Autor der Geschichte: Leezah97
61 Tage nach der Entführung
Zwei Monate, 61 Tage. Seit zwei Monaten sitze ich nun schon in dieser Zelle. Seit 61 Tagen bin ich der Dunkelheit ausgeliefert. Ich kann spüren, wie sie an meinem Verstand nagt. Wie sie meine Gedanken beeinflusst und meinen Sinnen Streiche spielt. Immer häufiger nehme ich Dinge wahr, die gar nicht da sind. Schatten, die sich durch meine Zelle bewegen oder Lichtstrahlen, die vor meinen Augen tanzen. Obwohl mir bewusst ist, dass diese Schatten und Farbenspiele nicht real sind, jagen sie mir jedes Mal eine Heidenangst ein, denn sie zeigen mir, wie schlecht es tatsächlich um meinen Geisteszustand steht. Ich bin erst seit 61 Tagen hier, 304 weitere stehen mir noch bevor. Wie soll ich das durchhalten? Ich stehe jetzt schon kurz davor mich aufzugeben. Nie hätte ich gedacht, dass mir die Dunkelheit wesentlich schlimmer zusetzen würde, als Schmerz. Der schwarze Mann hat mir vier Zähne im Oberkiefer ausgeschlagen, als ich ihn auf Nicole Hoult angesprochen habe, aber der daraus entstandene Schmerz hat bloß meine Wut geschürt. Ich will ihn nicht gewinnen lassen. Seit diesem Tag hat er mir nicht nochmal einen Besuch abgestattet. Wahrscheinlich ist das ganz gut so, ansonsten hätte ich ihm noch mehr Sachen an den Kopf geworfen, für die er mich bestraft hätte. Mein einziger regelmäßiger Kontakt in dieser ganzen Zeit ist Lara. Das kleine Mädchen, das mir jeden Tag mein Essen bringt und sich hin und wieder kurz mit mir unterhält. Sie ist mir gegenüber immer noch skeptisch und beantwortet meine Fragen nur sehr einsilbig, doch wenn sie tatsächlich schon länger hier ist, wundert mich das auch nicht. Es ist für mich ja schon schwierig, mit dieser Situation umzugehen, wie muss das dann erst für ein so kleines Mädchen sein? Wo kommt sie wohl her? Hat der schwarze Mann sie entführt? Wie lange muss sie schon seine Sklavin spielen? Fragen, die ich ihr schon so oft gestellt, aber nie eine Antwort erhalten habe. Was muss ich wohl tun, um ihr Vertrauen zu gewinnen? Sie ist die Einzige, die mir dabei helfen kann, hier rauszukommen.
Ich hänge immer noch diesen Gedanken nach, als die Stahltür meiner Zelle mit einem grauenhaften Quietschen geöffnet wird. Obwohl dieses Geräusch wie ein Kreischen in meinen Ohren klingt, weiß ich, dass es nur Lara sein kann. Mittlerweile habe ich ein Gefühl dafür bekommen, wann sie mit dem Essen zu mir kommt. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich mich auf die Brühe, die sie mir füttert, freuen würde, allerdings brauche ich die Nahrung und würge den Brei darum auch jeden Tag widerstandslos runter. Auch heute lasse ich mich mit der Brühe füttern und halte Lara auf, als sie sich der Tür zuwendet. „Darf ich dich was fragen, Lara?" Das Sprechen fällt mir immer noch etwas schwer, mein Oberkiefer schmerzt und durch die fehlenden Zähne mache ich teilweise Zischlaute und klinge, als hätte ich einen S-Fehler. Sie dreht sich wieder zu mir um, ihr Blick ist misstrauisch. „Der schwarze Mann mag es nicht, wenn ich mit seinen Modellen spreche." Das kleine Mädchen wirkt verunsichert. Scheinbar hat sie Angst, dass das Gespräch mit mir sie in Schwierigkeiten bringen könnte. „Geht der schwarze Mann schlecht mit dir um? Schlägt er dich?" Einen kleinen Moment lang blitzt Verständnislosigkeit in ihrem Blick auf, bevor sie leicht den Kopf schüttelt. „Nein." Sagt sie das, weil sie muss? „Wie lange bist du denn schon hier?" „Das darf ich dir nicht sagen." Ich nicke leicht. „Machen sich deine Eltern nicht Sorgen um dich?" „Nein", antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. Ich bin etwas überrascht. Haben sich ihre Eltern denn gar nicht für Lara interessiert? Oder sind die beiden vielleicht gar nicht mehr am Leben? Ich befürchte, dass das kleine Mädchen mit seinen acht Jahren schon mehr durchmachen musste, als ich mir überhaupt ausmalen kann. „Ich muss weiter", sagt Lara noch, bevor sie sich abwendet und die Tür hinter sich schließt. Wieder bin ich allein. Dunkelheit umgibt mich und entlockt mir ein tiefes Seufzen. Die Schwärze ist erdrückend, manchmal bringt sie meinen Atem zum Stocken. Ich weiß, wenn mir die Dunkelheit irgendwann nichts mehr ausmachen sollte, habe ich verloren. Dann würde ich so enden wie Marie. Verstört und neurotisch, gefangen in den Nachwirkungen der Folter, die sie hatte erdulden müssen. Sie hat irgendwann ihren Verstand an die Dunkelheit verloren. Ich hoffe, dass es mir nicht so ergehen wird, wie ihr.
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