Kapitel 1

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"Hallo, viele von Ihnen kennen mich bereits, dennoch stelle ich mich vor: mein Name ist Lucilla und ich bin IT-Beraterin."

In meinem Leben musste ich bereits viele Male diesen Satz aufsagen. Es folgen Name meines Unternehmens und die genaue Beschreibung, weshalb ich hier bin. Das falsche Lächeln hat sich bereits in mein Gesicht eingemeißelt. All dies langweilt mich mittlerweile zu Tode. Menschen sind zwar ganz okay, aber die Tatsache, dass ich mich verstellen muss um kompetent für meinen Job zu wirken und sympathie-Punkte bei meinen Kunden zu sammeln sind eine Qual für mich. Ich sehe wieder die gleichen Menschen-Typen. Rechts von mir sitzen der etwas ältere, grauhaarige Schlipsträger, der mich sowieso nicht für kompetent genug hält diesen Job zu machen aufgrund meines jungen Alters und der Tatsache, dass ich weiblich bin. Dieser Typ wird die ganze Zeit während der Präsentation nicht zuhören, dann Fragen stellen, die ich bereits beantwortet habe vor 2 Folien. Mitten in der Präsentation wird er sagen, dass er alles nicht verstanden hätte - würdest du zuhören, würdest du es auch verstehen. Nach circa 30 Minuten wird er dann einen "sehr wichtigen Anruf" erhalten, sich entschuldigen und gehen.

Neben ihn sitzt der IT-Leiter des Unternehmens, welcher gespannt jede Folie mitverfolgen wird und organisatorisch beurteilen wird, welcher seiner Mitarbeiter welche von den Aufgaben übernehmen wird. Er wird in der Präsentation kurze Pausen benötigen um entscheiden zu können, wer das machen könnte. Natürlich wird er seine Entscheidungen mit mir besprechen wollen, obwohl ich niemanden von den Personen kenne, die er mir aufzählt und daher nicht einschätzen kann, ob diese Personen zu diesem Job passen. Er wird auch bis zum Ende der Präsentation bleiben und sich dann Hundert Mal bedanken, obwohl er das nicht müsste. Das wird derjenige sein, der mir am sympathischsten ist.

Links von mir sitzt eine Frau. Sie ist entweder Studentin oder Sachbearbeiterin. Ich würde eher sagen, dass es eine Studentin ist, da sie sich noch viel zu viel Mühe mit Ihren Kleidungsstil gibt. Alles was sie anhat, passt zu allem. Die Stiefel sind sogar farblich abgestimmt zu den Ohrringen. Wenn man eine Zeit lang in der IT arbeitet, steht man nicht jeden Morgen auf und stimmt sein komplettes Outfit ab. Sie wird entweder gar keine Fragen stellen, da sie zu viel Angst hat, ihre Schwächen einzusehen oder sie wird zu viele Fragen stellen, weil sie nicht Mal den internen Prozess kennt, geschweige denn den Prozess auf meinen Folien.

Irgendwie fehlt mir dieses Mal aber jemand, der den kompletten internen Prozess auswendig aufsagen wird und mich daran erinnern wird, dass seine Firma "anders" ist als alle anderen, die ich je hatte. Kunden denken immer, dass ihre Firma die komplizierteste ist. Ich habe bislang zwei meiner Kunden dabei zugestimmt, da deren Prozesse mich wirklich überrascht haben. Die restlichen Firmen haben immer das gleiche Vorgehen.

Ich kanns kaum erwarten heim zu kommen und baden zu gehen. Eigentlich möchte ich nicht mal hier sein. Ich mache meinen Job gerne, aber meine Motivation ist irgendwie erloschen. Vielleicht liegt es daran, dass es keine Änderungen mehr gibt. Ich erhalte zwar neue Kunden und neue Prozesse, aber irgendwie fühlen die sich alle gleich an. Letztes Jahr hatte ich aus diesem Grund einen leichten Burn-Out. Als ich zur Arbeit fahren wollte, habe ich einfach angefangen zu weinen. Fünf Stunden später konnte ich mich noch immer nicht beruhigen. Nicht mal die vorwurfsvollen Gesichter in der Arztpraxis konnten mich davon abhalten. Die Tage danach war ich erstmal daheim und habe neue Energie getankt. Es hatte auch seine Vorteile: ich habe angefangen zu lesen, Bücher zu schreiben, mich selber neu zu erfinden und sogar zu meditieren. Es fühlte sich alles auf einmal besser an, aber dann habe ich mit all dem aufgehört, einfach so. Ich hatte das Gefühl, dass ich keine Zeit habe um mich um mich selbst zu kümmern. Die Arbeit war wichtiger. Meine Familie und Freunde waren wichtiger. Alles war wichtiger als ich selbst. Vielleicht sollte ich mal wieder ein neues Buch kaufen.

"Und das wars. Haben Sie noch irgendwelche Fragen bevor wir uns das alles im System anschauen?"

Der Buchladen aus der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt