Kapitel 8

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Ohne groß zu überlegen, riss ich den Türgriff meines Klassenzimmers runter und stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen. Ich müsste den Anschein machen, ich wäre verrückt geworden wie ich förmlich in den Raum gestolpert bin und beinahe die Tür ausgehängt hätte. Ich stand wie angewurzelt da, als ich bemerkte, dass 25 Augenpaare nur auf mich gerichtet waren. Ich durfte jetzt nicht schwach werden, redete ich mir immer wieder ein, aber die Versuchung war eindeutig zu verlockend. Ich könnte, ohne etwas zu sagen, den Raum wieder verlassen, als wäre nichts gewesen. Aber das ist ja das Problem, es ist immer noch ein Mörder auf freiem Fuße, vergiss das nicht.

Ohne eine Pause erzählte ich von dem Amokläufer, dem erschossenen Kind und dem Jungen in der Chemiesammlung.

Ich erwartete, dass die Schüler außer sich wären und Panik bekommen würden, aber das war nicht der Fall. Für einen kurzen Moment fokussierten sie mich, bis sie die Kontrolle über sich verloren und mir Beleidigungen an den Kopf warfen. Alle hielten mich für eine Lügnerin, dass ich mir das alles nur ausgedacht hätte, um Aufmerksamkeit zu erlangen, weil das alle depressiven Menschen so machen würden. Das ist Schwachsinn, schrie ich, was aber nicht dazu beitrug, meine Klasse zu überzeugen, dass ich die Wahrheit sagen würde. Ich trug den Beweis doch förmlich an mir, vermutlich hielten sie mich für die Mörderin, was nicht abwegig erschien, da an meinen Klamotten immer noch Blut klebte.

Selbst meine Lehrerin glaubte mir kein Wort. Sie war außer sich und beschimpfte mich, wo zum Teufel ich so lange gesteckt hätte und warum das Klassenbuch immer noch nicht an Ort und Stelle sei. Sie fing an mich anzuschreien und mit Beleidigungen nur so um sich zu werfen. Sie schrie, ich solle mich gefälligst auf meinen Platz setzen und meinen Mund halten. Aber ich wollte nicht ihre Zielscheibe sein und schon gar nicht mich von ihnen mit Messern und Pfeilen bewerfen lassen. Mir wurde aber bewusst, dass ich diejenige war, die ohne jegliche skrupel auf sich selbst einstach.

Ich konnte mir innerlich vorstellen, wie ihr Geduldsfaden in zwei Stränge riss, als ich meinen Satz beendet hatte. „Raus!" Das waren ihre Worte, als sie mich unsanft am Ärmel packte, die Tür aufriss und mich aus dem Raum schubste. Ich verlor meinen Gleichgewichtssinn, gefolgt von meinem Orientierungssinn und stürzte. In letzter Sekunde schaffte ich es meine Hände vor meinem Körper auszubreiten, um meinen Oberkörper abzufangen.

Ich ließ meinen Kopf zwischen meinen Armen hängen, sodass mir vereinzelt Strähnen ins Gesicht fielen, die mich normalerweise immer zur Weißglut trieben, mir aber gerade völlig gleichgültig erschienen. Ich spürte, wie sich mein Brustkorb hob und senkte. Der Anblick beruhigte mich und ich konnte die kühle des Flurs in mich aufsaugen. Aber ich konnte nicht nur meinen Atem hören, da war noch einer. Ich streckte meine Strähne hinters Ohr und hob meinen Blick, der auf einen Mann in einer Camouflage Hose mit schwarzem Oberteil fiel. Mein Atem, der gerade noch die Ruhe selbst war, wurde immer schneller und unkontrollierter. Taubheit ergriff Besitz von meinem gesamten Körper. Das war's dann wohl. Jeder Fluchtreflex war verschollen und ich stand einfach nur da, im Angesicht eines Mörders.

Fall- Wenn du fällst, dann fällst du mit dem Gedanken, dass dich niemand fängt.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt