Kapitel 1

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„Ein einsames Licht ist fast wie ein Mensch, ist so verlassen wie eine zweifelnde Seele." - Gunnar Gunnarsson, Advent im Hochgebirge

Wenn Jimin in der U-Bahn Station stand und drauf wartete, dass die Bahn kam, erschien der kleine Anteil an Klaustrophobie in seinem Inneren, denn Jimin hasste geschlossene Räume und den Gedanke, dass sich über seinem Kopf eine ganze Stadt und somit auch Tonnen von Stein, Erde und vielen weiteren schweren Materialien befindet. Gleichzeitig verabscheute er den abgestandenen und erdrückenden Geruch von CO2 und anderen giftigen Abgasen, die seiner Meinung nach viel zu hoch dosiert in seine Nase inhaliert wurden, von seinen Lungen aufgenommen und durch seinen ganzen zitternden Körper transportiert wurden.

Alles in allem mochte Jimin die U-Bahn nicht und hätte sich deshalb auch niemals denken können, dass er gerade eine U-Bahn Station, einen Ort an welchem er sich niemals wohlfühlen würde, als seinen Todesort ausgesucht hatte. Was hatte sich Jimin doch bloß nur dabei gedacht?
Die Augen des Blondhaarigen huschten unruhig hin und her, begutachteten die noch menschenleere Station, die sich furchteinflößend und in lauernder Grabesstille vor ihn erstreckte, nur drauf wartete seine messerscharfen Krallen auszufahren und in sein Leib zu stechen.

Doch dieser Jimin, der jetzt dort stand, seinen Kopf in die Leere gedreht hatte und jegliche Hoffnung in allem verloren hatte, konnte nichts anderes tun, als nur bedauerlich mit getrübten Augen zu lächeln, denn nicht die Leere wird ihm am Ende Seins nennen dürfen, sondern der unendliche Tod, den er sich einbildete schon riechen, fühlen und hören zu können.
Oder war es nur die brutale Realität, die er Tag ein und Tag aus ertragen musste? Er wünschte, es wäre nicht so. Wünschte sich die schrecklichen Bilder, traumatisierenden Szenen, grausamen Geschichten wären doch nur ein Traum, ein miserabel gemachter Film, um das Bedürfnis der Menschheit nach brutaler Ungerechtigkeit zu befriedigen, doch zu seinem Leidwesen waren all diese schrecklichen Schandtaten, die scharenweise in den Nachrichten zu sehen waren, Teil der Welt, auf welcher er leben musste.

Und Jimin war sich sicher.
Dieser junge Mann, der doch noch sein ganzes Leben vor sich hatte, war sich sicher, dass er sein Leben nicht auf dieser abstoßenden und bösartigen Welt tristen möchte.
Er wollte es nicht, denn sein armes Herz ertrug all das Leid nicht, ertrug den Schmerz in den Augen der Opfer nicht, die mit Ungerechtigkeit ihr Ende finden mussten.
Weshalb nur gab es sowas?

Genau das fragte der junge Koreaner sich ein weiteres Mal in dieser eisig kalten Nacht,mutterseelenallein, wartend auf die nächste U-Bahn, die endlich sein Ende mit sich bringen würde.

Weshalb werden Menschen gegenseitig diskriminiert, misshandelt, missbraucht, gefoltert, gequält und getötet?
Wofür denn all das?
Wegen der Hautfarbe?
Der Religion?
Ist es wegen der Augenform oder liegt es doch an der Nationalität?
Ist Grund für das Leid die Sexualität oder die Muttersprache? Kommt es auf den Sozialen Stand, Geld, Reichtum und Erfolg an?
Was ist der ausschlaggebende Grund dafür?

Der gebrochene Jimin würde es so gerne wissen, denn eigentlich, tief in seinem Inneren, wollte er doch garnicht sterben. Er wollte seine liebenden Eltern und seinen älteren Bruder, mit dem er immer noch sein Pausenbrot in der Schule teilte, nicht alleine auf dieser verdammten Welt lassen.
Er wollte mit ihnen leben, mit ihnen lachen und weinen, doch er konnte nicht. Konnte nicht mehr, denn sein Körper war erschüttert und ausgelaugt von der Menschheit, der Gesellschaft, der Welt.

𝕃𝕚𝕘𝕙𝕥 𝕒𝕟𝕕 𝕊𝕙𝕒𝕕𝕠𝕨// 𝕁𝕚𝕙𝕠𝕡𝕖Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt