »Ich habe Blake aus dem Zimmer schleichen hören... Zum wiederholten Male. Eigentlich habe ich mir vorgenommen mich aus seinen privaten Sachen rauszuhalten, aber ich hatte Angst, dass er etwas mit dem Angriff zu tun haben könnte.«
Seine Geschichte klingt plausibel und hat ziemliche Ähnlichkeiten mit unserer. Trotzdem wage ich es nicht, ihm Vertrauen entgegen zu bringen.
»Tatsächlich? Du wirst wach wenn Blake sich rausschleicht, aber zufälligerweise interessiert es den Rest von eurem Zimmer einfach nicht, was er jede Nacht tut?«
»Nein«, murmelt er verlegen und starrt seine Schuhe an. »Es ist nur- Ich kann hier nicht richtig einschlafen. Es ist die Matratze. Sie ist-«
»-zu weich.«
Will sieht Chelsey mit großen Augen an und nickt. »Es ist als würde man darin versinken.«
Verständnisvoll lächelt Chelsey. »Und man kann nicht schnell aufstehen, falls etwas sein sollte.«
»Genau!«
Irritiert beobachte ich den Austausch der beiden. Wer hätte gedacht, dass die zwei sich so schnell, so gut verstehen?
»Vielleicht könnte man die Matratze mit einer Matte aus dem Gym ersetzen«, überlegt Chelsey und spielt dabei leicht mit ihren Haaren.
»Darf man die denn einfach so nehmen?«, fragt Will unsicher.
»Solange niemand wach ist, gibt es keine Regel die dagegen spricht.« Verspielt zwinkert sie ihm zu und man kann förmlich beobachten, wie seine Augen aufleuchten.
»Na schön«, schalte ich mich schließlich unwirsch ein. Es fühlt sich komisch an so rau mit ihm umgegangen zu sein, während Chelsey sehr gut mit ihm klar kommt. Trotzdem ist dies nicht der Moment Schwäche zu zeigen. »Viel Spaß bei eurer Umzugsaktion, ich gehe jetzt wieder schlafen. Vielleicht kann ich dann morgen, wie jeder normale Mensch, ein Date haben, das nicht um 03:00 nachts stattfindet.« Mit einem letzten, verächtlichen Blick über die Schulter wende ich mich ab und gehe in Richtung Treppenhaus.
Hinter meinem Rücken höre ich noch leises Raunen und Kichern, doch es kümmert mich nicht, was auch immer den beiden so wichtig erscheint.

Ich höre nicht mehr, wie Chelsey zurück ins Zimmer kommt und ich kann beim Einschlafen nur hoffen, dass sie klug genug ist, vor Kimberly zurück zu kehren. Als ich am nächsten Morgen vom Sonnenlicht geweckt werde, liegen beide Mädchen auf jeden Fall in ihren Betten.
Ivy sitzt schon aufrecht in ihrem Bett und hat anscheinend meine schlafende Gestalt liebevoll lächelnd beobachtet. Ihre Augen hellen sich auf, als sie sieht, dass ich wach bin.
Rasch legt sie einen Finger an die Lippen, damit Kimberly und Chelsey nicht geweckt werden und deutet dann zur Tür.
Mit einem kleinen Schmunzeln nicke ich und folge ihrer stummen Aufforderung, indem ich möglichst leise aus meinem Bett steige und zur Tür gehe. Ivy ist noch vor mir da und hält sie mir höflich auf.
Wir machen hinter uns beiden zu und augenblicklich spüre ich, wie ich ausatmen kann. Es fühlt sich immer sicherer an das Mädchen von meinen ehemaligen Freundinnen fernzuhalten.
»Guten Morgen!« Gut gelaunt stellt sie sich auf die Zehenspitzen und schlingt ihre Arme um meinen Hals. Amüsiert gebe ich ihr einen Kuss auf die Wange.
»Gut geschlafen?«, frage ich, während wir uns voneinander lösen.
»Ja, ich war total fertig nach den letzten Tagen. Ich schätze ich habe wirklich mal eine ruhige Nacht gebraucht.« Lächelnd streicht sie ihre Haare zurück und ich gebe mein bestes mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Solange ich sicher gehen kann, dass sie nicht in irgendwas, was mich, meine Vergangenheit oder den Angriff angeht, mit reingezogen wird, habe ich zumindest eine positive Sache in meinem Leben.
»Ich kann das gut nachvollziehen«, antworte ich wahrheitsgemäß, obwohl ich bisher leider noch keine ruhige Nacht hatte.
Ivys Gesichtsausdruck nimmt einen traurigen Unterton an und sie sieht mir sorgenvoll in die Augen. »Wie geht es dir? Nach allem was passiert ist...«
Ich habe Angst.
Das wäre die Wahrheit, doch damit kann ich sie nicht belasten. So sehr ich sie auch mag, ich möchte nicht, dass ihr süßer, kleiner Kopf von Sorgen gefüllt wird.
»Es wird besser«, antworte ich also nur. »Natürlich ist es schade um Olivia. Wir haben uns ziemlich gut verstanden, aber ich schätze ich kann nichts daran ändern. Irgendwie komme ich schon damit klar.«
»Ich bin für dich da, versprochen.«
Wie kann sie so gut sein?
Bis in den letzten Winkel ihres Herzens so rein?
Jeder Mensch, der sie jemals in seinem Leben hatte, muss gesegnet sein.
Womit habe ich sie mir nur verdient?
»Hast du heute Abend Zeit?«, frage ich und verschränke meine Finger liebevoll in ihren. »Wir könnten unser Schwimmbad-Date nachholen.«
»Courtney, das klingt fabelhaft, aber heute ist leider eher ungünstig. Ich habe leider schon einem Jungen versprochen, ihn in der Bibliothek rumzuführen und ein paar Bücher zu empfehlen.«
»Oh- okay«, murmle ich und will fast schon instinktiv meine Hand wieder lösen, als sie meine Finger sanft fest hält.
»Es tut mir schrecklich leid, lass es mich wieder gut machen! Wir gehen morgen Abend schwimmen und danach noch in den Aufzug, um dort zu Essen und ein wenig zu reden.« Flehend sieht sie mich an und ich begreife, wie ernst ihr diese Entschuldigung ist. Diese Art von Ehrlichkeit bin ich nicht gewöhnt, doch es fühlt sich gut an.
»Okay«, sage ich und habe schon wieder ein kleines Lächeln auf den Lippen.
»Oh toll!« Lachend umarmt Ivy mich und automatisch schlinge ich ebenfalls meine Arme um ihre schmale Hüfte.

Strangers with memoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt