Scheitern bei Nacht

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(Yokohama Bay Bridge, Donnerstag 21:12 Uhr)

Ismail spürte förmlich die grinsenden Gesichter hinter den 12 Masken.
Aber darauf kam es ihm jetzt nicht mehr an.
Seit seinem elften Lebensjahr wusste er über seine Fähigkeit bescheit.
Viele Befähigte reden immer davon, wie schrecklich und überraschend es war zu erfahren, dass sie eine Fähigkeit besitzen.
Manche berichteten davon wie sie ihre Familien aus Versehen in Brand gesteckt, ihren besten Freund schockgefroren oder eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt haben.
Doch bei Ismail war es ganz anders gewesen.
Er wollte seiner verstorbenen Oma nur noch eine Sache am Tag der Beerdigung sagen. Also hielt er ihre Hand und flüsterte in ihr abgestorbenes Ohr: "Ich habe deine Caramelbonbons aufgegessen!"
Danach war der ganze Saal in Aufruhr. Wer hätte auch damit gerechnet, dass die Tote aufstand und ihren Enkel mit einem Schlag ins Gesicht ausknockte? 
Seit diesem Tag hatte Ismail seine Fähigkeit fast täglich trainiert und sei es auch nur an toten Fliegen gewesen.

Angeberisch lächelnd erhob sich der alte Mann mit seiner Pergamenthaut, als der Raum anfing zu wackeln.
Der Raum selbst war eine Fähigkeit. Von wem unter den Maskenträgern genau, wusste Ismail nicht. Nur das diese Fähigkeit nach Belieben eine Tür erschaffen konnte, hinter der die Wünsche des Befähigten wahr wurden.
Solche Fähigkeiten waren zwar nicht selten, aber auch nicht so häufig, dass man sofort danach suchen würde.

Die Bildschirme wurden heruntergefahren und die anwesenden Mitglieder standen panisch auf.
"Sie haben uns jetzt schon gefunden?"
"Wer hat uns gefunden?"
"FLIEHT!!!"

Der Mann der mit ihm die Wette abgeschlossen hatte, stand ganz gemächlich auf und schlich an der Wand entlang.
Ismail dagegen lief mit dem Rest zur einzigen Tür des Raumes.

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(Yokohama Bay Bridge, Donnerstag 21:10 Uhr)

"MENSCHENTIGER, du hier?"
Akutagawa starrte voller Abscheu auf Atsushi herab. Kyouka würdigte der Mann in schwarz keines Blickes.
"Ich hoffe du kommst mir heute nicht in die Quere! Sonst muss ich deine Schnurrhaare einzeln an die Detektei zurück senden!"

Die drei Gestalten schauten sich um.
Vor ihnen erstreckte sich die Brücke meterweit in den Himmel hinauf. Nirgendwo ein Zeichen, dass auf den Totenbeschwörer hindeutete.
Mit verzehrten Gesicht wandte sich Akutagawa von den Kindern ab und schlurfte um einen tonnenschweren Pfeiler herum, der ins Meer ragte.
Der grauhaarige Junge gab seiner Kollegin ein Zeichen und sie stiefelten auf die andere Seite der Brücke, nur weg von dem Mafiosi.
Doch dann erschienen ein riesiger Mann und eine Frau mit hässlicher Brille am Ort des Geschehens.

Akutagawa starrte die Neuankömmlinge böse an.
"Gibt es hier was Gratis, oder warum sammelt sich der Pöbel?
Verschwindet, ich habe keine Zeit um mich von Touristen ablenken zu lassen!"
Der Hüne war wie ein Spiegel und reflektierte den zornigen Blick des Mafiosis zurück.

Plötzlich sprang Atsushi hektisch auf und ab.
"HIER, ICH HABE ETWAS GEFU…!!"
Seine junge Begleitung hielt ihm den Mund zu und schnarrte ihn an: "Nicht so laut! Wer weiß ob man dich hören kann?"
Wie ein Jagdhund der seine Beute im Blick hat und nur noch den Todesstoß geben muss, sprang Akutagawa an den beiden Detektiven vorbei und rüttelte an einer Tür, die in einen Pfahl eingelassen war.
Doch nichts rührte sich.

"Wenn ich dann mal meine Dienste in Anspruch nehmen dürfte…?"

Ein weiterer Mann mit blonden Haaren und Anzug war hinter dem Hünen hervorgetreten und näherte sich der Tür.
"Mit meiner Fähigkeit könnte ich uns eventuell…"

"SCHNAUZE!!!", schrie Akutagawa und ließ rot-schwarze Tentakel aus seinem Rücken schießen, die auf die Tür einhämmerten.
Der Pfahl wackelte, doch kein einziger Auswuchs schadete der Außenhaut des Verstecks.
Voller Wut warf sich der Schwarzhaarige gegen den Pfahl und trommelte mit Armen und Beinen wild drauf los. Doch wieder tat sich nichts.

Bungo Stray Dogs - New TimesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt