DREI

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Eingeschüchtert, wie ich von ihrem Auftreten war, stand ich sofort auf, schloss meine Stiefel wieder und stapfte zu ihr hinüber. Sie musterte mich noch einmal, nickte, und lief los.

Aus dem Augenwinkel musterte ich sie, während wir schweigend durch die wunderschöne Landschaft liefen. Ihre Haare waren rabenschwarz, wogegen sich ihre leichenbleiche Haut stark abhob. Ihre Augen machten mir etwas Angst, denn obwohl ich mir sicher war, dass sie eigentlich braun waren, wirkten sie ebenso schwarz wie ihre Haare und erweckten somit den Eindruck, dass sie keine Pupillen hätte. Unter ihren seltsamen Augen befanden sich drei dunkelblaue Punkte, welche vom Innenwinkel zum Außenwinkel hin verliefen.

Sie war komplett in weiß gekleidet, von den Stiefeln bis zur Kapuze, was mir angesichts des Bogens und des kleinen Vogels an ihrem Gürtel, der mir erst jetzt auffiel, durchaus sinnvoll erschien. Am besten konnte man jagen, wenn man mit der Umgebung verschmolz. Das hatten mir Gerald, welcher Hobby-Jäger war, und diverse Filme beigebracht.

"Wie heißt du eigentlich?", fragte sie plötzlich und ich wandte schnell den Blick ab, damit sie mein Starren nicht bemerkte. "Baylee. Baylee Chamberlain. Und wie heißt du?" "Zija."

Ich nickte und konzentrierte mich wieder auf den Schnee unter meinen Füßen und die Kälte an meiner Haut. Wieder fiel mir auf, dass mir nicht ansatzweise kalt war - außer an den Füßen.

Stirnrunzelnd überlegte ich, was das zu bedeuten hatte, aber die Lösung schien mir wie ein weit entfernter Nebel, der sich mit jedem Schritt, den ich tat, weiter von mir entfernte. Als ich irgendwann vor Kälte über meine eigenen Füße stolperte, zwang mich Zija zu einer kurzen Pause. "Wenn du stirbst, bevor wir in der Hauptstadt sind, bringst du mir nichts", war ihre Aussage.

Also setzte sie sich neben mich und sah mir dabei zu, wie ich meine Füße von den dicken Stiefeln befreite. Ich rieb mit meinen Händen darüber, um sie aufzuwärmen. Meine Gedanken wanderten zu dem Moment, in dem Zija mich überrascht hatte, und ich setzte zögerlich einen Fuß in den Schnee. Vor Überraschung rutschten meine Augenbrauen in die Höhe, als ich bemerkte, dass die Kälte keinesfalls unangenehm war. Im Gegenteil - meine Füße waren wärmer, als vorher in den Stiefeln.

Als ich kurz zu Zija hochsah, starrten ihre schwarzen Augen in den Himmel, sie wirkte gelangweilt. Ich stand, noch etwas wackelig auf den Beinen, auf und sagte: "Wir können weitergehen." Da richtete sich ihr Blick auf mich und sie fragte wenig überzeugt: "Sicher?" Ich nickte entschlossen. Ich wollte endlich Klarheit, wollte wissen, was hier lief, und wenn dieser Byren meine Fragen beantworten konnte, dann wollte ich so schnell wie möglich zu ihm.

Meine Strümpfe waren längst vollkommen durchnässt, als wir das nächste mal hielten. Wieder setzten wir und schweigend auf den Boden, doch dieses mal griff Zija in ihre Gürteltasche und holte einen Kanten trockenes Brot hervor. "Iss", befahl sie, nachdem sie sich ein Stück abgerissen hatte und hielt mir die andere Hälfte hin. Gehorsam biss ich in das harte, aber sättigende Brot. Kaum war das Brot verzehrt, stand Zija schon wieder auf den Beinen und half mir hoch, bevor wir in fortwährendem Schweigen weiterliefen.

Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, als wir an den Rand des Waldes kamen und sich vor uns eine weite, schneebedeckte Ebene ausbreitete. In der Ferne sah ich hohe Berge aufragen und rechts von uns stand eine kleine Hütte, aus der Licht heraus schien.

"Es ist nicht mehr weit", klärte mich Zija auf, "Wir werden in der Stadt sein, bevor der Mond aufgeht." Ich nickte bloß stumm und bewunderte die still daliegende Umgebung.

Es war wunderschön, wie der Schnee vom Himmel fiel, ohne ein Geräusch zu verursachen, wie er sich in unseren Haaren verfing und die vermutlich gerade erst geputzte Bank vor dem Haus zudeckte. Still und klammheimlich. Es war einfach ein unglaubliches Schauspiel, vor allem, weil die untergehende Sonne der Szene etwas romantisches verlieh und die einzelnen Flocken aufblitzen ließ.

"Komm Mädchen", knurrte Zija, welche unbemerkt weitergegangen war. Ich zog irritiert eine Augenbraue hoch, immerhin war sie augenscheinlich jünger als ich, folgte ihr aber. Der frische Schnee knirschte unter unseren Füßen, während wir die weiße Wiese überquerten. Unter meinen Füßen spürte ich gefrorenes Gras und tote Blumen, selbst durch die zentimeterhohe Schneeschicht hindurch. Der Boden wurde plötzlich abschüssig und als ich wieder nach oben sah, standen wir am Rand eines Tales. Und in der Mitte dieses Tals lag eine komplett schneebedeckte Stadt, deren Dächer im Licht der untergehenden Sonne zu brennen schienen.

WinterblumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt