Kapitel 8

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Es dämmerte bereits, als sie sich den Stadttoren näherten.
Und das, obwohl sie ihren Ausritt nach dem blutigen Zwischenfall beendet hatten.
Angelie hatte Recht behalten und das Lager der Banditen gefunden und dazu einiges an Wertgegenständen, die die beiden daraufhin selbst versteckt hatten.
Irgendwann würden sie zurück kommen und das wertvolle Gut mit Satteltaschen abholen.
Fürs Erste hatten sie sich mit einem frischen weißen Hemd für Angelie und einem schwarzen Kapuzenumhang für Clopin abgefunden.
Der Zigeuner weigerte sich ein anderes Oberteil anzuziehen, bestand darauf, dass er das Blut mit einem kleinen Trick entfernen konnte.
Bis auf dieses Gespräch über Kleidung und was man mit den gefundenen Wertgegenständen tun sollte, hatten sie sich wieder angeschwiegen.
Es war ein einvernehmliches Schweigen, auch wenn es Clopin in den Fingern juckte nachzufragen, die aufgekommenen Fragen und Mysterien zu beantworten, das Feuer in seinem Körper zu besänftigen.
Angelie hingegen gab sich ahnungslos, ignorierte die brennenden Blicke der dunklen Augen, wollte sich nicht den Dämonen stellen, die mit ihrer Vergangenheit zurück kehren würden.
Sie konnte nur eines dieser Monster zähmen und das war die kaltherzige Schlange des Mordes.
Sie empfand keinen Spaß bei dieser Angelegenheit, aber sie war jederzeit bereit das Leben eines anderen als Minderwertig anzusehen und es zu beenden, wenn ihres dadurch gerettet wurde.
Erst hinterher bereute sie ihr Handeln, aber auch dann nicht für lange – denn was geschehen war, war geschehen. Es bestand kein Sinn darin, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Dennoch war Angelie froh, wenn sie sich in ihrer kleinen Wohnung mit einer Flasche Rotwein in ihr Bett verziehen konnte, ungestört von der Welt und ihren eigenen Gedanken.
Doch dafür mussten sie erst einmal in die Stadt gelangen und dies schien schwieriger zu werden, als gedacht.
Die sonst immer geöffneten Tore waren im Verlauf des Tages geschlossen worden, die Menschen die in die Stadt gelangen wollten, mussten sich nun einer gründlichen Kontrolle unterziehen und man konnte schon von weitem erkennen, dass die schwarzen Soldaten nicht zimperlich mit dem Volk umgingen.
Gerade konnte man beobachten, wie eine Gruppe Männer und Frauen an Händen und Füßen miteinander verkettet abgeführt wurden, die bunten aber abgetragenen Kleider zeichneten sie eindeutig als Zigeuner aus.
Niemand geringeres als der Richter Frollo höchst selbst überwachte die Kontrollen, an seiner Seite der in goldener Rüstung steckende Hauptman Phoebus de Châteaupers.
Ein wütendes Knurren an ihrer Seite ließ Angelie aus ihren Beobachtungen auftauchen und sie wandte sich Clopin zu.
Der Zigeuner hatte sein Pferd gestoppt und den mordlustigen Blick auf den Richter geheftet, die Hände verkrampften sich um die Zügel.
„Der schwarze Tod geht um", murmelte er leise, versuchte einen Wutschrei zu unterdrücken.
Warum nur?
Warum musste das geschehen, wenn er nicht da war?
Wenn er seine Leute nicht beschützen konnte?
„Ist alles in Ordnung, Clopin?"
„Nein, gar nichts ist in Ordnung", zischte er zurück und er konnte an ihrem Gesichtsausdruck ablesen, dass sie sich selbst für diese dumme Frage schalt.
„Zusammen werden wir nicht in die Stadt kommen...", wechselte sie deswegen das Thema und er nickte nur, wollte seinen Zorn nicht gegen sie richten.
„Ich werde schon einen Weg hinein finden, mach dir darüber keine Gedanken. Jedoch werde ich Luminosité bei dir lassen. Ich häng an diesem Pferd, also kümmere dich gut um sie, bis ich sie wieder abholen komme", forderte er und sie nickte stumm, senkte den Blick.
„Du wirst doch wieder kommen, oder?"
„So schnell kriegt dieser Teufel mich nicht", entgegnete Clopin sicher, verengte die Augen zu Schlitzen, starrte noch immer auf den Richter.
„Solltest du ein Versteck brauchen, dann zögere nicht bei mir zu klopfen", bot sie ihm plötzlich an und er warf ihr einen überraschten Blick zu.
„Ich danke dir."
„Es gibt nichts zu danken. Dafür sind Verbündete doch gut, oder nicht?"
Trotz aller Umstände stahl sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht.
„Und nun solltest du verschwinden, bevor dich doch noch jemand als Zigeuner erkennt", murmelte sie und er wusste, dass sie recht hatte.
„C'était un honneur, mademoiselle. Ich hoffe, dass wir uns nicht im Zuge der Verfolgung wieder sehen..."
„Das wäre wirklich zu wünschen", seufzte sie und erwiderte die leichte Verbeugung, die er ihr entgegenbrachte.
„Au bientôt et bonne nuit."
„Dir auch, Clopin", murmelte Angelie und sah ihm dabei zu, wie er den schwarzen Hengst von der Stadt abwandte und dann im Schatten des Waldes verschwand.
Sie hoffte nur, dass er tatsächlich unbehelligt in die Stadt zurück kehren würde.
Frollo hatte es nicht verdient, auch nur über einen einzigen Menschen in dieser Stadt richten zu dürfen und es wurde langsam Zeit, dass sich die Pariser dessen bewusst wurden...
Angelie atmete tief durch, beruhigte sich und ritt dann im gemäßigten Schritt auf die Stadttore zu.
Ein paar Bauern wichen vor dem Pferd zurück, ließen ihr den Vortritt.
„Stehen geblieben! Wer seid Ihr und was wollt Ihr in Paris?", bellte einer der Soldaten und Angelie zügelte die Schimmelstute, sah auf den kleinen dicken Mann in seiner schwarzen Rüstung hinab.
„Ich bin doch nur eine einfache Bürgerin der Stadt Paris, warum wollt Ihr etwas von mir?", entgegnete sie gespielt verwirrt, legte den Kopf schief.
„Eine einfache Bürgerin, eh? Woher kommt dann das Pferd?"
„Von meiner Familie auf dem Land", antwortete sie ruhig und der Soldat hob wenig überzeugt eine Augenbraue.
„Nun, ich glaube eher, Ihr habt das Pferd gestohlen. Außerdem ist Eure Kleidung nicht die einer anständigen Frau..."
Er verstummte kurz, musterte sie, gab sich keine Mühe seine Lust zu verstecken.
Nicht schon wieder so einer...
„Was gibt es hier für ein Problem?"
Beide richteten ihren Blick auf den Hauptman, der sie mit vor der Brust verschränkten Armen musterte.
„Diese Frau hat das Pferd gestohlen", behauptete der Soldat hastig, griff bereits nach dem Schwert.
„Entschuldigung, aber das Pferd gehört meinem Bruder und ich habe es für ein paar Wochen geliehen, damit ich nötige Einkäufe transportieren kann", spann sie ihre Lüge weiter und der Hauptman musterte sie kurz.
„Kennen wir uns von irgendwo her?"
„Flüchtig, Monsieur. Besser habe ich das Hinterteil ihres Pferdes kennengelernt, nachdem ihr Anblick so blendend war", gab sie zurück und sein Gesicht hellte sich auf, dann gluckste er amüsiert.
„Noch immer nicht auf den Mund gefallen. Dann kommt mal rein, Mademoiselle. Ich hoffe, dieser Wicht hat Euch nicht allzu sehr belästigt", fügte er an und Angelie schüttelte lächelnd den Kopf.
„Es war nichts, mit dem ich nicht zurecht kommen würde", erwiderte sie und Phoebus fuhr sich durch die blonden Haare, gab ihr den Weg in die Stadt frei.
„Dann wünsche ich noch einen schönen Abend, mademoiselle", rief er ihr hinterher, als sie wieder anritt.
„Ihnen auch, Hauptman", gab sie zurück, dann ließ sie die Stadttore hinter sich.
Gott sei Dank!
Die Straßen selbst in Paris waren bis auf patrouillierende Soldaten leer, der Wind eisig, die Stimmung düster.
Eine schlimme Vorahnung lag in der Luft, jagte Angelie einen Schauer über den Rücken.
Gegen ihre Vermutung erreichte sie ihren kleinen Laden unbehelligt, band die Stute erst einmal in ihrem kleinen Garten an. Morgen würde sie sich nach einer Stallung umsehen, in welcher sie die Stute unterbringen konnte.
Erschöpft schleppte sich die junge Frau die Treppenstufen in ihre Wohnung hinauf, entdeckte dort einen Zettel auf ihrem Tisch.
Noch bevor sie die unauffällig kleine goldene Feder sah, wusste sie von wem die Nachricht war.
Es war nur ein kurzer Satz, in dem Clopin ihr Hilfe versprach, sollte sie welche brauchen. Dafür müsse sie nur im „Philosoph des Weines" bei Wirt Pierre die goldene Feder vorzeigen und dieser würde Kontakt mit Clopin aufnehmen.
Dankbar über diese kleine Geste legte sie die kleine goldene Feder zwischen Buchdeckel und erster Seite ihres leeren Buches, dazu die Notiz und nahm alles mit in ihr Schlafzimmer, wo sie es auf ihrem Nachttisch positionierte.
Zu müde um noch nach einer Flasche Wein zu suchen entledigte sich ihrer Kleidung, zog den Dolch aus ihrem rechten Stiefel und warf ihr schwarzes Nachthemd über.
Die Haare fielen ihr ins Gesicht, als sie sich mit einem schweren Seufzer auf ihre Strohmatratze fallen ließ.
Bereits im gleichen Moment schlief sie ein.

Tales of a gypsy and a fox  - BeginningsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt