Suicide tracks

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Meine hellbraunen Haare fielen mir lang über die Schultern, nachdem ich sie kräftig durchgebürstet hatte. Ich trug etwas mattes Puder und einen Hauch Rouge auf und betonte danach noch etwas mehr meine grünen Augen, indem ich noch etwas Mascara auftrug. Danach kümmerte ich mich um mein Outfit. Ich entschied mich für eine schwarze Jeans und ein weißes Langarmshirt und für meine weißen Sneaker. Heute trug ich sogar etwas Parfüm auf. Alien, mein Lieblingsparfüm. Heute war der Tag, an dem ich wieder zurück in meine langweilige Kleinstadt fahren werde. Ich habe die Zeit hier echt genossen. Noch nie vorher hatte ich so viel Spaß mit meiner Oma. Wir haben ständig Mensch-Ärger-Dich-Nicht gespielt und sie hat immer gewonnen, dafür habe ich immer beim Memorie-Spielen gegen sie gewonnen. Wir waren oft zusammen spazieren und sie hat mir von ihrer Kindheit und Jugendzeit erzählt. Ich mochte es wenn sie das tat, weil sie dann immer so glücklich aussah. Jetzt begleitete sie mich noch zu meinem Gleis und dann würde ich wieder nach Hause fahren. "So mein Schatz, hier sind wir. Also dann, gute Reise und ich hab dich ganz doll lieb, ja?", verabschiedete sich meine Oma bei mir. "Tschüss Omi, bis bald und ich hab dich auch ganz doll lieb", antwortete ich ihr und wir umarmten uns zum Abschied, bis sie mich auf dem Bahnsteig alleine ließ. Mein Zug sollte eigentlich schon da sein, aber er hatte wohl etwas Verspätung. Ich setzte mich auf eine überdachte Bank und stellte meinen Koffer neben mich. Na dann würde ich eben noch etwas hier sitzen und warten, dachte ich mir und lehnte mich entspannt zurück. Ich blickte mich seelenruhig auf dem Bahnsteig um und verfolgte das wilde Treiben, was gewöhnlicherweise immer auf einem Bahnhof herrschte. Da fiel mein Blick auf das Ende des Bahnsteigs. Entweder ich irrte mich oder da stand tatsächlich der Junge, der mich vor einer Woche auf dem Spielplatz mit seinen Rap Künsten beeindrucken wollte. Ich setzte mich auf den Rand der Bank und lehnte mich vor. Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass es wirklich der Junge vom Spielplatz war. Obwohl "Junge" ist wohl eher falsch ausgedrückt, denn er hatte einen Bart und sah etwas älter aus als ich. Er war sogar eigentlich ziemlich hübsch, dachte ich. Ich fragte mich, was er hier machen könnte, denn er hatte kein Gepäck dabei und sein Blick schweifte die ganze Zeit über die Gleise, als würde er den Zug unbedingt nicht verpassen wollen. Ich folgte seinem Blick und sah, dass mein Zug tatsächlich schon kam und stand auf. Dann ging plötzlich alles ganz schnell, denn als ich nochmal zu dem Jungen am Ende des Gleises sah und bemerkte, wie er immer weiter auf das Ende des Bahnsteigs auf die Gleise zuging, wurde mir klar: Der Junge wollte sich vor den Zug schmeißen und sich das Leben nehmen. Ich reagierte blitzschnell, rannte zu ihm, packte seinen Arm und zog ihn noch gerade rechtzeitig wieder auf den Bahnsteig zurück, sodass wir auf den Boden fielen und ich auf ihm lag. Mein Herz raste. Die Zeit blieb stehen und doch sah ich, wie in Zeitlupe, dass mein Zug das Bahngleis verließ und davonrauschte. Der Bahnsteig war nun vollkommen leer und ich lag immer noch auf dem Jungen. Als ich das realisierte und sich unsere Blicke trafen, wollte ich mich schnell aufraffen, doch er hielt mich am Arm fest und zog mich wieder zurück auf den Boden. Ich saß neben ihm. "Warum hast du das gemacht?", fragte er wütend und doch irgendwie verzweifelt. "Weil du dir das Leben nehmen wolltest", antwortete ich atemlos. Warum war plötzlich so wenig Luft um mich herum oder kam mir das nur so vor? "Ja, weil die Welt besser ohne mich ist", sagte er. "Was redest du da? Du hast bestimmt Menschen, denen du wichtig bist und du machst so eine Scheiße", schrie ich ihn fast an, aber ich konnte mich noch beherrschen. "Ich bin niemandem wichtig, wenn überhaupt, dann gehe ich Menschen auf die Nerven oder ich verletze sie. Und scheiße dein Leben ist vielleicht perfekt, aber ich hab Krebs und werde bald so oder so verrecken, aber egal. Du checkst das eh nicht", schrie er mich jetzt an. Ich war sprachlos und bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper, als er sagte, dass er Krebs hatte. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Er wartete aber scheinbar auf eine Antwort und als ich ihm nach einigem Schweigen keine gab, stand er einfach auf und ging. Ich stutzte kurz und überlegte, dann stand ich auf, nahm meinen Koffer und ging ihm hinterher. Meinen Zug hatte ich ja eh verpasst und der nächste kam erst morgen früh, also musste ich so oder so erstmal warten. Ich rannte ihm hinterher und rief: "Wie heißt du eigentlich?" Er drehte sich verwundert zu mir um, wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich ihm hinterherlaufen würde. Ich hatte ehrlich gesagt auch nicht damit gerechnet. "Samuel", sagte er nur und wartete auf meine Antwort. "Ich bin Luna", verriet ich ihm. "Schön dich kennengelernt zu haben, Luna", entgegnete er ironisch und drehte sich wieder um, um seinen Weg fortzusetzen. Ich ging ihm immer noch hinterher, bis ich ihn eingeholt hatte und neben ihm ging. Als er mich bemerkte, fragte er mich: "Und was willst du jetzt noch von mir?" "Mhm keine Ahnung, ein bisschen mit dir reden", entgegnete ich. "Und worüber?", fragte er gelangweilt. "Ich weiß nicht, vielleicht fange ich mal mit dieser Frage an: Warum denkst du hat das Schicksal uns ein zweites Mal an den selben Ort zur selben Zeit zusammengebracht?", fragte ich ihn neugierig. "Keine Ahnung vielleicht Zufall? Also was willst du jetzt? Mich den ganzen Tag verfolgen oder was?", fragte er jetzt schon etwas genervt. Oder tat er nur so? "Ja klar, warum nicht", antwortete ich ihm grinsend und er grinste zurück. "Nur mal so: Ein paar meiner Kumpels schmeißen heute Abend so ne Party oder sowas Ähnliches. Vielleicht haste ja Bock mitzukommen. Ich pass auch auf, dass du dir nicht zu viel Vodka reinkippst und du könntest bei mir pennen. Du wirst sowieso Nein sagen, aber...", fing er an zu reden, aber ich unterbrach ihn mit einem einfachen: "Alles klar, ich bin dabei." Er schaute mich nur verwundert an und ich grinste wieder. Das hatte er wohl nicht erwartet, aber ich fügte noch hinzu: " Mein Zug kommt eh erst morgen früh wieder, also kann ich vorher sowieso nicht hier weg." "Ja, hab ich mir schon so gedacht. Du brauchst was zum Zeitvertreib bis dahin und so, ne?", fragte er mich und erwartete scheinbar nicht wirklich eine Antwort von mir. Ich sagte daraufhin nur: "Ja vielleicht, aber in guter Gesellschaft ist der Zeitvertreib doch schöner." Er antwortete nicht, aber es sah so aus, als würde er ein Lächeln unterdrücken.

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