Kapitel 1

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Ich spürte immer noch den kühlen Windzug, den die Tür von sich gab, als sie hinter mir in Schloss fiel.

Ihre Worte hallten noch eine ganze Weile durch meinen Kopf. „Wäre deine Mutter damals bloß nicht so leichtsinnig gewesen, dann hätte sie dich, du undankbares Stück, nicht an der Backe gehabt!" Wie konnte sie mir nur so etwas an den Kopf werfen? Ich weiß, dass meine Lehrerin alles andere als mitfühlend ist und dieser Beruf nicht immer einfach für sie ist, dennoch gibt ihr das nicht das Recht mich so vor der Klasse zu demütigen. Ich habe lediglich vergessen das Klassenbuch vor dem Klingeln aus dem Ständer zu holen. Sie aber tat so, als hätte ich ihren geliebten Goldfisch im Klo heruntergespült.

Erst als mich die Stille des Flures umhüllte, wurde mir bewusst, wie sehr ich mich verkrampft hatte. Ich habe mal wieder kein Wort herausgebracht. So war es immer. Die meisten Menschen halten mich für ein ruhiges und stilles Mädchen, aber sie alle täuschten sich.

Nach Außen hin scheine ich zu schweigen, während alles in mir schreit.

Die Angst etwas Falsches zu tun ist nun mal größer, als das Verlangen zu Leben.

Die Menschheit fällt Urteile ohne jegliche Hinterfragung. Wie oft hatten sie mich mit meiner Mutter verglichen? Manchmal war sie ein Flittchen, manchmal aber auch eine hilflose geisteskranke Frau. Aber wer von diesen ganzen Menschen kannte sie wirklich und alles was sich hinter ihrer Fassade versteckte? Ich glaubte es zu wissen, wurde aber des Gegenteils belehrt.

Der Verlust meiner Mutter hat mir den Sinn fürs Leben entrissen. Ich hatte schon immer damit zu kämpfen gehabt von der Welt nicht respektiert zu werden und konnte mich selbst nie bedingungslos lieben. Ich hasste mich. Daraufhin schlug der Tod meiner Mutter förmlich auf mich ein und hat mir den Rest gegeben.

Niemand kann meine kläglichen Gedanken verstehen. Für sie alle ergeben meine Gedanken und mein Handeln keinen Sinn.

Die hoffnungsvollen Menschen, die mich mit aufrichtigen Worten überhäuften und mir weismachen wollten, dass die Zeit alle Wunden heilen würde, sie mich so gut verstehen würden und mir sagten, du schaffst das schon – sie logen alle.

Ich spürte wie sich ihre Blicke in meine Haut bohrten und tiefe Narben hinterließen. Alle sahen in mir nur das Mädchen mit dem verkorksten Leben. Ich hätte alles dafür gegeben unsichtbar zu werden oder zu verschwinden.

Um mich selbst zu schützen und nicht weiter an dem negativen Einfluss zu zerbrechen, kapselte ich mich immer mehr ab, ich mied die Außenwelt und verschanzte mich Tagelang in meinem Zimmer. Ich verließ nur noch selten das Haus. Wie sehr ich es mir auch wünschte, aber jeder Schritt aus meinen eigenen vier Wänden, bedeutete verwundbar zu sein. Mein Zuhause stellt für mich so etwas wie eine unzerstörbare Seifenblase dar, die von niemandem durchdrungen werden konnte und mich davor bewahren sollte, zu fallen.

Ich war ein Spezialist darin, mir zu viele Gedanken zu machen, die mich nach und nach immer näher Richtung Wahnsinn treiben würden. Warum muss ich alles hinterfragen? Kann ich es nicht einfach so hinnehmen? Manchmal wünschte ich mir, es gebe einen Aus-Knopf oder eine Art Snooze-Taste für meinen Kopf, den ich, wann immer ich das Bedürfnis hätte, bedienen könnte und für einen kurzen Moment die Möglichkeit hätte, einen langen Atemzug zu holen, ohne dabei in Panik zu verfallen, was die anderen Menschen gerade über mich dachten oder was mich sonst noch Denken ließ.

Fall- Wenn du fällst, dann fällst du mit dem Gedanken, dass dich niemand fängt.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt