Ophelia trug keine Uhr. Aber das war auch nicht nötig. Mit der Zeit konnte man abschätzen, wie viel Zeit noch verging, bis der nächste Programmpunkt der täglichen Routine anstand.
Das waren die Gedanken, die Ophelia durch den Kopf gingen, während sie auf ihrem Bett saß und darauf wartete, dass die Zellentüren sich öffneten. Sie hatte sich bereits an dem kleinen Waschbecken gewaschen und die Zähne geputzt. Auch das Verhalten der anderen Gefangenen war ein Indikator für die Zeit. Sie waren alle wach und auf den Beinen, soweit Ophelia das von ihrer Zelle aus sehen konnte. Sie konnte auch Michael sehen, der sich in seiner Zelle vor dem Gitter stehend mit Sucre unterhielt.
Sie beschloss herauszufinden, wie gut ihr Gefühl für die Zeit tatsächlich war. Ihrer Schätzung nach, könnte es noch ungefähr zwei Minuten dauern, bis die Tür zurückfuhr. Um ihr Gefühl zu testen, zählte sie langsam die Sekunden. Doch als sie bei Null angekommen war, tat sich nichts. Hmm. Sie musste wohl noch etwas üben.
Einige Sekunden später hörte sie das ihr mittlerweile bekannte, metallene Geräusch und die Tür fuhr zur Seite. Ophelia stand auf und ging zum Gitter. Schon vernahm sie die schnellen Schritte ihrer „Übergangswächter". Sie hoffte sehr, dass dieses Mal keine Schwierigkeiten zwischen Michaels und Blakes Männern auftreten würden. Es machte ihr jedes Mal Angst, wenn die Männer sich gegenseitig mit leisen Drohungen anfauchten und beide Gruppen ihre kleinen, unterschwelligen Machtkämpfe vor ihrer Zellentür austrugen. Schlussendlich hatten Blakes Männer bisher aber immer das Feld geräumt.Die nächsten Sekunden zeigten Ophelia, dass sie viel größere Sorgen, als ein paar haltlose Drohungen hatte. Die Schritte waren nämlich mittlerweile an ihrer Zelle angekommen. Allerdings hielt der Mann, der sich näherte, nicht außerhalb ihrer Zelle an, sondern packte Ophelia, die gerade noch in der Tür gestanden hatte. mit einer Hand am Hals und stieß sie zurück in die Zelle.
Dort drückte er sie mit seinem Körper gegen die Wand, fing ihre beiden Hände mit seiner linken ein und hielt diese über ihrem Kopf fest. Mit der rechten drehte er ihren Kopf so, dass ihr Gesicht genau vor dem seinen war. Dann presste er seine Lippen auf die ihren und begann sie zu küssen.
Das alles war so schnell gegangen, dass Ophelia weder dazu gekommen war, um Hilfe zu rufen, noch sich zu wehren. Die Möglichkeit zu Schreien blieb ihr im Moment ebenfalls verwehrt, doch sie begann augenblicklich mit ihren Füßen zu treten und wie wild gegen den eisernen Griff um Hände anzukämpfen.
Beides war mehr als aussichtslos, wie sie nun schon mehrfach festgestellt hatte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war jeder Mann in diesem Gefängnis stärker als sie. Doch die Panik und der Ekel über das, was der Mann ihr gerade antat, zwangen sie dazu, den aussichtslosen Kampf weiterzukämpfen.
Und aus welchem Grund auch immer, schaffte sie es wider Erwarten, ihre rechte Hand loszureißen. Sie nutzte das kleine Stückchen Freiheit augenblicklich, um dem Mann ihre Hand ins Gesicht zu schlagen und ihm dann über die Augen zu kratzen. Zumindest war es das, was sie vorhatte. Natürlich schaffte sie es nur, ihm ein paar blutige Kratzer über der Stirn zuzufügen.
Der Mann packte ihre Hand, riss sie von seinem Gesicht weg, starrte Ophelia finster an, ließ ihre linke Hand für einen Augenblick los und schlug ihr seine Faust an die Stirn. Genau auf die Stelle, die sich nach dem letzten Schlag blau und grün verfärbt hatte.
Ophelia beobachtete nur noch, wie durch einen Nebel, dass er ihre Hand wieder packte und dann erneut seine Lippen auf die ihren presste. Diesmal nur umso fester.
Ihre Verzweiflung wurde immer größer, doch dann, endlich, hörte sie laute Rufe und der Mann wurde von ihr weggerissen. Sie sackte zusammen und blieb zitternd mit dem Rücken an der Wand sitzen. Wie durch einen Schleier sah sie zu, wie Blake den Mann zuerst gegen den Bettpfosten schleuderte und dann niederschlug, wobei er ihm die Nase brach, was ein lautes Knacken verursachte. Der Mann fiel zu Boden und wagte es angesichts Blakes wütenden Blicks nicht mehr aufzustehen.
Blake sah zu ihr hinüber, doch noch bevor er etwas sagen konnte, betrat Michael die Zelle.
Als er Ophelia auf dem Boden kauern sah und das Blut bemerkte, das aus der Platzwunde auf ihrer Stirn tropfte, trat er sofort zwischen sie und Blake.
„Was ist hier los?", schrie er wütend.
Blake hob beschwichtigend die Hände.
„Ich habe ihr diesmal nichts getan. Nur sie verteidigt."
Dann gab er dem auf dem Boden liegenden Mann einen Tritt.
„Jake hier hat versucht sie zu überfallen. Ich bin leider erst ein paar Sekunden später hier gewesen, habe ihn dann aber sofort daran gehindert."
Michael sah von einem zum anderen. Dann fragte er Ophelia:
„Stimmt das? Hat Blake dir geholfen?"
Ophelia hatte Mühe, seine Worte zu verstehen. Der Schlag hatte ihren Kopf zum Dröhnen gebracht und als sie es schließlich fertig brachte zu nicken, bereute sie es sofort, weil der Schmerz an ihrer Stirn augenblicklich zunahm.
Sie beobachtete, wie Michael sehr nah an Blake herantrat, obwohl er dabei ein wenig zu ihm hochsehen musste.
„Wenn du deine Männer ab jetzt nicht unter Kontrolle hast, platzt unsere Vereinbarung!"
Seine Worte waren leise, doch so drohend, dass Blake nur mit einem kurzen „Darauf kannst du dich verlassen" antwortete, sich dann bückte und den Mann am Kragen packte.
Er riss ihn hoch und zerrte ihn aus der Zelle.
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Worth of Freedom
AdventureOphelia erwacht in Fox River, doch sie ist sich keines Verbrechens bewusst. Der ganze Schrecken des Gefängnisalltags bricht über sie herein. Wie soll sie sich nur gegen die Übergriffe der anderen Häftlinge zur Wehr setzen? Und wer ist dieser Mann...