Arrangement

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Die Zeit steht still.
Der Schnee um euch herum scheint noch kälter zu werden und auf deine Organe überzugreifen.
Der Sauerstoff scheint sich mit den niedrigen Temperaturen zu verflüssigen, dein Mageninhalt gefriert zu einem schweren, Übelkeit bringenden Klumpen und deine Stimmbänder gefrieren zu Eis. Deine Stimme versagt - und Ten verliert die Geduld.
„ Hallo? Hörst du mich?"
Du hustest und blickst zweifelnd zu Kōtarō, dessen Blick undefinierbar auf dir liegt. Er zuckt die Schultern und grinst aufmunternd; doch es ist nicht so breit wie sonst.
Du lässt zu, wie das flüssige Gold seiner Augen deine Seele balsamiert und seufzt schwer.
„ Ich höre dich."
„ ... Gut. Hast du Zeit?"
Du blinzelst verdattert und blickst auf dein Telefon, als würden die Lautsprecher dir einen Streich spielen. Doch als er seine Frage seufzend wiederholt, kehren die Lebensgeister in dich zurück und deine Antwort schlittert über deine vereisten Stimmbänder:
„ Nein. Ich bin nicht in der Stadt." Ein ungläubiger Laut am Ende der Leitung ertönt.
„ Ah? Du bist verreist?" Du bejahst knapp und blinzelst, als Kōtarō sich in Bewegung setzt.
Nach zwei Wimpernschlägen folgst du ihm in Richtung der warmen Temperaturen eurer Unterkunft.
„ ...llo?"
Du seufzt leise und reibst dir die Schläfen. Dann blickst du auf das Handy und wünschst dir, der Akku würde verrecken. Doch er hält sich wacker. Verräter.
„ Ten. Ich habe keine Zeit."
„ Dann lass uns wenigstens telefonieren, Babe. Dafür hast du sonst auch Zeit gefunden."
„ Ich. Also-"
„ Birdie?! Kommst duuhuu?"
Stille.
Kurz blickst du auf dein Handy, um dich zu vergewissern, dass es nicht doch ausgegangen ist, doch Tens Nummer höhnt dir noch immer mit seinem Bild entgegen. Du musst deinen Hintergrund ändern. Und den Zahlencode.
Du setzt zu einer Antwort an, doch eine harte Stimme unterbricht dich.
„ Ich will dich nicht stören. Scheint, als hättest du dir wirklich schnell einen neuen Sportler angelacht."
Das trockene Auflachen versetzt dir einen Stich und du willst wütend etwas erwidern. Irgendwas, das seine Emotionen genauso durcheinander wirbelt, wie er deine. Doch der Bildschirm wird schwarz. Er hat aufgelegt.
Seufzend betrachtest du deinen Handybildschirm, der noch immer den dunkenden Sportler zeigt, und tippst die Zahlenfolge ein, die dir so vertraut vor kommt, dass du sie wohl blind eingeben könntest. Entmutigt senkst du den Blick und bist versucht, dein Telefon im Schnee zu versenken.
Er hat gewonnen. Schon wieder.
„ Küken?"
Die warme Stimme des Volleyballers reißt dich aus deinen melancholischen Gedankengängen.
Goldene, warme Seelenfenster schmelzen das Eis deiner Sorgen langsam hinfort und hinterlassen eine angenehme Hitze in den geheilten Regionen. Du lächelst milde und zuckst unbeholfen mit den Schultern, ehe du das Handy in deine Jackentasche legst und deine Hände hinter her schiebst.
„ Das war Ten."
Der Kapitän hebt eine buschige Braue, während ein Auge sich verengt. Der fragende Ausdruck lässt dich leise schmunzeln und voran gehen. Du musst wirklich in die Wärme.
Der Schnee unter euren Sohlen knirscht erneut.
Doch während er vorhin entspannend und melodisch geklungen hat, kommt er dir nun brüchig vor.
Unsicher.
Ein Zeichen, dass ihr auf kleinen Eispartikeln lauft, die nur als großes Ganzes euer Gewicht halten können.
Du seufzt schwer, als du den Hellhaarigen zu dir aufschließen hörst und blickst gen Himmel.
Wolken ziehen auf und vertreiben die klare Schönheit der Sterne.
„ Du bist traurig."
Dein Blick hebt sich und dein Blinzeln drückt deine Überraschung aus. Bokutos Feststellung verwundert dich. So viel Scharfsinn schlummert zwar in ihm, doch nach außen trägt er ihn eher selten. Du lachst tonlos und zuckst hilflos mit den Schultern, ehe ihr beide das rote Tor eurer Anlage passiert. Als du vor den Stufen verharrst, hält auch der Ältere inne und blickt zu dir.
„ Weil... du hier bist?"
Du reißt erschrocken die Augen auf und siehst zu deinem Senpai, dessen Augen in der Dunkelheit zu leuchten scheinen. Nach ein paar Sekunden der unangenehmen Stille, weitest du die Augen noch mehr und realisierst, was er gerade gesagt hat. Oder eher: was er gemeint hat.
„ Nein! Ich... ich bin froh, Abstand gewonnen zu haben. Die Zeit mit euch Chaoten tut gut."
Das Lächeln, das auf deinen Lippen zittert, überzeugt den Größeren nicht sofort. Doch als seine Augen sich von deinem Mund zu deinen Seelenspiegeln bewegen und die versteckte Botschaft in ihnen suchen, seufzt er und nickt schließlich.
„ Lass dich nicht verunsichern, Birdie!"
Nach einem halbherzigen Schulterklopfen schiebt er dich euphorisch die Treppen herauf und klopft sich etwas Schnee von der Jacke und den Haaren. Du beobachtest ihn dabei und denkst noch mal an das Gespräch, das ihr bis eben geführt habt.
Denn seine Frage war nicht nur unerwartet; sondern auch berechtigt. Was seid ihr beiden?
Definitiv mehr als Mentor und Schülerin.
Du legst den Kopf schief und musterst Bokutos Profil.
Seine spitzbübische Nase, deren Flügel immer neue Möglichkeiten für Unsinn wittern.
Seine vollen Lippen, deren Winkel stets nach oben zeigen.
Und schließlich seine dichten und vollen Wimpern, die die Spiegel seiner Seele umrahmen.
In kurzer Zeit ist der Volleyballer eine wichtige Stütze für dich geworden.
Ein Freund.
Du verziehst die Mundwinkel, als sich das Wort in deinem Kopf merkwürdig anhört.
Wie würde es dann bitte auf deiner Zunge schmecken? Bitter. Faul. Falsch.
Du leckst dir über die Lippen und klopfst deine schmerzenden Füße am Holz der Treppe ab.
Die Eiskristalle klirren vereinzelt auf den Stufen und deine roten Fingerspitzen ziehen den Schal von deinem verkühlten Gesicht.
„ Ich brauche dringend einen Tee."
Kōtarō sieht zu dir und öffnet bereits im Gehen seine Jacke, ehe er breit grinsend nickt.
„ Und ich habe Hunger!"
„ Ernsthaft?"
Du lachst leise und folgst ihm in die angenehme Wärme des Hausflurs. Ein wohliger Seufzer teilt deine Lippen und wird von den holzvertäfelten Wänden um euch verschlungen. Kōtarō streckt sich jauchzend wie ein Eulenküken vor dem ersten Flug und schüttelt sich, als würde er die geschmolzenen Flocken von sich treiben wollen.
„ Das war lustig. Das sollten wir öfter machen, Birdie."
Du blinzelst, als du dich aus der Jacke geschält hast und lächelst warm, als seine Worte dich nun auch von innen heizen.
„ Das finde ich auch."
Er strahlt noch breiter und schließt seine Augen in Euphorie, während seine Zähne mit dem Schnee draußen um die Wette funkeln. Du schüttelst leise lachend den Kopf und hängst deine Jacke auf - und deinen Schal hinterher - als die warme Stimme deines Begleiters erneut ertönt.
Tief und warm an deinem Ohr.
„ Was ich vorhin gesagt habe..."
Eine Gänsehaut verteilt sich auf deiner kühlen Haut und lässt deine Härchen in sie stechen wie feine Nadelspitzen. Eilig reibst du dir die verräterisch aufgestellten Armhaare platt und ziehst deinen Ärmel sicherheitshalber drüber, ehe du lässig über die Schulter blickst.
„ Ja?"
Der Ältere runzelt die Stirn und beobachtet, wie du dich neugierig umdrehst und die Hände hinter dem Rücken verschränkst. Kurz weicht sein Blick deinem eigenen aus, ehe er den Mund öffnet, um dir etwas entgegen zu schreien:
„ BIRDIE, ICH-"
Doch er wird von einem viel lauteren Geräusch übertönt und damit mitten im Wortschwall unterbrochen.
„ JA! oh ... warte... JA, JAAA! Genau so, Akaashi!"
Erschrocken wirbelt ihr herum und blickt einander in die Augen. Bokutos Schädel glüht strahlend rot und auch deine eigene Birne ist wohl alles andere als natürlich blass. Du räusperst dich und willst etwas erwidern, doch deine Freundin ist noch nicht fertig.
„ Mehr! Fester! G-Gleich.... JA! Perfekt!"
Ihr beide blickt einander entgeistert an und weicht auch sofort euren Blicken wieder aus.
Du willst einfach den Rückzug antreten - und Rakūn dafür verfluchen, dass sie den Moment zwischen dem Volleyballer und dir gestört hat - ehe du fest am Handgelenk gepackt wirst.
„ Kōtarō. Was wird-"
Doch du kommst gar nicht dazu, zu widersprechen.
Denn der Stärkere zerrt dich kurzerhand hinter sich her - direkt in Richtung der peinlichen Geräusche.


✧ Owls Goals ✧ │Reader x BokutoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt