Briefe von dir

10. Februar

Hallo Lily,

jetzt ist es schon über ein Jahr her seit meinem letzten Brief. Ich hoffe es geht dir gut und es läuft an der Universität gut!

Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass wir tatsächlich beide erfolgreich studieren und das wir ausgerechnet diesen Weg gehen? Ist das nicht einfach verrückt?

Und das traurige ist, dass ich dich in den letzten ein ein-halb Jahren nicht ein einziges Mal gesehen habe. Weder an den letzten zwei Weihnachten noch zu einer anderen Möglichkeit, als ich wieder in Tacoma war.

Ben hatte mir die große Nachricht verkündet! Herzlichen Glückwunsch!

Ich konnte meinen Ohren erst gar nicht trauen. Aber ich muss mich da ja nicht einmischen, wie ich es schon viel zu oft getan habe.

Das ist auf alle Fälle ein großer Schritt sich zu verloben, aber ich bin mir sicher, dass du die Entscheidung mit viel Überlegungen getroffen hast.

Und ich freue mich für dich. Wirklich! Ich freue mich, dass du jemanden gefunden hast, der dich glücklich macht und mit dem du dir vorstellen kannst dein ganzes Leben zu verbringen.

Ich bewundere Mason dafür, dass er so jung den Mut gesammelt hat, um vor dir auf seine Knie zu fallen und um deine Hand anzuhalten. Um ehrlich zu sein, muss ich gestehen, dass ich mich auf keinen Fall im Alter von 22 Jahren verloben, geschweige denn heiraten wollte. Nicht einmal wenn ich meine absolute Traumfrau gefunden habe.

Ich kann dir nicht einmal sagen, woran das liegt. Vielleicht habe ich Angst mich so früh zu binden, aber vielleicht denke ich auch, dass ich einen Teil meiner Autonomie, die ich jetzt endlich in vollen Zügen auskoste, verlieren würde, wenn ich mich dazu entscheide zu heiraten.

Und vielleicht ist das alles absoluter Schwachsinn. Und ich weine etwas nach, dass ich selbst nicht habe.

Eine Winterhochzeit wird es hoffentlich - so wie du dir das immer gewünscht hast. Mit ein wenig Schnee, damit traumhafte Bilder entstehen können. Und die Feier in der Gatsby Villa, die wunderschöne Feierlocation, die direkt am See gelegen ist und dieses herrschaftliche Flair versprüht.

Ich bin mir sicher, dass Ben und Lee mir jedes einzelne Detail über die Hochzeit erzählen werden und es wird sich beinahe so anfühlen, als wäre ich auch dabei gewesen.

Bei mir passiert auch einiges, in einigen Wochen nehme ich an der Qualifikation für den Draft teil. Allein wenn ich daran denke, spielt mein Körper verrückt. Einerseits bin ich total angespannt, ich bin nervös und gleichzeitig freue ich mich unglaublich mein Können nach all der Zeit unter Beweis zu stellen.

Allerdings beruhigt es mich ein wenig zu wissen, dass Noah und ich dort gemeinsam hinfahren, und dass wir uns vor Ort gegenseitig den Rücken stärken können. Wie unglaublich ist es denn eigentlich, dass ausgerechnet Noah und ich uns beweisen dürfen?

Schon in der High School waren Noah und ich beste Freunde und unsere Freundschaft wurde in der vergangenen Zeit immer enger. Was könnte man sich Schöneres vorstellen, als mit seinem besten Freund von der High School über die Universität bis hin zu der Möglichkeit in die NFL zu kommen, diese unglaublichen Erfahrungen teilen zu können.

Und egal wo uns der Weg hintreiben mag, selbst wenn Noah zukünftig in New York leben würde und ich in Kalifornien bleiben würde, könnte sich nichts mehr - nie wieder - zwischen uns drängen. Weil ich weiß, dass ich mich in jeder einzelnen Sekunde zu einhundert Prozent auf Noah verlassen kann, und dass dasselbe auch anders herum gilt.

Wenn ich aber am Ende des Jahres entscheiden könnte, wohin es mich verschlägt, dann würde ich etwas im Norden wählen. Ich erinnere mich nur allzu gut daran, als ich mich in meinem zweitletzten Jahr an der High School beim Training darüber beschwert hatte, dass es zu kalt war.

Wahrscheinlich hatte ich so etwas gesagt, wie „was für einen Vorteil sollte es auch schon geben, irgendwo zu leben, wo es kalt ist?". Du hattest deine Augen verdreht und hattest nur gemeint, dass wir mit Tacoma schon in einer Gegend lebten, in der es relativ kalt war.

Aber meine Stimmung an dem Tag war grundsätzlich im Keller und ich entschloss mich dazu mich weiterhin zu beschweren. Ich hatte mir im Kopf vorgestellt, wie schön es wohl sein müsste in Kalifornien oder Florida zu leben - Hauptsache irgendwo, wo es das ganze Jahr lang warm war.

Und Kalifornien hat unglaublich schöne Städte und ich habe die letzten circa drei Jahre hier geliebt und ich möchte sie nicht missen. Aber wenn ich heute überlege, wo ich in fünf Jahren womöglich stehen könnte; mit zum Beispiel einer kleinen Familie, dann hoffe ich, dass meine Kinder eine annähernd so schöne Kindheit verbringen können, wie ich sie verbracht habe. Und momentan sehe ich das nicht in Kalifornien.

Jay