Der Morgen dämmerte bereits, als die letzten Soldaten die Flucht ergriffen.
Frollos Todessturz hatte sie verunsichert, aber ihr Hass war größer gewesen. Auch wenn ihr Herr von Trümmern erschlagen und von kochendem Blei verbrannt war, hatten sie den Angriff nicht abgebrochen.
Aber nun waren sie so in der Unterzahl gewesen, dass sie ihr Heil doch lieber in der Flucht gesucht hatten.
Die Feuer verloschen ebenfalls langsam und die aufgehende Sonne offenbarte einen wolkenlosen Himmel.
Es versprach ein schöner Tag zu werden...
Clopin lehnte sich gegen seine Sense, sah dem letzten schwarzen Soldaten hinterher, bevor er seine Aufmerksamkeit auf den Schauplatz dieser Schlacht richtete.
Menschen fielen sich um den Hals, andere sammelten Verwundete auf, wieder andere entdeckten gefallene Familienmitglieder.
Er selbst hielt nach zwei Personen Ausschau, eine von ihnen fand er mühelos.
Jehan humpelte auf ihn zu, Blut verkrustete seinen rechten Oberschenkel, aber auf den skeptischen Blick seines Königs hin, winkte er nur ab.
„Es ist ein Kratzer, wir haben Männer und Frauen mit schlimmeren Verletzungen", schnaufte er und stützte sich auf sein Schwert.
„Gibt es schon eine Übersicht, wie viele wir verloren haben?"
„Noch nicht...Aber es sind bereits alle unterwegs und suchen ihre Angehörigen zusammen. Viele Pariser haben angeboten Verletzte zu versorgen..."
„Dann sollten wir dieses Angebot dankend annehmen. Alleine würden wir es sonst vermutlich nicht schaffen alle Verwundeten zu versorgen", entgegnete Clopin und Jehan nickte.
„Scheint wohl so...Hat man schon was von Esmeralda gehört?"
Clopin schüttelte den Kopf, richtete den Blick zu den Türmen der Kathedrale.
„Ich denke jedoch, dass sie bald kommen werden... Hast du Angelie gesehen?"
„Ist sie nicht bei dir?"
Clopin hob missbilligend eine Augenbraue.
„Wenn sie das wäre, hätte ich nicht gefragt. Wir haben uns in der Schlacht verloren und ich möchte sichergehen, dass sie nicht..."
„Tut mir leid, aber ich hab sie auch nicht gesehen. Ich werde jedoch die Augen offen halten..."
Clopin nickte, atmete tief durch.
„Sammle die Waffen ein und bring sie zurück zum Karren. Sobald wir ihn wieder in den Hof gebracht haben, soll Petre anfangen sie auszubessern und die Klingen wieder schärfen."
Jehan nickte grimmig, nahm Clopin die Sense ab, als dieser sie ihm reichte.
„Auch sonst, wer nicht verwundet ist, keinen Toten zu beklagen hat oder den Verletzten helfen kann, soll zurück in den Hof gehen und dort mit den Aufräumarbeiten beginnen. Diese Blechdosen werden vermutlich einiges an Zerstörung hinterlassen haben", befahl Clopin weiterhin.
„Nimm dir noch ein paar Männer oder Frauen und stell mir außerdem einen genauen Überblick über Verluste und Verletzte zusammen, bis ich in den Hof zurück kehre. Das war vorerst alles", schloss er und Jehan verneigte sich leicht.
„Darf ich fragen, was du inzwischen unternimmst?"
„Ich werde helfen wem ich helfen kann, auf Esmeralda warten und nach Angelie suchen", antwortete er knapp und wandte sich dann von Jehan ab, wollte nicht länger mit dem anderen Zigeuner reden.
Er hatte seine Aufgaben bekommen und wenn er ihm nicht helfen konnte Angelie zu suchen, dann sollte er Clopin auch nicht davon abhalten.
Die Sonne stieg immer höher, während er durch die Massen stromerte, Verletzten auf die Beine half und sie hilfsbereiten Menschen übergab, Toten die Augen schloss oder dabei half die Leichen der Soldaten auf einen Karren zu verladen.
Inzwischen hatte er herausgefunden, dass man die Leichen verbrennen wollte, vor allem nachdem einige von den Männern entweder schon von den Flammen berührt worden waren oder über den Verlust mehrerer Körperteile nicht wieder zusammen zu setzen waren.
Er wusste, dass er für Letztere verantwortlich war und es zauberte ihm ein gehässiges Grinsen aufs Gesicht, wann immer er einen abgetrennten Kopf sah.
Nur von Angelie fehlte weiterhin jede Spur.
Erstaunlich schnell erinnerten nur noch die Blutspuren auf dem Boden an die Schlacht, ebenso die bleiernen Bäche, die sich tief ins Gestein gebrannt hatten.
Es würde noch ein paar Wochen dauern, bis auch diese Denkmäler beseitigt waren.
Wie es nach einer siegreichen Schlacht zu erwarten war, erhob sich langsam eine Hochstimmung in der Menge, wurde den Menschen bewusst, dass sie tatsächlich über Frollo gesiegt hatten.
Das Quasimodo derjenige gewesen war, der die direkte Konfrontation mit dem Richter hatte, schien niemanden zu interessieren – immerhin hatten sie gegen die Scharen der schwarzen Soldaten bestanden.
Die unverletzten Männer fielen sich in die Arme, Frauen und Kinder vereinten sich mit ihren Ehemännern und Vätern, die Menge wurde wieder größer, noch unübersichtlicher.
Wenn er Angelie jemals finden wollte, brauchte er eine erhöhte Position, etwas von wo er alles im Blick behalten konnte...
Eine Fahnenstange fiel in sein Blickfeld und auch wenn sein geschundener Rücken protestierte, zog er sich an ebendieser nach oben, verkeilte seine Füße so, dass er nicht wieder herunterrutschten würde und sah sich um.
Er suchte nach diesen einzigartig honigfarbenen Haaren, nach schwarzer Kleidung, einem Kapuzenumhang...
Die plötzlichen Jubelrufe der Menge veranlassten ihn seinen Blick zur Kathedrale zu wenden und er atmete erleichtert auf, als seine kleine Esmeralda aus dem Tor schritt, zwar Hand in Hand mit diesem Blondie, aber immerhin am Leben – und noch dazu schien sie unverletzt.
Sie traf seinen Blick, lächelte ihn an, dann wandte sie sich plötzlich dem Kirchentor zu, spähte in die Schatten.
Er ahnte was sie vor hatte, erwartete neugierig die Reaktionen.
Zögerlich nahm Quasimodo Esmeraldas Hand an, ließ sich von ihr aus der Kathedrale leiten, die Menge verstummte, unsicher.
Bis ein kleines blondes Mädchen aus der Menge trat, vorsichtig den jungen deformierten Mann in die Arme schloss.
Clopin hatte sie schon einmal gesehen – sie hatte einige seiner Aufführungen besucht.
Deswegen mochte er Kinder so sehr...ihre Seelen kannten keine Vorurteile, ihr Verstand keine rationalen Handlungen, ihr Herz dafür war rein und offen, ihre Fantasie grenzenlos. Kinder waren die wahren Wunder dieser Welt.
Das Mädchen nahm Quasimodo an der Hand, wollte ihn in die Menge bringen, doch diese wich vor ihm zurück.
Das war nicht fair...
„Hoch lebe Quasimodo!", rief er laut durch die Stille, erinnerte die Menschen daran, dass es der Glöckner gewesen war, der sich Frollo in den Weg gestellt hatte.
Und tatsächlich nahmen sie den Buckligen in ihre Mitte, feierten ihn wie einen Helden.
Clopin bemerkte das dankbare Lächeln Esmeraldas und zuckte mit den Schultern, bedeutete ihr, dass es eine Kleinigkeit gewesen war.
Noch einmal warf er einen Blick über die Menge, doch Angelie blieb weiterhin verschwunden.
Seine gute Laune, die er beim Anblick dieser kindlichen Güte verspürt hatte, verblasste und ein bitterer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus.
Er musste sich wohl damit abfinden, dass er Angelie nicht wieder sehen würde...
Mit einem schweren Seufzer ließ er sich von der Stange gleiten, verzog das Gesicht aufgrund der Schmerzen.
Vielleicht sollte er mit Esmeralda reden...sie würde ihm definitiv bei der Suche helfen.
„Wo willst du denn hin?", piepste es hinter ihm und er warf einen Blick über die linke Schulter, fand sich Auge in Auge mit Klein-Clopin wieder.
„Petit-moi! Aber was...?"
„Da war jemand aufmerksamer als du und hat mich nicht einfach im Dreck liegen gelassen, Kindskopf", piepte es erneut und diesmal wandte er sich komplett um, vergas seine Wunden und schloss die Blondhaarige in die Arme.
„Angelie...ich dachte schon an das Schlimmste", murmelte er in ihre Schulter und sie erwiderte die Umarmung, hatte zu seinem Glück ihre Hände von hinten auf seine Schultern gelegt.
„So schnell bringt man eine Renard nicht um...Außerdem hatte ich doch Klein-Clopin der auf mich aufgepasst hat", scherzte sie und er hielt sie noch immer fest, fing jedoch erleichtert an zu lachen.
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Tales of a gypsy and a fox - Beginnings
FanfictionEs herrschen dunkle Zeiten unter Frollo in Paris. Zigeuner werden gejagt, auch die einfache Bevölkerung hat es nicht leicht. Als am kunterbunten Tag die Zigeunerin Esmeralda sich gegen den Richter wendet, verschärft sich die Situation dramatisch. De...