Obstacle

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„ Bin ich ein Tier?"
Du lachst leise und musterst seinen konzentrierten Ausdruck, während ein pinkes Post-It auf seiner Stirn klebt. Dann setzt du dich in einen bequemen Schneidersitz und umklammerst deine Tasse mit heißer Schokolade und Sahnehäubchen darin.
Deine Blicke gleiten zu dem Zettel zurück und entziffern die Buchstaben, die du mit intensiv stinkendem Edding geschrieben hast.
Schließlich erlöst du den beinahe platzenden Denker und nickst lächelnd, ehe du die Kakao-Süße auf deiner Zunge zergehen lässt. Der Sportler jauchzt über den kleinen Erfolg und verschränkt die Arme vor der Brust.
„ Hmm... Habe ich ein Fell?"
Du schmunzelst. Wer denkt, dass dieser Junge dumm ist, ist es selbst.
Er stellt genau die richtigen Fragen und das stets mit Scharfsinn. Das ist auch der Grund, wieso er das Spiel meilenweit anführt und immer in der vorgegebenen Zeit seine Begriffe errät. Du blinzelst, als er dich fragend anstupst und schüttelst schnell den Kopf.
„ Nein, hast du nicht."
Sein Grübeln währt nur kurz, denn nach wenigen Sekunden schnippt er freudig und fragt:
„ Habe ich Federn?"
Du grinst nur und nickst fröhlich. Der Ältere grient gewitzt und verschränkt die Arme hinter dem Nacken.
„ Also bin ich ein Vogel."
Auf diese Feststellung musst du nicht antworten. Stattdessen beobachtest du das Ass, während es sich die nächste Frage ausdenkt und die Sanduhr vor sich betrachtet, die ihren Inhalt immer schneller zu verteilen scheint. Schließlich nickt er eifrig und fragt:
„ Bin ich ein Adler?"
Du blinzelst verdattert und blickst auf das letzte Sandkorn, das den Unterbauch des Zeitzeigers füllt. Wie zur Hölle hat er das erraten?
„ Eh... ja."
„ HA HA HA! ICH BIN SO GUT!"
Der Ältere hat dich so schnell durchschaut, dass es dich nicht mal mehr verwundern sollte.
Doch du hakst dennoch nach:
„ Woher wusstest du das?"
Er zieht sich den Klebezettel von der Stirn und betrachtet deine Schrift, als sei sie ein Kunstwerk. Was er wohl von den Arbeiten deiner Freundin halten würde, wenn er deine Krakelei schon so vergöttert? Der Sportler stützt seine Hände neben sich ab und grinst breit:
„ Naja: du hast gedacht, ich komme auf Eule, weil ich weise und cool bin." Nicht wirklich.
„ Aber weit gefehlt. Ein Adler hat ebenfalls eine Eigenschaft, die du mit mir verbindest: Macht. Denn der Adler ist der König der Vögel, HEY HEY HEYYY!"
Du lachst leise in dich hinein und musterst den Jauchzenden eingehend. Du wirst ihm nicht sagen, dass du den Adler genommen hast, da er das genaue Gegenteil einer Eule ist - und du dachtest, er würde deshalb nicht auf den Begriff kommen. Du trinkst die letzten warmen Schlucke deines Süßgetränks und stellst die Tasse behutsam neben dich, ehe du den Älteren erwartungsvoll musterst.
„ Was tun wir jetzt?"
„ Ehhhm."
Er kratzt sich den Nacken und tippt sich ans Kinn, ehe er fröhlich schnippt.
„ Ich hole uns Knabbereien und besorge Musik! So macht man doch eine richtige Party, YEY!"
Ohne, dass du etwas erwidern kannst, stürmt der Gastgeber aus dem Zimmer und lässt dich zurück.
Du lächelst sanft und umklammerst deinen Körper, während du dich in seinem Zimmer umblickst. Wie auch bei deinem ersten Besuch betrachtest du die verschieden gefärbten Wände, die minimalistische Einrichtung und die unerwartete Ordnung des sonst so chaotischen Asses.
Du stellst deine Tasse vom Boden auf den runden Holztisch und erhebst dich, um den Eckschreibtisch in Augenschein zu nehmen, der dir bei deinem letzten Besuch entgangen ist.
Doch der wohl wahre Grund, wieso du die kleine Schreibunterlage näher inspizieren willst, ist eine Ansammlung bunter Dinge, die es näher zu betrachten gilt. Schnell blickst du über deine Schulter.
Doch da du den Volleyballer noch lautstark mit seiner Oma lachen hörst, hast du noch etwas Zeit und huschst schnell zum Tisch. Eilig ziehst du den Drehstuhl beiseite und weitest die Augen, als du erkennst, was so bunt hervorsticht:
Magazine.
Doch es sind weder Sportler-Hefte, noch Fitnessschriften oder Volleyball Zeitschriften.
Es sind Frauen-Journale.
Und zwar nicht die von der dreckigen Sorte, die kein Mädchen sich traut anzublicken, ohne sich zu ekeln oder angegriffen zu fühlen. Es sind Klatschhefte, Fachblätter und Ratgeber.
Auch wenn die einzelnen Hefte in dem Stapel von dutzend verschiedenen Verlagen kommen und diverse Namen tragen, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Eselsohren.
Und zwar an ganz bestimmten Stellen wie dir auffällt, als du die dritte, vierte, fünfte und sogar sechste Zeitschrift aufschlägst:


Datesaster - Wie Sie Fettnäpfchen beim ersten Treffen vermeiden

Rezepte für ein zweisames Dinner im Kerzenschein

Boyfriend Material - Welcher Typ Mann ist der richtige für Sie?

Crushed - Dieser Star ist unser Liebling



Und diese Schlagzeilen sind nur ein paar wenige von denen, die der Sportler markiert hat.
Verwundert klappst du die Zeitschriften wieder zu und drapierst sie wieder in ihre ursprüngliche Position.
In deinem Kopf herrscht Ratlosigkeit.
Wieso sollte der Quirlige einen Stapel Frauenzeitschriften in seinem Zimmer lagern und jede einzelne lesen - und sogar markieren?
Du reibst dir das Kinn und blickst dich weiter um. Sonstige Auffälligkeiten kannst du jedoch nicht entdecken. Doch die Fragen in deinem Kopf benebeln dich; so sehr, dass du das lautstarke Türschlagen des Zimmerbesitzers mit einem Kreischen kommentierst und beinahe an einem Herzinfarkt verendet wärst.
Mit polternder Pumpe und Schnappatmung blickst du zu dem pfeifenden Sportler, der deinen Schock entweder ignoriert oder wirklich nicht bemerkt hat. Bei den Essensbergen, die sich auf seinem Tablett häufen, wäre letzteres kein Wunder. Er stellt die Unterlage summend auf den Tisch und mustert dich in deiner verschreckten Position.
„ Birdie. Was machst du denn mit den Zeitschriften meiner Oma?"
Lachend kommt er dir entgegen und sammelt die Stapel sorgsam auf, ehe er sie mühelos zur Treppe schleppt und schließlich herunter ruft:
„ O-bāsan! Deine Magazine!"
„ Huh? Apfelsine? Um die Zeit?"
„ Nein! Deine Magazine liegen auf den Stufen!"
„ Ich weiß, du hast gerufen!"
„ Ja! Ich sagte, die Hefte von dir liegen auf den Treppenstufen!"
„ Ja, Koko! Ich habe noch Kuchen!"
Der Ältere überlegt tatsächlich, ob er die Schwerhörigkeit seiner Großmutter ausnutzen sollte, um etwas Nachtisch abzugreifen, an den er nicht gedacht hat. Aber er beschließt, die Tür einfach zu schließen und sich zu dir umzudrehen. Dort begegnet er deinem argwöhnischen Blick und legt den Kopf verwundert in die Schieflage.
„ Was guckst du denn so, Vögelchen? Hab ich mich irgendwo mit Soße bekleckert?"
Eilig mustert er die Ärmel und den Brustbereich seines dunklen Oberteils und zuckt die Schultern, als er nicht fündig wird. Schließlich schiebt er die großen Hände in die Seitentaschen seiner Hose und mustert dich mit neugierigem Blick.
„ Nun sag schon: was guckst du so?"
Du seufzt leise und löst die Verschränkung deiner Arme. Dein Kopf raucht regelrecht und die fröhliche Stimmung des Ahnungslosen bringt dich nicht weiter. Also gibst du es auf und winkst einfach ab.
„ Ist schon okay. Was hast du da?"
Du schlenderst in seine Richtung und musterst die Leckereien, die der Gefräßige in seinen Bau geschleppt hat. Ihr beide versteht unter Knabbereien wohl andere Dinge.
Während du mit Chips, Nüssen oder auch Süßigkeiten gerechnet hast, hat Bokuto dein mitgebrachtes Party-Fleisch auf seinem Teller drapiert - alles davon.
Und in einer geteilten Nebenschale findet sich eine Ansammlung selbstgemachter Soßen für Chips, Brote und andere Köstlichkeiten. Du greifst also direkt nach dem kleineren Übel und häufst dir ein paar Snacks auf einen kleinen Teller.
Dein Gegenüber schnappt sich hingegen natürlich die Stäbchen und verschlingt dein gefertigtes Yakiniku in schnellen Hapsen. Du gießt euch beiden etwas zu trinken ein und musterst den schmatzenden Kapitän amüsiert.
„ Dass du dich nicht verbrennst, ist mir ein Rätsel."
Selbst die Dämpfe, die aus dem frisch aufgewärmten Fleisch aufsteigen, brennen dir schon heiß in der Nase. Dass er die Stücke so mühelos herunterschlingen kann, ohne einen Ton, ist wirklich verwunderlich. Irgendwo auf der Welt gilt das sicher auch als Talent.
„ Wenn du deinen Traummann beschreiben müsstest, Birdie. Wie sähe der aus?"
Du verschluckst dich beinahe an einem Chip.
Ironisch, dass er ganze Fleischberge herunterschlingen kann, wie eine Anakonda ihre Beute.
Aber du verschluckst dich an etwas, das nicht mal ein Zehntel von seiner Mahlzeit darstellt.
Schnell nutzt du die Wartezeit, um deine Kehle mit Wasser durchzuspülen und blickst ratlos auf deinen Teller. Wie solltst du ihm klar machen, dass dieser „Traummann" direkt vor dir sitzt, ohne, dass er das kapiert? Du druckst nachdenklich herum und beißt dir auf die Lippe.
„ Naja... Aussehen war mir nie sonderlich wichtig. Zumindest hatte ich kein Ideal."
Das war nicht mal gelogen. Vor ihm hast du dir wenige Gedanken um die Haarfarbe, die Statur oder den Geruch eines Menschen gemacht. Du weißt nicht mal mehr, wieso du dich damals in Ten verliebt hast - oder zumindest geglaubt hast, dass es so wahr.
Doch jetzt wo du diesen Jungen vor dir sitzen siehst, weißt du, dass sich das geändert hat.
Dein idealer Partner muss wildes Haar haben, am besten besonderes. Zweifarbig wäre schön.
Seine Augen müssen strahlen wie die Sonne und gleichzeitig funkeln wie ein verloren geglaubter Schatz.
Und sein Geruch muss deine Sinne gleichermaßen beruhigen und auch beleben können.
Doch statt ihm all diese Gedanken mitzuteilen, zuckst du gespielt gleichgültig mit den Schultern und führst den Satz fort:
„ Er sollte nicht kleiner sein als ich."
Wow. Wie einfallsreich.
Und leider Gottes sogar auch zutreffend auf den Sportler, der dich gut überragt. Am liebsten hättest du dir einen Haufen Chips in den Mund gestopft, um vielleicht daran zu ersticken - und damit der Qual dieser Situation zu entkommen. Doch stattdessen lenkst du die Aufmerksamkeit von dir ab und stützt dein Kinn in die Hand.
„ Wie würde denn deine Traumfrau aussehen, Kōtarō?"
Er hält mit dem Kauen inne und überlegt wenige Sekunden, ehe er grinsend erwidert:
„ Glücklich."
Und damit scheint seine Antwort vollständig.
Doch du schüttelst den Kopf und beugst dich zu ihm, während er sich nun über die Chips und Soßen hermacht, die bis eben deine Leckerei waren. Schnell schnappst du dir noch eine Handvoll der salzigen Snacks und verstaust sie außer Reichweite, ehe du deine Frage ausbaust:
„ Ich meine eher äußerlich."
Er hält inne und kaut mit grüblerischem Blick auf den Kartoffelhappen herum.
Dein Herz hüpft nervös auf der Stelle und pumpt das Blut in schnellen Schüben durch deine Gefäße. Wie unter Strom gesetzt rutschst du unwohl auf deinem Hosenboden herum und willst deine Frage gerade zurücknehmen, als der Sportler lässig mit den Schultern zuckt und erwidert:
„ Sie muss ein schönes Lächeln haben."
Und mehr sagt er tatsächlich nicht.
Nach dieser ebenso lieblosen Erklärung wie deiner fühlst du dich entmutigt weiter nachzuhaken, greifst erneut nach den Leckereien und seufzt hilflos.
„ Küken?"
„ Hm?"
„ Lust unsere Körper in heißen Rhythmen zu bewegen?"
Du verschluckst dich hustend und klopfst dir fest auf den Brustkorb, während er dich noch immer mit schiefem Grinsen mustert. Nachdem du halbwegs wieder atmen kannst und deine Gesichtsfarbe nur noch leicht rot ist, wagst du es, deine Verwunderung auszudrücken:
„ Bitte was?"
Er runzelt die Stirn und deutet auf den Fernseher.
„ Willst du Just Dance mit mir spielen?"
Du blinzelst und reibst dir den Hinterkopf. Wieso muss dieser Idiot sich auch immer so zweideutig ausdrücken?
„ Oder wir gehen in mein Baumhaus."
Deine Augen weiten sich und deine Lippen ziert ein zaghaftes Lächeln.
„ Ich wollte schon immer ein Baumhaus betreten."
„ Dann ist heute dein Glückstag, HEY HEY HEYYYY!"
Und als er seine Finger mit deinen verschränkt, um dich aus dem Zimmer zu ziehen, glaubst du ihm tatsächlich.
Dieser Tag macht dich wirklich glücklich.


ミ๏v๏彡

✧ Owls Goals ✧ │Reader x BokutoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt