Liebe Lily,
vielleicht sollte ich aufhören, diese Briefe zu schreiben. Ich komme mir vor wie ein Psycho, dass ich diese Briefe schreibe, fast wie ein Stalker. Dennoch finde ich mich immer wieder an meinem Schreibtisch wieder, mit einem neuen Brief.
Ben hatte mir erzählt, dass du meinen letzten Brief für ein wenig unverschämt gehalten hattest. Und es tut mir leid, wenn meine ursprüngliche Absicht nicht wirklich zum Ausdruck kam. Ich wollte dir nichts vorschreiben und ich wollte auch nicht, dass der Brief zu einem Streit führt. Ich hoffe, nur für dich, dass Mason der Richtige ist und es besser macht als ich.
Dennoch war ich, um ehrlich zu sein, ein kleinwenig enttäuscht, dass du mich nicht persönlich mit deiner Meinung konfrontiert hast und, dass Ben fast in allen Angelegenheiten unsere „Kommunikationsplattform" ist.
Ich finde, dass nicht in Ordnung. Für Ben ist die Situation noch blöder und schwieriger, als für uns: er wird in unsere Probleme hineingezogen, mit denen er nichts zu tun hat und er sitzt zwischen zwei Stühlen; einerseits will er zu dir stehen, weil du seine beste Freundin bist, und ich habe den Eindruck, dass sich Ben auch mir, als Bruder, zumindest ein wenig verpflichtet fühlt. Wir sollten zumindest dafür sorgen, dass Ben sich nicht zwischen dir oder mir entscheiden muss.
Heute ist mein letzter Tag in Tacoma, in etwa zwei Stunden geht mein Flugzeug zurück nach Los Angeles. Aber ich will jetzt noch den Brief an dich schreiben.
Ich hatte gehofft, dich bei der alljährlichen Weihnachtsfeier bei uns zu sehen. Weihnachten hatte ich immer als großes Fest mit meiner Familie, Luke und dir gesehen, und du hattest dieses Jahr wirklich gefehlt. Vielleicht auch mit Mason – wobei, wenn ich mir das so genau überlege, wäre das wahrscheinlich mehr als nur merkwürdig geworden. Vermutlich hatte ich mir auch nicht wirklich überlegt, wie das Ganze vor sich gehen sollte.
Jedenfalls hoffe ich, dass du schöne Weihnachten hattest! Luke hatte erzählt, dass du das erste Mal nach Wisconsin geflogen bist, um Masons Familie kennenzulernen. Du konntest seine Familie bestimmt auf ganzer Linie von dir überzeugen!
Und da du den Brief erst im neuen Jahr lesen wirst, hoffe ich, dass du einen guten Start in das neue Jahr hattest. Luke meinte, ihr würdet Silvester beim Skifahren feiern. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich ein wenig neidisch auf euch bin. Aber mein Trainingsplan lässt keinen Spielraum für viele Ferien oder andere Sportarten, die eine Verletzung begünstigen könnten.
Vorerst wird das vermutlich mein letzter Brief gewesen sein. Nächste Woche geht es für mich in das Trainingslager nach Phoenix. Noah und ich verstehen uns inzwischen auch wieder um einiges besser als vor einem halben Jahr.
Noah hat mir in dem letzten halben Jahr unglaublich geholfen. Er hat mich aufgefangen, als ich am Boden zerstört war. Wir haben nächtelang auf dem Boden meines Studentenzimmers verbracht und geredet, bis wir schon die Sonne aufgehen sahen. Er hat mich überall hingeschleppt, wo eine Party stattfand, wo man Leute kennenlernen konnte und wo man von der Uni und dem Alltag Abstand gewinnen konnte.
Und dann in der einen Nacht nach einer Party, als wir etwas zu viel getrunken hatten und uns gegenseitig zurück in unser Wohnheim schleppten, erzählte Noah, dass er sich immer gefragt hat, wie du und ich uns so gut verstanden, obwohl wir doch so unterschiedlich waren.
Zuerst dachte ich, dass mich das nicht weiter betreffen würde. Aber immer wieder musste ich über seine Worte nachdenken. Und ich fand keine Antwort, die mich auch nur im Geringsten zufrieden stellte. Ganz vorne dabei wäre noch, dass Noah nie wirklich unsere Beziehung verstanden hatte. Vielleicht lag es auch daran, dass wir einen großen Teil unserer Kindheit unweigerlich miteinander verbrachten. Aber was weiß ich schon?
Na ja, Noah und ich verbringen fast jede freie Minute mit Trainieren. Noch nie waren wir so nah dran, unseren Traum von der NFL zu erfüllen und je näher der Draft rückt, desto größer wird die Hoffnung, es tatsächlich zu schaffen. Und vielleicht gehören ausgerechnet Noah und ich tatsächlich zu denjenigen, die ihren Traum erfüllen können. Allerdings ist uns natürlich auch bewusst, was eine Verletzung in den nächsten zwei Jahren bedeuten würde – nämlich das aus. Aber es tut definitiv gut, an diesem Traum festzuhalten.
Viel Erfolg Lily in der Uni und bei der Erfüllung deiner Träume!
Jay
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Briefe von dir
RomansLily Sullivan und Jay Hemmingway kennen sich schon ihr gesamtes Leben, die ersten sechzehn Jahre ihres Lebens provozierten die beiden Streit, wenn sie aufeinandertrafen. Das änderte sich allerdings in Jays letztem Jahr an der High School. Während Ja...