acht

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Am liebsten hätte Seungmin seinem Vater Vorwürfe gemacht, da er einfach so reinplatzte. Auch wenn dieser theoretisch nicht wissen konnte, dass Hyunjin da war, wusste der Blonde, dass der alte Mann dies aus purer Absicht tat, um ihn erneut von seinem Freund zu distanzieren, obwohl er das genaue Gegenteil haben wollte. Er wollte bei seinem großen Freund sein, ihn küssen, mit ihm kuscheln und die Zeit mit ihm zusammen verbringen. Aber all das wurde für den heutigen Tag zunichte gemacht. Seine Freude schien verflogen und als er das kleine, gar altmodische Café betreten hatte, lief er mit einem genervten Blick in die kleine Abstellkammer und zog eine schwarze Schürze heraus, die er sich um seine Taille band.

Die ganzen Menschen, die sich hier versammelt hatten und die entsprechende Lautstärke bereiteten ihn jetzt schon Kopfschmerzen. Stark zweifelnd wusste er nicht, ob er den heutigen Tag überleben würde oder ob er den Verstand verlor und seinen Eltern Vorwürfe machte. Seungmin hasste Streit, doch noch viel mehr hasste er die Ungerechtigkeit, die ihm das Ehepaar schenkte. Das Schlimme an der Sache war, dass das Ganze viel eher von seinem Vater ausging. Alle Kommentare, dieser Zwang oft im Café sein zu müssen und auch dieses penetrante Gefühl, dass er sich von ihm nicht mehr so geliebt fühlte, wie vor seinem Outing. So gern er aus dem Ganzen ausbrechen wollte, zog es ihn umso fester, damit es ihm umso schwerer fiel und die Seile, die sich um seine Haut schlangen, bohrten sich umso stärker in sie hinein. Zurückblieb der Schmerz, der in ihm brannte und mit welchem er genauso wenig umgehen konnte. Selbst Hyunjin konnte ihm vor diesen nicht bewahren. Keiner konnte das, außer er selbst und doch wusste er, dass er zu wenig Kraft dafür hatte und unter dieser zusammenbrechen würde, solang bis ihm die Tränen seine Wangen herunterliefen und sich alles nur noch schrecklich schmerzhaft anfühlte.

Seungmin versuchte sich nie seine größte Schwäche anmerken zu lassen, aber in den letzten Wochen wurden sie ihm zum Verhängnis und dabei fühlte er sich derartig schwach, dass er sich dafür schämte. Es gab Tage, da wünschte er sich nichts mehr, als dass er einfach nur ein normaler Junge war, der Dinge hinnehmen würde, wie sie passierten. Die ihm nicht seine Kraft so sehr rauben würden und vor allem, dass er sich endlich aus diesem ganzen Leid entziehen konnte.

Routiniert nahm der Blonde die Bestellungen auf, schenkte den Kunden ein Lächeln und tat so, als wäre alles in Ordnung. Als würde ihm nicht alles zu viel werden und er an dem egoistischen Verhalten seiner Eltern zerbrechen. Er war gut darin eine Maske zu bewahren, ganz gleich ob sie drauf und dran war jeden Moment zu bröckeln. Es waren nur wenige Monate und dann würde er endlich ausziehen können. Sein altes Leben hinter sich lassen und endlich glücklich werden. So, wie er sich es immer in seinen Träumen ausmalte. Dafür müsste er jedoch über seinen Schatten springen und mehr Kraft in alles stecken, als er besaß.

Den kleinen Stapel an Tellern hatte er nicht richtig in seinen Händen liegen, sodass diese ihm auf den Weg in die kleine Küche herunterfielen und vor ihm ein reinster Scherbenhaufen lag, passend zu seiner momentanen Gefühlslage. Für einen Sekundenbruchteil starrte er die Scherben an, bis er mit einem etwas lauteren Stöhnen sich die Kehrschaufel nahm, um sein Massaker zu beseitigen. Gerade fiel es ihm eher schwer sich wieder aufzurichten. Viel eher hockte er so da und spürte, wie sich seine Sicht verschleierte, ihm die Tränen in die Augen stießen. Gerade war es ihm einfach zu viel. Er wollte einfach nur nach Hause, in seinem Bett liegen, sich seine negativen Gefühle aus dem Leib weinen und hoffen, dass sie sehr schnell verschwunden würden.

"Was machst du denn?", vernahm Seungmin die Stimme seiner Mutter, die sich auf Grund des Krach Sorgen machte. Ihre Stimme war jedoch kühl gewesen und alles andere, als wäre sie besorgt. Als wäre die ganze Situation eine Belastung, doch der Tag war für sie stressig genug gewesen und das ihr Sohn so tollpatschig war, passte ihr nicht wirklich in dem Kram. "Mach die Sauerei weg." Als der Blonde aber noch immer nur da hockte, leise vor sich wimmerte, wurde sie stutzig und lief dementsprechend auf ihn zu. Ihre Hand legte sich auf seine Schulter, wodurch er ruckartig zusammenfuhr und in den Haufen voller Scherben fiel. Viel zu spät spürte er den Schmerz, der nach einigen Sekunden höllisch brannte und er das Gefühl hatte, dass er daran zu ersticken drohte, obwohl die Scherben nur in seinen Handflächen steckten.

"Vielleicht solltest du besser nach Hause gehen. Heute scheint nicht dein Tag zu sein."

𝗗𝗲𝗲𝗽 𝗗𝗶𝘃𝗲 ✧ SEUNGJINWo Geschichten leben. Entdecke jetzt