Siebtes Kapitel

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"Tut mir leid, ich brauch nur kurz", murmelte ich und stand wieder auf. Aranel nickte und senkte seinen Blick. Ich ging zum Eingang und atmete tief die kalte Luft ein. Warum war Calen überhaupt angegriffen worden, wenn sie eine Maia war? Konnte sie nicht wie Melian einen Gürtel erzeugen, der sie vor allem schützte? Hatte sie nicht genug Kraft, um sich nicht verstecken zu müssen? Ich war so vertieft in meine Gedanken, dass ich die winzige Bewegung vor mir gar nicht bemerkte und erst ein feuriger Schmerz in meiner Schulter mich in die Realität zurückholte. Überfordert riss ich meine Augen auf und ließ mich zurückfallen. Die plötzliche Verletzung war nach so vielen Jahren nicht unbedingt erwartet gewesen. Es war etwas anderes als fast zu erfrieren oder vergiftet zu werden. Das hier lokalisierte sich auf einen Punkt und strahlte nun immer weiter aus. "Melian!", rief Aranel hinter mir und wie in einem Nebel bekam ich mit, wie er sich über mich beugte und dann nach draußen lief. Ich schnappte nach Luft und drehte mich auf die Seite, um nach meinem Schwert zu greifen, doch die Angreifer waren bereits zu nah. Ich hasste mich dafür, doch schon wieder erwischte ich mich dabei an Aranels Loyalität zu zweifeln, auch, wenn ich mir nicht einmal sicher war, ob da jemals eine vorhanden war. Er schuldete mir nichts, gehörte nicht einmal zu meinem Reich. Es war nur natürlich, dass er sich jetzt zu seinen alten Leuten gesellte.

Ich knurrte und stellte mich wieder auf die Beine. Vor mir sah ich drei schwarz gekleidete Elben näherkommen, alle mit gezückten Waffen. Mit dem Pfeil in meiner Schulter würde ich niemals alle drei besiegen können, weshalb ich einfach loslief an dem Berg entlang. Flüchten entsprach zwar nicht ganz meiner Würde, doch es war die einzige Möglichkeit zu überleben. Neben mir hörte ich einen Pfeil in den Schnee fliegen. Sie hatten wieder ihre Bögen ausgepackt und der nächste würde nicht so schrecklich gezielt sein. Also warf ich mich improvisiert auf die Seite, an der ein Abhang hinunter in ein Thal fühlte. Der Schnee war kalt in meinem Gesicht und an meinen Händen und der Pfeil wurde radikal aus meiner Schulter gedreht, sodass ich aufgeschrien hätte, hätte ich die Möglichkeit gehabt, doch das war nicht wirklich der Fall. Zu allem Überfluss riss ich auch noch eine kleine Lawine mit mir, die sich schnell unter mir begrub. Es dauerte nur etwa eine halbe Minute, bis alles zum Stillstand gekommen war. Ich wusste nicht, ob ich mich bewegen sollte oder nicht. Meine Gegner wussten immerhin, dass ich hier war, doch in der Menge des Schnees konnten sie unmöglich wissen wo genau. Deswegen genoss ich erst einmal kurz die Ruhe und schloss meine Augen. Ich merkte wie meine linke, verletzte Schulter langsam wärmer wurde vom Blut. Meine Hand und Arm ließen sich inzwischen auch nicht mehr so gut bewegen. Die Massen drückten zunächst schwer auf mir und schnell merkte ich, wie der Sauerstoff gering wurde. So wollte ich nicht sterben, das war nie der Plan gewesen! Also riss ich mich zusammen und begann mit meiner rechten Hand nach oben zu graben. Die Lawine war wie bereits erwähnt nicht besonders schlimm gewesen, doch genug, um mich an dem Erfolg meines Vorhabens zweifeln zu lassen.

Ich merkte wie sich eine warme Träne meine Wange hinunterstahl. Hätte ich mir nicht denken können, dass Verstärkung kommen würde, wenn die ursprüngliche Gruppe nicht zurückkehrte? Vielleicht hatte Aranel nur darauf gewartet? Doch das half mir jetzt nicht weiter. Hier würde ich den sicheren Tod finden und draußen lauerten vielleicht immer noch die Leute von meinem Onkel. Doch das war nun einmal die größere Chance auf Erfolg, also grub ich weiter. Überrascht merkte ich irgendwann keinen Widerstand mehr. Der Schnee war "nur" ungefähr einen halben Meter über mir. Das gab mir neue Motivation, um meinen Oberkörper durch das kleine Loch zu schieben. Sobald mein Kopf die kalte Luft erreichte, schnappte ich erst einmal nach Sauerstoff. Mir war gar nicht aufgefallen, wie warm es da unten durch meinen Atem geworden war im Gegensatz zu oben. Bevor ich irgendwelche weiteren Bewegungen machte, sah ich mich, so gut es eben halb eingegraben ging, um. Vor mir lag der Abhang, den ich hinuntergerollt war. Oben konnte ich niemanden mehr erkennen, doch trotzdem blieb ich noch einige Minuten in der Position. Auch, weil ich mich nicht kräftig genug fühlte, um ganz hinauszuklettern. Irgendwann drang die Nässe durch meine Kleidung und ich merkte, was für eine blöde Idee es eigentlich war noch länger zu warten. Ich musste unbedingt die Wunde versorgen und brauchte einen sicheren Schlafplatz bevor die frühe Nacht kam.

Alle Wege führen nach Bruchtal // Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt