favourite stranger

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Die Sonnenstrahlen kitzelten mich an meiner Nase bis ich davon wach wurde und meine Augen öffnete. Noch etwas verschlafen blickte ich neben mich und er war weg. Er lag nicht mehr neben mir. Samuel war einfach abgehauen. Ich setzte mich im Bett auf und sah kurz aus dem Fenster, um nachzudenken. Dann stand ich auf und ging ins Bad. Vielleicht war er ja auch nur duschen, dachte ich mir. Doch das Bad war leer. Er war tatsächlich abgehauen und hatte nicht mal einen Zettel mit einer Erklärung dagelassen oder sich verabschiedet. Die Typen heutzutage waren eben doch alle gleich, da gab es keine Ausnahmen, musste ich traurig feststellen. Ich kannte ihn zwar nicht besonders gut, aber ich mochte ihn sehr, denke ich. Er war der beeindruckendste Fremde, dem ich je begegnet bin. Schnell machte ich mich etwas frisch im Bad, wusch mir das Gesicht, kämmte meine Haare und trug etwas Deo auf. Für Zähne putzen hatte ich keine Zeit mehr, also packte ich schnell meine Sachen zusammen, zog Schuhe und Jacke an und verließ mit meiner Tasche in der Hand das Hotel. Hoffnungsvoll blickte ich mich vor dem Hotel um und meine Augen suchten die Fußgängerzone nach Samuel ein letztes Mal ab. Natürlich sah ich ihn nicht, denn er war höchst wahrscheinlich schon längst wieder in Köln, wo er wohnte. Ich schrieb meiner besten Freundin, wo wir uns treffen wollen und als sie mir zurückschrieb, rief ich mir gleich ein Taxi und ließ mich zum Bahnhof fahren. Kaum eine halbe Stunde später saßen meine beste Freundin und ich im Zug zurück nach Hause. Sie war müde, aber schien glücklich zu sein und redete nur wenig mit mir, da sie fast die ganze Zugfahrt über schlief. Ich war froh, dass sie mich nicht fragte, was ich letzte Nacht gemacht hatte oder wo ich war. Wir schwiegen friedlich bis wir aussteigen mussten. Ich brachte sie nach Hause und setzte mich danach in mein Lieblingscafé an der Ecke. Wie üblich bestellte ich mir einen Cappuccino mit extra viel Milchschaum obendrauf. Beim Bezahlen nahm ich mein Portemonnaie aus meiner Tasche und merkte, wie ein Zettel daraus fiel. Ich gab der Kassiererin ihr Geld und hob den Zettel behutsam auf. Erst als ich mich an einen Tisch im Café gesetzt hatte, klappte ich den kleinen Zettel auf und las ihn. Als ich ihn gelesen hatte musste ich schmunzeln. Darin stand: Du siehst heute echt hübsch aus. PS: der farbenblinde Rapper, der Angst vor Hunden hat. Darunter stand seine Handynummer. Er war nicht einfach so abgehauen. Dieser Zettel war von Samuel, das wusste ich. Endlich hatte ich seine Nummer und konnte ihm schreiben. Während ich einen Schluck von meinem heißen Cappuccino nahm, tippte ich seine Nummer in meine Kontakte und speicherte ihn als "favourite stranger" ein. Ein Lächeln machte sich in meinen Mundwinkeln breit. Sollte ich ihm schreiben? Nein, das wirkt so als wäre ich besessen von ihm. Andererseits hat er mir seine Nummer gegeben und wenn ich nicht schreiben würde, würde er denken, dass ich ihn vielleicht nie wieder sehen will. Das dürfte er auf keinen Fall denken! Na gut, ich werde ihm schreiben, dachte ich. Aber was sollte ich ihm schreiben? Einfach nur ein Hey oder ein lustiger Text, damit er wusste, dass ich es war, der ihm da schrieb. Ich war ganz eindeutig maximal überfordert und maximal nervös in diesem Moment. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und rief ihn einfach an. Er würde wahrscheinlich sowieso nicht rangehen, redete ich mir insgeheim an. "Ähm hallo...", kam es aus dem Lautsprecher. Oh Fuck, er ging tatsächlich ran. Nervös spielte ich mit meinen Haaren. Warum war ich schon wieder so nervös? "Hi, hier ist Luna. Du hast mir deine Nummer gegeben", erwiderte ich. "Du hast den Zettel also gefunden", antwortete er mir. "Ja, hab ich. Und du bist einfach so abgehauen", ärgerte ich ihn etwas. "Du hast recht. Das tut mir echt leid. Ich hatte wahrscheinlich einfach nur Schiss, was du am nächsten Morgen von mir denken könntest", entgegnete er. "Wie meinst du das? Was sollte ich denn von dir denken?", fragte ich etwas verwundert. "Naja, weil ich dir erzählt hab, dass ich farbenblind bin und Angst vor Hunden hab. Das hab ich vorher noch nie wem erzählt. Generell war ich noch nie zu jemandem so ehrlich. Ich vertraue dir irgendwie, obwohl ich dich kaum kenne. Vielleicht...keine Ahnung man....vielleicht will ich, dass du mich cool findest oder so", erklärte er ganz locker. Sein Tonfall schien zwar ruhig und locker, aber ich merkte genau, wie viel Überwindung es ihn kostete all' das zuzugeben und wie unsicher er innerlich bei dem letzten Satz, den er aussprach, wurde. "Ich finde dich cool. Allein schon, weil du mich zwei mal vor so ekligen Typen gerettet hast. Und ich vertraue dir auch, das hab ich irgendwie schon seit dem ersten Moment als wir uns kennengelernt haben", gestand ich ihm. "Ich will dich sehen. Nicht jetzt gleich, aber irgendwann mal wieder. Ich will mich mal richtig mit dir treffen. Geplant und nicht einfach so durch Zufall", sagte Samuel. "Dann lass uns irgendwann treffen. Dieses Jahr noch", legte ich fest. "Ja, dieses Jahr noch. Du darfst aussuchen wann und ich darf aussuchen, was wir dann machen", bestimmte er. "Einverstanden", willigte ich ein. "Tut mir voll leid jetzt, aber ich muss gleich arbeiten. Lass uns heute Abend telefonieren, ok? Du kannst mir natürlich immer wann du willst schreiben", erklärte er mir. "Alles klar Herr Kommissar. Das mache ich. Bis heute Abend", sagte ich lächelnd. Er lachte. Wie ich dieses Lachen liebte. "Bis heute Abend. Tschüss du Kleine", verabschiedete er sich. "Tschüss", sagte ich lächelnd und legte auf. Hatte er mich gerade "Kleine" genannt? Wie konnte eine einzelne Person nur so süß sein? Nein Stopp- Er war anständig, erwachsen und sympathisch, aber ganz bestimmt nicht süß. Ich kannte ihn ja nicht einmal lange. Süß finden durfte ich ihn erst, wenn wir uns getroffen hatten und ich ihn gründlich ausgefragt hatte, beschloss ich in meinen Gedanken. Ich trank meinen Cappuccino aus und verließ lächelnd das Café. Auf dem Weg nach Hause genoss ich die Sonnenstrahlen auf meiner Haut und grüßte die Menschen, denen ich begegnete, auch wenn ich sie eigentlich gar nicht kannte. Vielleicht waren Fremde manchmal tatsächlich wunderbare Menschen, die man bloß noch nicht kannte, dachte ich freudestrahlend.

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