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Ten

Der nächste Morgen war schrecklich. Ich hatte viele Löcher in meiner Erinnerung, aber an die wichtigsten Momente konnte ich mich ganz klar erinnern: das Gespräch mit Taemin über Taeyong und meine Gefühle, der Kuss mit ihm, die Erinnerungen an früher bei Taeyongs Anblick, seine Fürsorge und der wunderschöne, viel zu kurze Kuss mit Taeyong. Und unser Händchenhalten.

Bei dem Gedanken an den Kuss war ich nicht mehr sicher, was ich unangenehmer fand: die Nähe zu Taeyong, mit der ich womöglich alles kaputt gemacht hatte, meine Kopfschmerzen und die Übelkeit oder die unerklärlichen Schmerzen in meinem linken Knie.

Ich beschloss über nichts nachzudenken, weil ich dazu vermutlich sowieso nicht in der Lage war, und legte mich wieder auf den Rücken.

Übermorgen kommt ein Idol zu euch, um die Stimme insbesondere bei Stage-Performances zu stärken. Vielleicht kennst du Byun Baekhyun? Er ist Vocalist bei EXO und hat schon einige Workshops für die Stimme besucht.

Ich las nur diese eine Nachricht von Taemin, ignorierte alle anderen, kümmerte mich auch nicht darum, ob ich diesen Baekhyun kannte - bestimmt, schließlich kannte ich EXO - und warf mein Handy irgendwo hin, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch.

Es dauerte keine Minute, bis sich in meinem Kopf die Frage formte, ob Taemin nichts zu tun hatte und ob er nicht auch den Kater des Todes hatte - schließlich hatte er genauso viel gehabt wie ich.

Es klopfte und meine Tür wurde leise aufgedrückt. Ich hielt meine Augen geschlossen, erstens, weil ich nicht schon wieder ein stärkeres Schwindelgefühl riskieren wollte und zweitens, weil ich immer noch nicht wusste, wie ich Taeyong unter die Augen treten sollte. Ich überlegte also, ob es klug wäre, so zu tun, als hätte ich das mit uns komplett vergessen, da strich mir eine Hand über die Wange. "Du hast es gestern ganz schön übertrieben", murmelte Taeyong und ich ging davon aus, dass er nicht mit mir sprach und dachte, ich schlief noch.

Er zog seine Hand weg und mit ihr verschwand die Wärme und das Geborgenheitsgefühl von meiner Haut. Kälte machte sich in meinem Gesicht breit und ich versuchte, es nicht zu verziehen. Nach einer Weile hörte ich Schritte und meine Zimmertür.

Prüfend klappte ich mein rechtes Auge auf. Der Raum war leer. Erleichtert machte ich das Auge wieder zu und genoss die Dunkelheit, auch wenn ich mich noch immer wie ein überfahrener Matschklumpen fühlte.

Als ich das nächste Mal meine Augen aufschlug, war es gefühlt zehn Stunden später und ich fühlte mich noch miserabler, auch wenn ich das nicht für möglich gehalten hatte. Der kleine Schlitz zwischen den Vorhängen, der einst schwaches Licht in mein Zimmer geworfen hatte, erhellte dieses nun vollständig.

Mühevoll kämpfte ich mich auf die Beine und fand eine liebevoll vorbereitete Kopfschmerztablette, ein Glas kühles Wasser und eine kleine Schokoladentafel mit irgendeinem dämlichen Motivationsspruch darauf. Das Gleiche hatte Taeyong mir früher ans Bett gelegt, wenn ich mal wieder hackedicht ins Dorm gekommen war.

Leicht grinsend griff ich nach den Sachen, kippte das Wasser mit der Tablette herunter und beschloss, dass mein Magen noch nicht bereit für feste Kost war. Dann machte ich mich auf den Weg in die Küche. Ich würde mich unwissend stellen, mal gucken, wie Taeyong so drauf war.

"Guten Morgen, Schlafmütze. Wie fühlst du dich?", begrüßte das andere Idol mich und warf mir einen prüfenden Blick zu. "Morgen. Frag besser nicht. Das gestern war echt nicht geil", erwiderte ich und ließ mich langsam auf einem der Küchenstühle nieder. "Ach, du sahst recht glücklich aus." Taeyong setzte sich zu mir.

"Wem machst du hier etwas vor? Wenn ich gut drauf gewesen wäre, wüsste ich das noch!" Amüsiert spielte ich mit meinen Fingern. Taeyong stand auf und stellte sich vor den Herd. "Tee? Ich schätze mal, auf Mittagessen bist du noch nicht so scharf."

"Mittagessen?"

Er nickte und machte mir unaufgefordert einen Tee. Er wusste, was mir bei einem Kater am besten tat. "Ja, es ist schon nach zwei. Ich hab um elf mal reingeschaut, aber da sahst du noch relativ tot aus. Also jetzt auch, aber irgendwie... lebendiger."

Er stellte mir die dampfende Tasse mit dem ziehenden Tee hin und guckte mich an. "Und du kannst dich echt nicht erinnern? An gar nichts?"

Stumm schüttelte ich den Kopf und starrte in meinen Tee, während die Erinnerungen an Taeyongs Lippen mich heimsuchten. "Hab ich irgendwas Erwähnenswertes gemacht? Ist irgendwas Besonderes passiert?"

"Gar nichts. Du warst halt ziemlich dicht. Ich hab dich dann nur zu deinem Bett geführt."

Diese astreine Lüge wäre niemandem aufgefallen. Doch ich kannte die Millisekunde, die der Andere immer stockte, um sich eine Antwort auszudenken, ich kannte das winzige, verräterische Zucken an seinen Augen und vor allem kannte ich die Wahrheit.

baby don't stop [taeten]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt