Kapitel 6

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Sie schloss die Tür hinter sich ab und band sich den Schlüssel wie am Vortag um den Hals.
Clopin war in einer kleinen Gasse verschwunden und hatte sie aufgefordert vor ihrem Laden zu warten, was sie auch mehr oder weniger begeistert tat.
Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie eine richtige Entscheidung damit traf, diesem seltsamen Mann zu vertrauen.
Diesem Mann, dessen Gemütslage schwankte wie das Wetter, der kindisch und dann doch sehr berechnend war.
Noch dazu konnte sie nicht einschätzen, was Trouillefou wirklich von ihr wollte.
Suchte er schnellen Spaß, eine Bekanntschaft, einen Helfer, einen Freund oder nur einen Schutz vor den Wachen...?
Egal was es war, für Angelie war es zu spät es sich doch noch einmal anders zu überlegen, denn in diesem Moment kam Clopin zurück. Als er ihr überraschtes Gesicht sah, stockte er.
„Jetzt sag mir nicht, du kannst auch nicht reiten", stöhnte er und lehnte sich auf dem Rücken des schwarzen Hengstes, auf dem er saß, zurück.
Sie antwortete jedoch nicht, sondern saß schneller auf dem Rücken der weißen Schimmelstute, die er am Zügel geführt hatte, als er „Wunderhof" hätte sagen können.
Er beobachtete das helle Blitzen ihrer Augen und klopfte sich mental selbst auf die Schulter.
Das hatte ihm schon einmal Pluspunkte gebracht...
Angelie streichelte das Pferd, kraulte es hinter den Ohren, stockte dann plötzlich.
„Die sind doch nicht irgendwo gestohlen, oder?"
Bei dieser Frage verfinsterte sich Clopins Gesicht ungewollt und er schnaubte empört.
„Weshalb sollten sie gestohlen sein? Weil ich ein Zigeuner bin, oder? Hältst du mich wirklich für so dumm etwas so auffälliges wie Pferde zu stehlen, während Frollo meine Leute schon für Kleineres Auspeitschen und Hinrichten lässt?", knurrte er und schallt sich im nächsten Moment einen Narren für seinen unangebrachten Tonfall.
Doch anders als er erwartet hatte zuckte sie nicht zurück, stieg auch nicht ab oder war verlegen. Sie legte den Kopf leicht schief, hielt seinem Blick stand.
„Ich wollte nur Sicher gehen, Clopin. Damit ich weiß worauf ich mich heute einlasse", antwortete sie ruhig und er atmete tief durch.
„Obscurité und Luminosité befinden sich in meinem Besitz seit sie alt genug sind einen Wagen zu ziehen – in meinem Fall den Wohnwagen mit dem ich durch die Gegend gezogen bin", erklärte er betont ruhig und sie hielt noch immer den Kopf schief.
„Gezogen bist?"
„Es war nur eine relativ kurze Zeit in der ich unterwegs war...als ich hörte was Frollo anrichtet bin ich in meine Heimatstadt zurück gekommen. Gab einiges an Chaos", fügte er an, gab ihr aber gleichzeitig zu verstehen, dass er nicht weiter darüber reden wollte.
Sie akzeptierte seinen Wunsch, auch wenn sie doch neugierig auf die Vergangenheit dieses Mannes war.
„Nun gut – wohin?"
Er blinzelte kurz, dann erhellte sein breites Lächeln wieder sein Gesicht.
„Das wirst du schon sehen, Angelie", verkündete er und setzte sein Pferd in Bewegung. Angelie folgte ihm, schob alle Zweifel, die noch in ihrem Kopf herum spukten beiseite.
Sie wusste wie sie überleben konnte und es war so lange her, dass sie die Freiheit eines Ausrittes genießen konnte, dass sie nicht vor hatte, den ganzen Tag mit Nachdenken zu verbringen.
Die beiden Pferde schritten gemächlich durch die fast leeren Gassen, nur selten sahen sie ein Kind oder einen halbwegs nüchternen Erwachsenen.
Die Stadt war still, beinahe wie ausgestorben, kalt.
Schweigen senkte sich automatisch über Clopin und Angelie, wären ihre Stimmen auch unnatürlich laut zwischen den Mauern verhallt.
Clopin führte Obscurité zielstrebig zu einem kleinen Gasthaus – dem „Philosoph des Weines".
Das Gasthaus war geschlossen, die dreckigen kleinen Fenster mit Vorhängen zugezogen. Das schmiedeeiserne Schild über der Tür – welches einen Kelch und eine Weinrebe zeigte – schwang in einer sanften Brise leicht hin und her.
Von hier aus wollte er den neuen Weg aus der Stadt testen und sehen wie schnell dieser maximal bewältigt werden konnte.
Zum Beispiel mit einem Pferd im vollen Galopp.
„Du hattest doch nicht etwa vor, mich einfach nur abzufüllen, oder?", brummte Angelie und er warf ihr einen gespielt beleidigten Blick zu.
„Das würde mir nie im Traum einfallen, mademoiselle", log er, legte sich gleichzeitig eine Hand übers Herz.
„Also ich dachte du wärst ein besserer Lügner", meinte sie und er legte verwundert den Kopf schief.
Sie war die erste Frau, die er mit diesem Spruch nicht hatte überzeugen können...
Das versprach interessant zu werden!
Aber er durfte sich jetzt nicht zu sehr ablenken lassen...
„Du nennst mich einen Lügner?"
„In dieser Angelegenheit schon", entgegnete sie und er warf einen kurzen Blick auf die Straßen, dann grinste er sie herausfordernd an.
„Dann fordere ich dich hiermit heraus! Ich werde es schaffen, schneller aus der Stadt zu kommen als du", behauptete er und Angelie sah sich ebenfalls noch einmal um, dann warf sie ihm einen frechen Blick zu.
„Je tiens le pari! Au bientôt, Clopin", rief sie, versetzte Luminosité einen Stoß in die Flanken, woraufhin das Pferd vorwärtssprang.
Keine Sekunde später verschwand auch der grinsende Zigeunerkönig im halsbrecherischen Galopp in den Gassen der Stadt.

Tales of a gypsy and a fox  - BeginningsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt