Sechstes Kapitel

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Ich schloss kurz die Augen und richtete mich langsam auf. "Fallen lassen", wurde mir befohlen und ich ließ den Bogen fallen. Ich hatte keinen Zweifel, dass ich den Menschen besiegen konnte, doch wenn er hier wohnte, dann würde er wissen wo ich etwas zu essen herbekam. "Hände nach hinten." Ich sah ihn böse an. Also das war dann doch unter meiner Würde. Die Gestalt vor mir hatte sich auch als kein Tier herausgestellt. "Ich bin nicht wegen euch hier", murmelte ich und drehte mich dem Mann zu. Er hielt immer noch den gespannten Bogen viel zu nah mir gegenüber. Ich konnte ein leichtes Lächeln nicht lassen, als ich ihn mit einer spielenden Bewegung entwaffnete. "Julian! Nein!", rief plötzlich eine weibliche Stimme, von der Person, die ich gerade zu meinem Frühstück machen wollte. Ich hatte das natürlich erwartet, doch was ich nicht erwartet hatte, war der plötzliche Schmerz, der von der Mitte meines Bauches plötzlich überall hin ausstrahlte. Es fühlte sich wie das Gegenmittel an, nur, dass es plötzlich überall gleichzeitig war. Ich stolperte zurück und fühlte die Kälte des Schnees in meinem Nacken.

"Wie hast du uns gefunden?", hörte ich den Mann wütend fragen und spürte, wie Gewicht sich auf mich legte. Ich verdrehte meine Augen und hatte nicht die Kraft, um zu antworten. "Warte. Sie ist krank", hielt die Elbin ihn auf, als sie endlich angerannt kam. Ich ächzte schwer, als Julian sich wieder erhob, und hustete. "Wir müssen weiter." "Wir können sie hier nicht so liegen lassen", widersprach seine Freundin und hockte sich zu mir. "Was hast du eigentlich getan?" "Ich bin mir nicht sicher, es hat ihrem System irgendwie innegewohnt. Es ist elbische Medizin, doch sie wird normal nicht so verabreicht", erklärte sie. Langsam merkte ich, wie mein Körper dagegen ankämpfte. Meine Sicht klärte sich wieder etwas auf und ich hatte genug Kraft, um sie am rechten Handgelenk zu packen und den Ärmel samt Mantel hochzuziehen. Sie gab einen überraschten Ton von sich und auch der Mann stürzte sofort wieder zurück. Doch ich hatte mein Ziel erreicht. "Calen nehme ich an", stöhnte ich unter der Klinge, die mir nun an den Hals gehalten wurde. Die Elbin legte ihre Hand sanft auf den Arm ihres Verteidigers. "Und du bist?" "Eine Verwandte von Euch. Komplizierte Geschichte", presste ich heraus und durfte mich aufsetzen. Die beiden warfen sich einen kurzen Blick zu. "Julien hat recht, wir sollten nicht weiter hier herumsitzen. Komm mit", lächelte sie und half mir auf. Julien schien mir immer noch nicht so wirklich zu vertrauen, doch widersprach Calen auch nicht.

"Dann erzähl deine Geschichte", bot die Elbin mir an, als wir einen kleinen Unterschlupf betraten. Er war nicht sonderlich warm, doch zumindest Essen konnte ich entdecken. "Darf ich zuerst fragen wo Legolas ist?", fragte ich leise und setzte mich auf einen der im Kreis aufgestellten Steine. Nun fiel mir auch auf, dass ich die beiden kannte. Sie waren diejenigen, die hinter der Höhle wohnten, in der Inglors Bruder getötet wurde bei dem Angriff von den Wargen. "Du gehörst zu ihm?", knurrte Julian immer noch misstrauisch. "Ich bin seine Verlobte", erklärte ich müde und nickte. Calen sah mich überrascht an. "Ich weiß nicht, wie viel von der Geschichte wahr ist, die mir erzählt wurde, doch laut dem bin ich Eure Großcousine", fing ich an zu erklären und beobachtete genau die Reaktion. Die Elbin erstarrte bloß. Ich sah die beiden erwartungsvoll an. Wenigstens von ihnen war doch eine Antwort zu erwarten? "Tut mir leid, wie war dein Name?" "Melian." Sie hob ihre Augenbraun und wandte sich kurz ab. "Du glaubst, dass sie..." "Warum sollte sie lügen? Wir müssen auf jeden Fall noch Legolas fragen." Ich sah verwirrt zwischen den beiden hin und her. Natürlich kannte sie ihre eigene Geschichte und wusste dadurch mehr als ich, doch was sollte ich mit dem Ganzen zu tun haben? Es war doch eigentlich nur Zufall gewesen, dass ich davon erfahren hatte - oder?

"Wenn du aus Thranduils Hallen kommst, bist du sicher eine gute Kämpferin?", fragte Calen mich, worauf ihr Freund zusammenzuckte. "Wir können ihr immer noch nicht vertrauen!" "Das bin ich", ignorierte ich ihn einfach und sah sie erwartungsvoll an. Natürlich fand ich es nicht unbedingt gut, dass sie mich gefangen genommen hatten, doch ich würde alles tun, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Elbin nickte nach draußen, worauf der Mann ihr folgte. Ich seufzte leise und entspannte mich. Meinem Körper ging es inzwischen besser, doch ich merkte, wie ich regelrecht schlapp war. Von dem Mittel und der plötzlichen, anstrengen Reise. Vermutlich könnte ich mich noch gegen die beiden verteidigen, wenn sie mich nicht doch noch fesselten, doch eigentlich wollte ich das nicht unbedingt. Calen pflegte offensichtlich eine gute Beziehung zu ihren übernatürlichen Fähigkeiten, die jeder Elbin innewohnten und ich hatte nicht vor mir das noch mal bestätigen zu lassen. Sie redeten lange und irgendwann entschied ich mich meinen Mantel auszuziehen und mich hinten an eine Wand zu legen. Ich war müde und wusste, dass ich wieder aufwachen würde, wenn sie zurückkamen. Meinen Mantel legte ich als Decke über mich. Natürlich hatten sie Matten und Ähnliches, doch ich wollte keine Bürde sein und solange es nicht permanent war, war ich so fertig, dass ich im Moment überall einschlafen hätte können. Die Berge hatten alle Sorgen wie weggefegt. Sollte ich mir nicht eigentlich Gedanken darüber machen, ob in den Hallen alles richtig lief? Ob sich mal wieder eine neue Gruppe meines Onkels gebildet hatte und nach uns suchte? Doch da war nichts. Ich hätte selbst gerne gewusst was mir diese plötzliche Sicherheit gab. Noch ein Punkt, in dem ich mich gerade nicht selbst einschätzen konnte, war meine Müdigkeit. Der Tag hatte mehr an mir gezerrt als erwartet, wodurch ich erst viele Stunden später aufwachte. Es musste bereits Nachmittag sein. Calen und Julian waren nirgends zu sehen, doch meine fest zusammengepressten Hände und Füße fielen mir sehr wohl auf. "Man merkt, dass sie nicht aus dem Düsterwald kommen", murmelte ich leise und schüttelte den Kopf, während ich mich aufsetzte und zu meinen Waffen am anderen Ende des Unterschlupfes robbte. Dort war es ein leichtes Unterfangen, an meinem perfekt geschliffenen Schwert meine Fesseln aufzuschneiden. Die an meinen Füßen waren dann auch kein Thema mehr. Viel mehr interessierte mich, warum der misstrauische Mensch mich alleine gelassen hatte. Hätten sie sich nicht denken können, dass ich irgendwie entkommen würde?

Alle Wege führen nach Bruchtal // Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt