"Treffende Blicke"

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Und so begann ihr Alltag hinter Gittern.
Immer wenn die Zellentüren geöffnet wurden, erschienen sofort Joe und seine Männer und verhinderten so, dass die übrigen Häftlinge sich an Ophelia vergreifen konnten.
Die Männer sprachen nicht mit ihr und Ophelia versuchte auch kein Gespräch mit ihnen anzufangen.
Der Tagesablauf war immer derselbe und die Tage begannen in Ophelias Kopf miteinander zu verschwimmen.
Tag um Tag versuchte sie zu verstehen, weshalb sie hier war und mit was sie das alles hier verdient hatte.
Noch immer wurde sie von den Häftlingen angestarrt und immer wieder hörte sie anzügliche Sprüche, doch sie versuchte diese so weit wie möglich auszublenden.
Noch am zweiten Tag nach ihrer Ankunft hatte sie festgestellt, dass der Mann, der sie auf dem Hof so unverhohlen angestarrt hatte, in einer Zelle ihr gegenüber einquartiert war. Er starrte sie zwar nicht mehr die ganze Zeit an, doch nicht selten, wenn Ophelia zu ihm hinüber sah, trafen sich ihre Blicke. Ihr war klar, dass er sie beobachtete. Sie versuchte es, zu vermeiden, ihn anzusehen, doch gleichzeitig wollte sie ihn im Auge behalten, um einschätzen zu können, ob er eine Gefahr für sie bedeutete, oder nicht.
In einem der wenigen Augenblicke, als sie ihn ihrerseits beobachtete, sprach er mit seinem Zellenkumpel und deutete mit dem Kopf immer wieder zu ihr hin, ohne sie tatsächlich direkt anzuschauen. Ophelia hatte das Gefühl, dass er irgendetwas vorhatte.
Ihr lief es kalt den Rücken hinunter, als sich in Gedanken ausmalte, was das sein konnte.
Sie beschloss, sich solche Gedanken zu verbieten, da sie sich sowieso nicht ernsthaft gegen die Bosheiten dieser Menschen hier wehren konnte.

Eines Morgens kam Joe in ihre Zelle und grinste sie frohlockend an. Sie machte sich nicht die Mühe, ihn zu fragen, weshalb er so gut gelaunt war. Erstens konnte sie sich nicht vorstellen, dass seine gute Laune etwas Positives für sie bedeutete und zweitens würde er es ihr ja sowieso gleich erzählen. Sie behielt recht. Mit dem breitesten Grinsen der Welt erklärte er:
„Ich habe Neuigkeiten für dich. Bellick hat gesagt, dass der Boss morgen wieder aus der Isolationshaft entlassen wird."

Ophelia lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte gehofft, dass sie diese Worte noch eine ganze Weile lang nicht hätte hören müssen.
„Ich weiß zwar nicht, was du davon hältst, aber ich für meinen Teil freue mich sehr darauf, dich ihm vorzustellen."
Er wartete einige Sekunden, ob Ophelia irgendeine Reaktion auf seine Worte zeigen würde, doch sie schwieg und vermied den Blickkontakt mit ihm.
„Jedenfalls solltest du dich ein bisschen für ihn zurecht machen. Dir eine hübsche Frisur machen, oder so was. Vielleicht geht er dann heute Nacht vorsichtig mit dir um."
Ophelia biss sich auf die Lippen. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten.
Sie spürte Joes Hand an ihrem Kinn. Er hob es ein Stück an und sah ihr direkt ins Gesicht. Wie sie es hasste, wenn er sie berührte.
„Na na, du wirst hier doch wohl nicht anfangen loszuheulen? Davon kann ich dir nur abraten, da der Boss nicht so sehr auf hilflose kleine Mädels steht."
Er wischte ihr grob eine Träne von der Wange. Sie hätte ihn am liebsten geschlagen, doch das traute sie sich nicht.
„Außerdem will ich nicht, dass du verheult aussiehst. Steh auf und wasch dir das Gesicht. Und dann leg dich hin. Ich will, dass du dir einen langen Schönheitsschlaf gönnst, um morgen fit zu sein. Du wirst alle Kraft brauchen, die du hast."
Er lachte über seine eigene Anspielung und verließ dann wieder die Zelle.
Ophelia spürte, dass ihr Herz vor Angst immer schneller schlug und sie nicht mehr genug Luft bekam. Doch sie hatte eine sehr gute Selbstbeherrschung und zwang sich dazu, ruhiger zu atmen. Es kostete sie viel Kraft, doch schließlich hatte sie Erfolg und folgte tatsächlich Joes Aufforderung, sich das Gesicht zu waschen. Danach fühlte sie sich immerhin ruhig genug, um nachdenken zu können.

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