Erwachen

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Athena:

Wann genau mein Bewusstsein aus dem Schwarz der Ohnmacht zurückkam, konnte ich nicht genau sagen. Das erste, was ich bewusst wahrnahm, war das monotone Piepen rechts von mir. Es dauerte einen Moment, ehe ich realisierte, dass dies mein Herzschlag war und ich wahrscheinlich in einem Krankenhausbett lag. Ich versuchte meinen Herzschlag gleichmäßig zu lassen und konzentrierte mich noch mehr auf mein Gehör. Plötzlich spürte ich einen Hauch über meine rechte Hand wehen und leises Atmen, welches nicht meins war. Ich war nicht allein! Die nächsten fünf Minuten verbrachte ich in einer Scheinohnmacht, bis ich mir sicher war, dass, wer auch immer an meinem Bett saß, tief und fest schlief. Ruckartig schlug ich die Augen auf und blickte an eine weiß gestrichene Zimmerdecke, die im gedämpften Licht der Nachttischlampe fast grau wirkte. Ich folgte den Kabeln von meiner Brust zu einem Herzmonitor, der meinen Puls sowohl grafisch als auch akustisch wiedergab. Mein Blick wanderte nach rechts und ich konnte nur mit Mühe meinen Herzschlag ruhig halten. Neben mir saß Ryan Fieldings auf einem Stuhl, auf den rechten  Arm, der auf der Bettkante ruhte, hatte er seinen Kopf gebettet und seine linke hielt meine Hand so vorsichtig, als wäre ich aus Glas. Seine blonden Haare waren vollkommen zerzaust, sein Gesicht friedlich und sein Atem ruhig und langsam. Zu meiner Verwirrung musste ich mir eingestehen, dass es mich freute, dass er auf mich aufpasste, während ich bewusstlos war. Vermutlich fühlte er sich schuldig und wollte, dass ich ihm verzieh, dass er meine Schwachstelle erkannt und ausgenutzt hatte. Ich schüttelte den Kopf, was dachte ich denn da? Schuldgefühle waren ein Zeichen von Schwäche und Kinder wie wir dürfen keine Schwäche zeigen. Erst jetzt bemerkte ich die Infusionsnadel, die in meinem Handrücken steckte. Verdammte Ärzte, was haben sie mir nun wieder in die Venen geleitet? Mit einem Ruck zog ich die Nadel aus meiner Hand und meine Rechte aus Ryans. Er runzelte kurz die Stirn, schlief dann aber ruhig weiter. So leise wie möglich kletterte ich aus meinem Bett, schaltete den Herzmonitor ab, riss mir die Sensoren von Leib und stellte dabei erleichtert fest, dass ich immer noch meine Sportsachen trug und keinen auffälligen Krankenhauskittel. Um meinen Oberschenkel spannte sich ein neuer Verband und ich stellte fest, dass die Schmerzen zurückgegangen waren. Vermutlich wegen der Drogen, die sie mir aufgezwungen hatte. Ich schlich zur Tür, warf einen letzten Blick auf Ryan und trat in den dunklen Flur hinaus. Ich wartete, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und konnte einen langen Gang mit abzweigenden Türen erkennen. Ganz am Ende des Flurs war eine Glastür, zusammen mit einem Schild mit der Aufforderung „Auf Wiedersehen, komm nicht so bald wieder!“. Ich musste schmunzeln, dieser Arzt hatte einen seltsamen Sinn für Humor. Barfuß schlich ich den Flur entlang, bis ich zu einer Art Rezeption kam, dahinter stand ein riesiger Schrank mit Medikamenten. Ich sah mich einmal um, dann durchsuchte ich die Schubladen nach Schmerzmitteln. Ich fand mehrere Packungen, steckte sie in die Taschen meiner Sporthose. Ein letzter Kontrollblick, dann öffnete ich die Glastür. Zu spät sah ich das Windspiel am oberen Türrahmen und schon klirrten die kleinen Glocken durch die nachtstille Station. Ich verfluchte mich selbst, quetschte mich durch den schmalsten Spalt, damit das Windspiel ruhig blieb und schloss leise die Tür hinter mir.

Shadow Children - PrisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt