Chapter 7

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„Finn! Wach wieder auf."
Ich hörte ein Knacken und mir wurde etwas vor die Nase gehalten.
Ich atmete versuchsweise durch die Nase ein und wurde sofort von einem Hustenanfall geschüttelt.
„Alles ist gut."
Meine Mutter stand wieder neben mir.
„Was zur Hölle war das denn?"
Der beißende Geruch hing mir noch immer in der Nase.
Würgend drehte ich mich auf die Seite, aus Angst, Dr. Hermann oder meiner Mutter auf die Schuhe zu brechen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was schlimmer wäre.
Mein Magen rebellierte zwar, aber brechen musste ich Gott sei Dank nicht.
„Was war das bitte?"
Ich befand, dass die Schuhe des Arztes wieder in Sicherheit waren und drehte mich zu ihm um.
„Das war Ammoniak."
Ich zog eine Augenbraue hoch.
Wieso ließ er mich an Ammoniak riechen? Ich kannte das eigentlich nur aus Haarfarbe und wenn ihr dachtet, dass die schon scheiße roch, hattet ihr noch nie das Vergnügen, an purem Ammoniak zu riechen.
Dr. Hermann stand auf der anderen Seite von mir.
„Igitt."
„Ja, ich weiß, dass war nicht angenehm, aber es hat ja seinen Zweck erfüllt." Er lachte leise.
„Was war denn los?"
„Keine Ahnung, sie waren alle auf einmal so hektisch und ich dachte, das ich etwas ganz schlimmes haben muss, so wie Sie geschaut haben."
Er legte seine Stirn in Falten. „Was dachtest du denn Finn?"
„Keine Ahnung? Ein Hirntumor vielleicht?"
Sofort schämte ich mich für diese Aussage.
Einen kurzen Moment war das Gefühl der Wolke nicht ganz so drückend gewesen, doch jetzt kam es mit aller Macht zurück.
„Oh Gott, nein! Du hast doch keinen Tumor!" Dr. Hermann blickte mich erschrocken an.
„Na siehst du."
Meine Mutter atmete aus und ich konnte sehen wie glücklich sie war.
„Und was habe ich dann?"
„Das kann ich dir leider noch nicht sagen. Das MRT hat so erstmal keine Auffälligkeiten gezeigt."
Na super. Wäre es der Tumor gewesen, hätte ich jetzt wenigstens irgendeine Diagnose.
Einen kurzen Moment wünschte ich fast es wäre so. Schnell verbannte ich den Gedanken aus meinem Kopf.
Ich versuchte mich aufzusetzen, da ich immer noch auf der Liege lag, wie bestellt und nicht abgeholt.
Wenigstens das klappte. Ich hatte mir angewöhnt, nichts mehr von meinem Körper zu erwarten und mich über alles, was dann doch klappte, zu freuen.
„Du nimmst doch ein Medikament oder?"
Dr. Hermann griff nach dem Stift in seiner Kitteltasche.
„Ja, seit gut einer Woche denke ich." „Hast du da irgendwelche Probleme mit?" Ich blickte zu meiner Mutter.
Ich war 19, es war ja wohl nicht so schwer über sein Toilettenverhalten zu sprechen. Selbst wenn die eigene Mutter dabei war.
„Ja, ich habe ein bisschen Probleme beim Pi... ich meine beim Wasserlassen", verbesserte ich mich.
„Das Medikament, was deine Mutter mir genannt hat, ist prädestiniert dafür, solche Probleme zu verursachen. Es wäre glaube ich besser, das erstmal abzusetzen."
Er notierte sich was auf einem Zettel, den er Gott weiß wo hergenommen hatte.

„Geholfen hat es wahrscheinlich noch nicht oder?"
„Sieht das für sie so aus?"
Den Spruch konnte ich mir nicht verkneifen. „Nein, du hast Recht, die Frage war blöd von mir." Wieder lachte er.
„Mit dem Medikament müsste es gehen und auch die Nebenwirkungen sind längst nicht so extrem."
Er zeigte auf das Gekritzel, was er zu Papier gebracht hatte.

Wie sollte man da irgendetwas erkennen?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, meinte er: "Meine Kollegin macht dir ein Rezept fertig, du kannst dich mit deiner Mutter vorne noch etwas hinsetzten. Sie bringt es dir dann gleich raus."
Er reichte mir die Hand.
In dem Moment, an dem er den Satz zu Ende gesprochen hat, hatte ich schon wieder die Hälfte von dem vergessen, was er eben gesagt hatte.
Es schien fast so, als hätte mein Gehirn seinen Platzt in meinem Kopf mit einem Sieb getauscht. Mit einem sehr sehr löcherigen Sieb.
„Das MRT sieht wirklich gut aus Finn. Sollte wieder erwarten dennoch  etwas sein, würde ich mich telefonisch melden."
„Auf Wiedersehen"
Er öffnete die Tür und reichte mir meine Jacke, die an der Garderobe hing. Ich lächelte leicht und zog sie mir wieder über den Kopf.
„Danke."
Wir setzten uns wieder auf unsere Platz im Wartebereich.
Meine Mutter drückte meine Hand. Das schien ihre neue Lieblingsbeschäftigung zu sein. jemand sollte sie dringend dafür bezahlen.
Die Tür ging wieder auf und heraus kam eine der Frauen, die ich auch eben gesehen hatte.
„Hier, ihr Rezept." Sie lächelte meine Mutter an, während sie ihr das Rezept gab. Mich beachtete sie nicht.
„Da das ein Rezept aus dem Krankenhaus ist, müssen Sie dies erst beim Hausarzt gegen ein Kassenrezept tauschen, da Sie ansonsten die vollen Kosten tragen müssten." Plötzlich sah sie mich auffordernd an.
„Was?" Ich schreckte hoch. Sofort fühlte ich mich ertappt, wegen etwas, das ich gar nicht getan hatte.
Oder doch?
Die Welt begann zu wanken.
Sie begann zu lachen. „Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur wissen ob du zugehört hast." Wieder lachte sie.
„Mhh", presste ich mühsam hervor.
Es gab Menschen, die hielten sich für unglaublich witzig und ihnen war es auch egal, ob andere Leute ihrer Meinung waren. Diese Person gehörte definitiv dazu.
Ich unterdrückte den Drang, ihr aus Frust einfach ins Gesicht zu schreien.
„Hast du denn?"
Jetzt wurde auch meine Mutter hellhörig. Sie hatte wahrscheinlich meinen Gesichtsausdruck gesehen und wusste, dass gleich ein Donnerwetter losgehen würde. Vielleicht sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
„Wir gehen dann mal."
Sie zog mich leicht an meinem Arm hoch und endlich konnten wir dieses schreckliche Haus verlassen.
Als wir wieder  im Auto saßen, drehte sie sich zu mir um.
„Ist alles okay?"
Ich konnte es nicht mehr hören.
Es war sicher wirklich nur nett gemeint, aber was sollte ich da schon groß drauf antworten?
„Ja, ich habe zwar eine Wolke auf dem Kopf, aber mir gehts gut?" Wahrscheinlich.
„Ja, alles gut."
„Wenigstens sind wir jetzt schon einen Schritt weiter. Du hast ein neues Medikament und das MRT war ja auch unauffällig."
Wenigstens sprach sie mich nicht auf mein kleines Problem an. „Ja, ganz fantastisch"
Zuhause angekommen schmiss ich meine Schuhe in die Ecke und stampfte die Treppe nach oben.
„Gute Nacht!"
„Finn, es ist 17:00!" Den Vorwurf in ihrer Stimme konnte sogar ein taubstummer mensch hören, doch ich ignorierte ihn geflissentlich.
Rumms, da war die Tür schon zu.
In meinem Zimmer machte ich mich als erstes über die Packung Chips her, die noch immer unangebrochen auf meiner Kommode lag.
Mein Handy pingte wieder.
Ich hatte kurz die Hoffnung, dass es Jen war, aber es war nur eine Nachricht von meiner Mutter.
„Dein Vater bringt dir nachher das Medikament mit, komm doch dann nochmal runter."
Ich sperrte mein Handy wieder und schmiss es aufs Bett.
Gedankenverloren sah ich mich in meinem Zimmer um. Mein Blick blieb an meiner Fotowand hängen. Die Fotos stammten alle aus der Zeit von vor 2 Jahren kurze bevor ich meinen Abschluss gemacht hatte.
Sie zeigten mich mit meinen Eltern, meinen Freunden und es gab tatsächlich auch 1, auf dem ich zusammen mit meiner Ex-Freundin zu sehen war.
Man würde ja meinen, dass es einen eher traurig stimmen würde, Fotos von seiner Ex aufzuhängen, aber so war das bei uns gar nicht.
Wir waren, wie man so schön sagt, im Guten auseinander gegangen. Leider hatten wir uns irgendwie nach der Schule aus den Augen verloren. So ging es mir mit allen Freunden, die ich in der Schule gefunden hatte. Jetzt war nur noch Jen übrig.
Mir reichte das, und ich war auch recht zuversichtlich, dass sie sich wieder beruhigen würde.
Ich war schließlich der mit dem neuen Anhängsel, also musste sie jetzt einfach map Rücksicht nehmen.
Außerdem konnten wir noch so einen schlimmen Streit haben, einer von uns beiden kam nach spätestens 2 Tagen wieder an und entschuldigte sich. So war das bei uns.
Ich würde ihr einfach noch Zeit geben müssen.
Seufzend nahm ich mir eine Handvoll Chips aus der Packung und stopfte sie mir an der Wolke vorbei in den Mund.
Charly kam miauend hinter der Gardine hervor. Unser Verhältnis hatte sich in dieser Woche etwas gebessert, zumindest kam er inzwischen wieder zu mir, wenn ich etwas zu Essen hatte, wie jetzt gerade.
„Meins."
Schmunzelnd schob ich mir gleich noch eine Hand voll Chips in den Mund.
Als auch der letzte Krümmel aus der Packung in meinem Magen verschwunden war, beschloss ich, dass es sicher nicht schaden könnte, etwas aufzuräumen.
Entnervt bückte ich mich und sammelte alles vom Boden auf, was dort nicht hingehörte. Also praktisch alles, was gerade da lag.
Aufräumen war wirklich nicht meins.
Hinter mir hörte ich ein Rascheln. Scheiße, hatte ich jetzt etwa die Chipstüte geöffnet auf dem Bett liegen lassen?
Augenrollend drehte ich mich um, doch sie lag nicht auf dem Bett. Ich hatte sie ja auch eben entsorgt.
Seufzend wollte ich mich wieder dem Boden zuwenden, doch ich wurde abrupt von der Wolke zurück gezogen, sodass ich wieder auf das Bett blicken musste.
Hatte ich sie etwa doch nicht weggeworfen?
Ein kurzer Blick überzeugte mich jedoch vom Gegenteil. Sie lag weder auf dem Bett noch auf dem Boden. Ich stapfte zum Mülleimer und warf einen Blick hinein. Da lag sie, fein säuberlich zusammengeknüllt.

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