Kapitel 2

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Ich weiß nicht, wie lange ich schon auf dem Flur stand. Mit Sicherheit schon eine ganze Weile. Ich sollte mich beeilen, bevor meine Lehrerin komplett die Fassung verliert und mich womöglich in den Schrank unseres Klassenzimmers sperrt oder den Tafelstift nach mir wirft.

Schnellen Schrittes machte ich mich auf den Weg ins Treppenhaus. Ich bemühte mich nicht zu stolpern, denn Tollpatschigkeit gehört zu einer meiner wenigen Talente. Überraschenderweise bin ich heil unten angekommen, ohne mir jegliche meiner rund 206 Knochen zu brechen. Ich bahnte mich an den Musikräumen vorbei und lief zielstrebig durch unsere Aula, die komischerweise wie leer gefegt war. Normalerweise sitzen hier vereinzelnd immer ein paar Schüler um zu lernen oder Musik zu hören. Ohne mich weiter meinem unnötigen Gedanken zu widmen, bewegte ich mich zügig auf den vor mir stehenden Ständer mit den Klassenbüchern zu und holte mit einer Hand geschickt das unserer Klasse heraus. Bevor ich mich umdrehen konnte und den Weg Richtung Klassenraum einschlagen konnte, hörte ich wie jemand voller Wucht die Türen unserer Eingangshalle aufriss. Es war ein Wunder, dass die Scheiben nicht zerbarsten. Mit einer schnellen und sehr uneleganten Bewegung drehte ich meinen Oberkörper in die Richtung, von der ich die Geräusche ausmachen konnte. Ich sah durch die Scheibe der Tür einen breit gebauten Mann. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit einem rund geschnittenen Ausschnitt, dass er in eine khakifarbene Hose gesteckt hatte und darum war ein breiter schwarzer Gürtel geschnallt. Seine Schuhe erinnerten mich an die eines Soldaten. Seine Haare aber waren nicht kurz geschoren, sondern oben etwas länger und ungebändigter. Er eilte mit großen Schritten durch die Aula. Jedes Mal wenn er einen Fuß auf den Boden setzte, ertönte ein dumpfes Geräusch. Ich hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen und fragte mich was er hier zu suchen hatte. Er sah weder aus wie ein Vater, dafür wäre er eindeutig zu jung gewesen, noch wie ein Lehrer. Mich packte die Neugier und ich folgte ihm. Dank meiner kurzen Beinen hatte ich Schwierigkeiten mit ihm mitzuhalten. Ich bemühte mich ihn nicht aus den Augen zu verlieren, doch das war gar nicht so einfach. Er blickte flüchtig in den rechten und danach in den linken Flur, lief dann aber zur Treppe in die Richtung meines Raumes. Er nahm zwei Stufen auf einmal und der Abstand zwischen uns vergrößerte sich mit jedem seiner Schritte. Ich bereute die geschwänzten Leichtathletik Stunden zutiefst und kämpfte mich so schnell ich konnte die Stufen hinauf. Oben angekommen, konnte ich ihn im mittleren Gang ausfindig machen, aber er war nicht allein. Ihm lief ein kleines Mädchen entgegen. Sie müsste ungefähr fünfte, maximal sechste Klasse gewesen sein. Ich hörte ihre lilafarbenen Turnschuhe auf dem Boden quietschen, bis sie abrupt stehen blieb. In ihrem Gesicht war plötzlich jegliches Lächeln verflogen und ihre Pupillen weiteten sich, als ihre Blicke den Mann trafen. Ich sah wie sich Angst in ihrem Körper ausbreitete und sie nach Luft rang. Der Mann den ich bereits seit einigen Minuten verfolgte, zog etwas hervor. Mein Atem setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus, als ich wahrnahm, was er in seiner Hand hielt - eine Waffe.

Fall- Wenn du fällst, dann fällst du mit dem Gedanken, dass dich niemand fängt.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt