Drei - 31.08.2024 03:16 Uhr

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So schnell wir konnten, rannten Elisabeth und ich in eines der Patientenzimmer, in welchem ein  Arzt vergeblich um Unterstützung rief.

Hier waren wir, bereit um zu helfen. Bereit um unseren Job zu erledigen. Hoffend, dass wir wenigstens einem Einzigen helfen konnten.

Der Oberarzt versuchte, der älteren Dame im Krankenbett zu helfen. Sie hechelte wie ein Hund, welcher die letzten drei Stunden nichts anderes getan hatte, als Stöckchen zu holen. Ihre Haut war genauso blass, wie die des jungen Mannes. Dennoch sie hatte ihr Leben gelebt. Er nicht.

Die alte Dame lag seit drei Wochen auf Station und hielt erstaunlich lange durch. Sie wollte noch. Ab und zu hatte sie wache Momente und berichtete kurz von ihrem erfüllten Leben.

Frau Schneider wollte noch leben. Sie sagte immer, sie lasse sich von so einem Virus nicht unterkriegen. Schließlich hatte sie bereits drei Mal gegen den Krebs gekämpft und gewonnen.

Eine bewundernswerte Frau. Rational und dennoch einfühlsam.

Doch jetzt lag sie in ihrem Bett und hechelte und keuchte. Ich hörte, dass sie zwanghaft versuchte, etwas zu sagen. Richtig darauf geachtet, hatte ich nicht. Zu sehr war ich damit beschäftigt, dem Arzt die erforderliche Spritze vorzubereiten.

Erst als ich ihm die Spritze gab, konnte ich der alten Dame einen kurzen Moment meiner Aufmerksamkeit opfern. Sie sah furchtbar aus. Bemitleidenswert und dennoch willig, weiter zu machen. An diesem Tag waren Frau Schneiders Augen, die Einzigen, die sich nicht vor Angst übergaben.

Auch wenn sie es nicht sehen konnte, versuchte ich ihr, mit einem lieblichen Lächeln Mut zu zusprechen.

„Sie kommen.", röchelte sie.

Mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken.

„Frau Schneider, beruhigen Sie sich. Wer kommt? Sagen Sie es mir. Ich bin's Schwester Hanna.", versuchte ich aus der alten Patientin raus zu kitzeln und berührte dabei sanft ihren Fuß, so wie ich es schon oft tat, wenn sie mir etwas zu erzählen hatte.

Ihre Augen weiteten sich. Der graue Schleier verblasste die eh schon müden Türen zur Seele der Patientin noch mehr.

Sie, Schwester Hanna, sie kommen.", antwortete die Dame. Ihr Atem wurde immer schwerer.

„Mist! Wir verlieren sie!", schrie Dr. Hummel und begann mit dem Reanimationsversuchen.

Vergeblich.

Frau Schneider verstarb um 03:18 Uhr an den Folgen einer Erkrankung, die unberechenbar auf der ganzen Welt Zerstörung und Trauer anrichtete.

Während sich Dr. Hummel mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte, erfüllte sein erschöpftes Ausatmen den gesamten Raum. Er war einer der besten Ärzte, den ich in meiner Karriere kennenlernen durfte.

War er ratlos, wurde er kreativ. So kreativ, wie man als Arzt in der Intensivstation eben sein konnte. Er half den Menschen. Seine Patienten standen bei ihm an erster Stelle. Niemals gab er auf. Niemals verlor er die Hoffnung auf Heilung.

„An dieser Stelle haben wir wohl verloren.", schnaufte er und verließ ohne ein weiteres Wort das Krankenzimmer.

Elisabeth stürmte direkt hinterher, doch ich brauchte noch einen winzigen Moment, um zu verstehen, was dieser renommierte Arzt gerade gesagt hatte.

Verloren.

Ein Wort dessen Bedeutung mich stocksteif auf die Leiche von Frau Schneider starren ließ und den Drang nach Erkenntnis nur noch verschärfte. Ich wollte unbedingt wissen, was hier vor ging.

„Schwester Hanna! Bereit den noch Lebenden zu helfen oder starren Sie lieber auf den Tod?!"

Dr. Hummel riss mich ausmeinem Gedankenspiel. Schnell blinzelte ich die Fragen weg. „Bereit!",antwortete ich, wie aus der Pistole geschossen und folgte dem Arzt zum nächsten

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