Während des Mittagessens beobachtete sie, wie Michael zunächst mit Abruzzi und dann mit einem älteren Mann sprach. Als er dann endlich zu ihrem Tisch kam, grinste er zufrieden.
Fernando fragte ihn sofort, wie die Gespräche verlaufen waren.
Michael erklärte, dass er seine Verlegung aufschieben könnte, wenn er sich irgendeine Krankheit überlegen und einen entsprechenden Antrag an Pope schicken würde. Dieser dürfte ihn dann erst nach der gerichtlichen Ablehnung des Antrags verlegen.
„Charles Westmoreland hat auf diese Weise schon seit Jahren verhindert, dass er verlegt wurde."
Ophelia fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Michael bemerkte ihre Erleichterung.
Er sah ihr direkt in die Augen und versicherte ihr erneut.
„Wie schon gesagt, ich werde dich nicht enttäuschen."Der weitere Tag verlief ereignislos. Bis die abendliche Zählung erfolgte.
Ophelia wartete ein wenig gelangweilt vor ihrer Tür, bis sie an die Reihe kommen würde, als ihr Blick zufällig zu Sucre und Michaels Zelle fiel und nur Sucre vor der Tür stand. Er sah nervös aus und auch bei näherem Hinsehen konnte sie Michael nicht in der Zelle entdecken. Spätestens als der Alarm ausgelöst war, wurde ihr klar, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Wo war Michael? War er etwa geflüchtet?
Sie traute sich nicht einmal darüber nachzudenken, was das für Konsequenzen für ihn und daraus folgend auch für sie haben würde.
Doch nach ungefähr einer halben Stunde wurde Michael von einem Wächter zu seiner Zelle gebracht. Im ersten Moment war Ophelia erleichtert, dass er wieder da war, doch dann bemerkte sie seinen finsteren Gesichtsausdruck und die Erleichterung verflog. Was war geschehen?
War Michael tatsächlich geflüchtet und wieder gefasst worden?
An ihre Zellentür gelehnt starrte sie hinunter und beobachtete, wie Michael und Sucre ernst miteinander sprachen. Irgendwann drehte Sucre sich weg und schlug mit der Faust gegen das Bett. Er schien ziemlich wütend zu sein.
Michael war mittlerweile von seinem Bett aufgestanden, hatte sich einen Block geholt und schrieb etwas darauf. Dann stand er auf und ging zu seiner Zellentür. Er suchte Ophelias Blick und hielt dann nach und nach drei Blätter mit großen Buchstaben hinter das Gitter.
ANTRAG
ABGELEHNT
SORRY
Ophelia war wie vor den Kopf geschlagen. Sie begann zu zittern. Das konnte und durfte nicht wahr sein. Hatte Michael nicht gesagt, dass dieser Westmoreland auf diese Weise schon seit Ewigkeiten hier bleiben konnte?
Was war nur geschehen?
Michael sah noch immer zu ihr hoch und sein Blick war so voller Leid und Schuld, dass es Ophelia schier das Herz brach. Sie konnte wahrscheinlich nur in Ansätzen nachempfinden, wie sehr er aufgrund seines übermäßigen Mitleids darunter litt, dass er sein Versprechen ihr gegenüber nicht einhalten konnte.
Sie hielt es nicht mehr aus ihn so zu sehen. Also wandte sie sich ab und verkroch sich unter der dünnen Decke auf ihrem Bett.
Während der gesamten Nacht fand sie keinen Schlaf. Immer wieder überfiel sie Panik, wenn sie daran dachte, was ihr nun bevor stand. Ohne Michael war sie wieder schutzlos. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die anderen Männer sie noch weiter beschützen würden, wenn Michael sie nicht mehr mit seinen Abmachungen dazu zwang. Fernando wäre vielleicht noch der einzige, dem sie trauen könnte, doch was konnte er alleine schon gegen die anderen ausrichten?
Erinnerungen an ihre ersten Tage im Gefängnis wurden wieder wach. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.Am nächsten Morgen war sie mit den Nerven völlig am Ende als Sucre an ihre Zellentür kam und ihr in kurzen Worten bestätigte, was sie sowieso schon wusste.
Doch diese Bestätigung und die durchwachte Nacht waren zu viel. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und ließ sich mit dem Rücken an der Wand auf den Boden fallen.
Allerdings nahmen die Wärter darauf keine Rücksicht, weshalb Sucre sie kurzerhand hochzog und zum Frühstück brachte.
Ophelia konnte nichts essen und starrte nur schweigend auf ihren Teller.
„Hey Prinzessin, jetzt brauchst du wohl einen neuen Beschützer?"
Sie zuckte zusammen, als sie die raue Stimme hinter sich hörte. Voller Angst sah sie zu Sucre auf, der vor ihr saß. Dieser starrte den Mann, der hinter ihr stand drohend an und rief:
„Noch ist Michael nicht weg. Also pass auf, was du sagst!"
Der Mann lachte.
„Dann komme ich halt morgen wieder her. Bis dann Prinzessin."
Ophelia hatte Mühe die Tränen zurückzuhalten.
„Mach dir keine Sorgen, Ophelia", erklärte Fernando.
„Wenn Michael nicht mehr da ist, werde ich auf dich aufpassen. Du brauchst keine Angst zu haben."
Ophelia zwang sich zu einem Lächeln. Doch als sich ihre Blicke begegneten war beiden klar, dass Fernando das nur gesagt hatte um sie zu beruhigen, nicht weil er wirklich davon überzeugt war, sein Versprechen auch einhalten zu können.Nach dem Frühstück wurden sie auf den Hof geführt. Ophelia vermied es, den Blick umher schweifen zu lassen. Sie war sich der vielen Blicke, die auf ihr ruhten, durchaus bewusst. Immer wieder hörte sie leises Getuschel, aber auch laut ausgesprochene, anzügliche Bemerkungen. Sie konnte sich vorstellen, dass bereits einige Absprachen liefen, die sie betrafen.
Sie hielt sich dicht an Fernando. Einige Minuten später öffnete sich die Tür des Hauptgebäudes und Michael wurde in Handschellen hinausgeführt. Viele der Häftlinge, darunter auch Ophelia und Fernando gingen an den Zaun und beobachteten, wie Michael an ihnen vorbeigeführt wurde. Er vermied dabei jeden Blickkontakt. Nur als er seinen Bruder erblickte, hielt er kurz inne, wurde aber gleich weiter gezogen.
Als er nicht mehr zu sehen war, ließ sich Ophelia auf die Wiese nieder fallen und lehnte sich zitternd mit dem Rücken an den Zaun. Sie verbarg das Gesicht in beiden Händen und begann leise zu weinen. Sucre kauerte vor ihr nieder und redete tröstend auf sie ein, doch er konnte sie nicht beruhigen.
Innerlich begann sie mit ihrem Schicksal abzuschließen. Sie würde sich wohl mit ihrer Situation abfinden müssen. Auf Hilfe innerhalb dieser Zellen konnte sie nicht hoffen. Und auch Hilfe von außerhalb war unwahrscheinlich. Bisher hatte sich nämlich niemand zu ihren Besuchszeiten gemeldet. Und nachdem was sie vom Gefängnisdirektor und Michael gehört hatte, ging sie davon aus, dass niemand dort draußen überhaupt wusste, dass sie hier war. Wahrscheinlich gingen ihre Eltern und Freunde jeweils wechselseitig davon aus, dass sie entweder bei ihnen zu Hause oder an ihrem Studienort war. Das war wohl der Nachteil an einem unabhängigen Studentenleben.
Verzweifelt ließ sie alle Hoffnung fahren und ergab sich in ihr Schicksal.
Sie schlang ihre Arme um die angezogenen Beine und legte ihren Kopf auf die Knie. Fernando hatte aufgehört sie zu trösten und es war still um sie herum geworden.
Waren die Häftlinge etwa schon in ihre Zellen zurückgebracht worden? Doch Ophelia hatte keine Kraft mehr um aufzusehen oder auch nur den Kopf zu heben. Also verharrte sie einfach in der Stellung und wartete darauf, dass einer der Wächter sie in schroffem Ton auffordern würde, aufzustehen.
Tatsächlich, wie als ob sie es vorausgeahnt hätte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Ophelia zuckte heftig zusammen und hob ruckartig den Kopf.
Als sie allerdings erkannte, wer sich zu ihr hinunter beugte, stockte ihr schier der Atem. Das konnte doch nicht wahr sein. Wie...?
Aber dann war ihr alles egal. Sie sprang auf und umarmte ihn.
Michael erwiderte die Umarmung und drückte sie fest an sich. Er ließ sie nicht los, bis sich von selbst von ihm löste. Die Tränen kullerten ihr über die Wangen, aber jetzt waren es Tränen der Erleichterung. Sie lächelte ihn unsicher an und konnte es immer noch nicht fassen, ihn vor sich stehen zu sehen.
„Wie kommt es, dass du wieder zurückgekommen bist?"
„Pope hat seine Meinung im letzten Moment geändert und meinem Antrag doch noch stattgegeben. Ich weiß zwar nicht was ihn dazu gebracht hat, aber das spielt für den Moment keine Rolle. Wichtig ist nur, dass ich auf jeden Fall hier bleiben werde."
Ophelia musste sich sehr zusammenreißen, um bei diesen Worten nicht schon wieder in Tränen auszubrechen. Doch sie schaffte es, die Tränen mit einem erleichterten Lächeln zu ersetzen. Sucre grinste ebenfalls und hielt ihr die geballte Faust hin. Sie drückte ihre dagegen und bedankte sich leise bei ihm für seine Unterstützung.
Viel freier als zuvor sah Ophelia sich um. Dabei begegnete sie nicht wenigen finsteren Blicken. Doch nun wagte es keiner der Häftlinge mehr, sie mit Worten einzuschüchtern.
Wieder einmal fragte sich Ophelia, wie Michael es geschafft hatte, sich solche Macht und Respekt zu verschaffen. Wahrscheinlich waren dafür neben seinen Abmachungen aber auch einfach seine Präsenz und seine Ausstrahlung verantwortlich.
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Worth of Freedom
AvventuraOphelia erwacht in Fox River, doch sie ist sich keines Verbrechens bewusst. Der ganze Schrecken des Gefängnisalltags bricht über sie herein. Wie soll sie sich nur gegen die Übergriffe der anderen Häftlinge zur Wehr setzen? Und wer ist dieser Mann...