Störung

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Athena:

Ich war einigermaßen erleichtert, Ryan als Partner bekommen zu haben. Er ging mir zwar auf die Nerven, aber offensichtlich hatte er schon einige Erfahrungen mit STs gesammelt. Er war der einzige gewesen, der meine Anwesenheit in der Aula gestern bemerkt hatte. Deshalb fragte ich mich jetzt auch, warum ich so angestarrt wurde, als ich mich auf den Weg zum Materialraum machte, wo ich mich mit Ryan treffen und wir unsere Ausrüstung aussuchen würden. Je zahlreicher und höherwertiger die Ausrüstung war, desto geringer bei bestandener Prüfung die Endpunktzahl. Wir sollten mit so wenig wie möglich auskommen. Wieso einen Gasherd mitnehmen, wenn man ein Feuerzeug, Watte und etwas Holz hatte? Ich bog gerade um die Ecke in das große Foyer, als sich ein Mädchen vor mir aufbaute. Etwas kleiner als ich, schmal, dunkelhaarig, braune Augen, Stupsnase. In einem normalen Leben hätte ich sie hübsch gefunden. Hinter ihr nahm ich eine Schar von Mädchen war, die tuschelnd, lachend und flüsternd in unsere Richtung schauten. Wahrscheinlich ihre Meute.

„Bist du Ryans ST-Partnerin?", wollte sie wissen. „Diese Anna Marten, oder wie auch immer du heißt."

Ich musterte sie, sie ist kleiner und leichter als ich, also wäre sie eigentlich keine Gegnerin. Sollte sich jedoch ihre Hühnerschar einmischen, könnte es interessant werden.

„Mein Name ist Athena Maroon und ja, ich bin Fieldings' Partnerin.", eine Frage, eine Antwort, schnell und effizient. Ich wollte weitergehen, aber das Mädchen hielt mich am Oberarm fest.

„Moment mal, du wartest jetzt schön, Schlampe!", herrschte sie mich an. Gelangweilt wandte ich mich ihr wieder zu. Mittlerweile waren einige Schüler auf uns aufmerksam geworden und bildeten einen Kreis aus neugierigen Gaffern um uns.

„Was ist denn noch? Ich muss zum Materialraum."

„Hast du schon von der Reserve-Regel bei den STs gehört?", fragte sie mich und hielt immer noch meinen Oberarm umklammert. Langsam ging mir die Kleine auf die Nerven.

„Natürlich. Sollte ein Teil eines Teams vor dem ST aufgrund von Krankheit oder einer Verletzung nicht teilnehmen können, rückt die erste Person von der Reserve-Liste in das Team auf und ersetzt den kranken oder verletzten Partner.", dachte sie ernsthaft, ich hätte das Reglement dieser Schule nicht gelesen? Wie naiv.

„Und da du mich ansprichst und mich beleidigst, gehe ich davon aus, dass du die Erste auf der Reserve-Liste bist und mich ausschalten willst, um somit in ein Team mit Fieldings zu kommen, weil du auf ihn stehst."

„Verdammt richtig, du kleine Hure.", zischte das Kind und umfasste meinen Arm noch fester. Mädchen, du machst hier gerade einen riesigen Fehler.

„Ich habe gehört, du hast eine Schusswunde im Oberschenkel gehabt, wie wäre es, wenn ich mal nachsehen würde, ob auch wirklich kein Projektil mehr in deinem Bein steckt? Das tut auch nur ein ganz klein wenig weh.", ihr Lächeln sollte wohl angsteinflößend wirken, aber für mich sah sie aus, wie ein kleines Kind, was versuchte an Halloween durch eine furchtbare Grimasse mehr Süßigkeiten abzustauben. Mir entwich ein müder Seufzer, der in einem Stirnrunzeln endete, als die Kleine mir plötzlich ein Klappmesser unter die Nase hielt. Ein Raunen wanderte durch die Menge, mittlerweile war das ganze Foyer auf die Szene aufmerksam geworden und Schüler reckten neugierig die Hälse, um mehr zu sehen.

Tiefenentspannt sah ich das Mädchen an.

„Du weißt schon, dass es verboten ist, irgendeine Art Waffen gegen Mitschüler einzusetzen, es sei denn zur Notwehr und Selbstverteidigung? Dafür könntest du fliegen.", meinte ich und schaute desinteressiert auf meine Fingernägel. Das Gesicht des Mädchens verzerrte sich zu einer Maske des Zorns.

„Das ist mir sowas von egal. Du wirst bluten.", schrie sie mich an. Na, wenn sie meint...

„Hey, du.", sprach ich einen Jungen aus der Zuschauermasse an. „Du, Junge mit den schwarzen Haaren und dem Tattoo auf dem Handrücken. Würdest du sagen, dieses Mädchen mit dem Messer hier bedroht mich?". Der Junge wirkte ziemlich überrascht, antwortete dann aber doch: „Das ist doch offensichtlich.", sagte er verwirrt.

„Das heißt, wenn ich mich jetzt wehren würde, wäre es doch im Sinne der Notwehr und der Selbstverteidigung, oder?", fragte ich den Jungen wieder.

„Ja, klar.", kam die immer noch verwirrt klingende Antwort.

„Du kannst dich nicht wehren, Schlampe.", kreischte das Mädchen. „Keine Waffen gegen Mitschüler und du kannst es dir nicht erlauben, rauszufliegen. Mein Daddy ist reich, er kann mir eine ganze Security-Armee stellen. Glaub mir, Hure, deine Pistolen helfen dir hier auch nicht weiter.", kreischte das Mädchen wieder, langsam bekam ich wirklich den Eindruck, jemand hatte das Kind zu heiß gebadet. Ich drehte mich um und lächelte sie an.

„Meine Pistolen brauche ich auch gar nicht."

Ein verwirrtes Stirnrunzeln, mehr brachte sie nicht zustande. Mit der freien Hand schlug ich ihr gegen das Zwerchfell, mit einem Zischen entwich ihren Lungen sämtliche Luft, das Messer klirrte auf den Fliesenboden, aber sie stand noch, wenn auch vornüber gebeugt.

„Hey, Mädchen.", ihr Kopf ruckte hoch, eine Mischung aus Wut und Angst stand in ihrem Gesicht.

„Falscher Gegner.", mein Arm stieß nach vorn, der Handballen kollidierte mit dem Stirnbein des Mädchens. Sofort verdrehten sich ihre Augen und sie kippte bewusstlos nach hinten. Ihre Freundinnen starrten mich wie erstarrt an und die Gaffer glotzen mit großen Augen, als plötzlich ein scharfes Geräusch die Stille im Foyer unterbrach und mich veranlasste, mich zur Treppe umzudrehen. Ryan Fieldings stand in der Mitte der großen Marmortreppe und klatschte in einem langsamen, fast höhnischen und spottenden Rhythmus Beifall. Das Geräusch hallte in der Stille der Halle wieder.

„Wie lange wolltest du mich eigentlich noch warten lassen, Athena?", ein Grinsen schlich über Fieldings Gesicht und das Klatschen verstummte. Ich verdrehte die Augen und ging Richtung Treppe, die Masse teilte sich vor mir und alle starrten mich an.

„Stell dich nicht so an, Ryan. Krieg lieber deinen Fan-Club unter Kontrolle, deswegen bin ich zu spät.", sagte ich und deutete über meine Schulter zu dem immer noch bewusstlosen Mädchen. Mittlerweile hatte ich die Treppe erreicht und erklomm die ersten Stufen.

„Was kann ich denn dafür, dass Frauen wegen mir den Verstand verlieren?", ein Lachen folgte dem Satz und in Ryans Augen saß der Schalk. Ich hatte ihn derweil auf der Treppe erreicht und klopfte auf seine Schulter.

„Na komm, du Womanizer. Wir haben noch einen ST im Himalaya vor uns."

Ryan deutete lachend eine Verbeugung an. „Wie die Dame befiehlt.", dann folgte er mir die Treppe hinauf.

Ich drehte mich zu ihm um und konnte es nicht verhindern, dass ein breites und ehrliches Lächeln über mein Gesicht huschte, ehe ich den Rest der Stufen hinaufstieg, Ryan direkt hinter mir.

Shadow Children - PrisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt