5. He's A She

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Willow's POV:

„Wie fühlst du dich?", hakt Kennedy vorsichtig nach und betrachtet mich eindringlich durch ihre grauen Augen, als sie die Handbremse anzieht und wenige Meter von der Autowerkstatt der Dawson's, den Motor ihres Wagens zum Verstummen bringt. Leider weiß ich genau, was der Blick bedeutet, den sie mir in letzter Zeit so oft schenkt.

Augenrollend werfe ich ihr einen wissenden Blick zu und atme geräuschvoll aus: „Nicht so, wie du mich ansiehst."

Verwirrt kneift meine beste Freundin ihre Brauen zusammen und fährt sich durch das dunkelblonde Haar, welches ihr inzwischen bis zur Brust reicht: „Wie sehe ich dich denn an?"

„Wie ein rohes Ei. Es gibt aber wirklich keinen Grund zur Sorge. Meine Mutter ist gestorben und ich bin traurig, aber ich werde nicht jeden Moment explodieren oder das Weite suchen.", erkläre ich ihr langsam und versuche, etwas aus ihrer Mimik herauszulesen.

Ertappt nickt sie und bestätigt mir somit nochmal, dass ich Recht habe, was ihre Besorgnis um mich betrifft, bevor sie seufzend die Autotür öffnet: „Lass uns einfach deinen Wagen abholen."

Unzufrieden nicke ich, weil ich weiß, dass sie auch weiterhin damit rechnen wird, dass ich durchdrehe, oder in die Luft gehe wie eine tickende Zeitbombe. Trotzdem steige ich aus und schließe geräuschvoll die Tür. Einen Moment lang lausche ich dem Echo dieses Geräusches und sehe mich um. Es hat sich rein gar nichts verändert, seit ich das letzte mal hier war, an diesem Ort, der mich durch meine gesamte Jugend begleitete. Selbst die großen Lettern, die an der Front der Werkstatt in blauer Farbe den Schriftzug ‚Dawson's Repair' bildeten, waren die selben.

Mit einem viel zu schnell klopfenden Herzen in meiner Brust und meiner übermäßig besorgten besten Freundin an meiner Seite, gehe ich also auf die Werkstatt von Wesleys Dad zu. Unter unseren Schritten knirscht der Schnee und der Himmel über uns strahlt in makellosem Eisblau.

Es ist jetzt drei Tage her, dass mein Wagen vor dem Supermarkt stehen geblieben ist und trotzdem war ich ganz überrascht, als Wesley's Dad heute morgen anrief und meinte, dass ich mein Auto wieder abholen könnte. Er ist vermutlich der erste in dieser Stadt, abgesehen von Kennedy und meiner Grandma, der sich ehrlich freut, dass ich wieder hier bin. Zumindest klang er so und fragte mich erstmal über mein Leben in Boston und das Studium in Harvard aus, nachdem er mir seine Anteilnahme mitgeteilt hatte.

Doch statt des herzlichen, schiefen Lächelns seines Vaters, bekomme ich jetzt leider bloß den kalten Ausdruck in Wesleys Augen, als er Kennedys leises Räuspern bemerkt und zu uns aufblickt. Er scheint ganz allein zu sein. Wir waren im Türrahmen stehengeblieben und ich kann, ganz gleich wie sehr ich mich auch bemühe, nicht den Blick von Wesley abwenden. Trotz der eisigen Kälte draußen, trägt er nicht mehr als ein T-shirt, das einige Tattoos auf seinen Armen freilegt, und hat den oberen Teil seines Blaumanns mit einem lockeren Knoten um seine Hüften gebunden. Seine Haut glänzt vom Schweiß und seine Hände sind schwarz vom Motoröl. Irgendwie sieht er unverschämt aus, unverschämt gut. So als wäre er gerade einem unanständigen Fotokalender entsprungen.

Als Kennedy mein Starren bemerkt, rammt sie mir grinsend ihren Ellbogen in die Seite und ich muss mir ein schmerzvolles Ächzen verkneifen. Peinlich berührt sammle ich mich und krächze schließlich unter Wesleys kritischem Blick: „Dein Dad hat heute morgen angerufen und meinte, ich kann meinen Wagen abholen."

Wesley nickt bloß und wischt sich die rußschwarzen Hände an einem alten Lappen ab. Dann tritt er von dem rostigen Jeep zurück, dessen Motor er gerade auseinanderzunehmen scheint. Einige Strähnen seines kurzen, braunen Haares hängen ihm in die Stirn und ich bekomme unweigerlich das Bedürfnis, ihm diese zurückzustreichen, so wie ich es früher so oft tat.

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