Vier - 31.08.2024 03:20 Uhr

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Patienten gab es hier genug. Noch nie hatte ich ein derartiges Chaos erlebt, wie in diesem Moment. Überall schrie und stöhnte es. Selbst die Patienten auf unserer Station röchelten laut und atmeten heftig.

Der Großteil von ihnen lag im künstlichen Koma und ich war froh darüber. Dadurch blieb ihnen wenigstens der höllische Schmerz erspart.

„Unfassbar.", murmelte ich, während ich die Beatmungsmaschine abstellte und das Gesicht des Patienten, dessen Namen ich nicht einmal kannte, verdecken wollte. Er lag immer noch auf dem Bauch, um die geschwächte Lunge bei dem Versuch der Beatmung zu unterstützen.

Das Geräusch, das ein Mensch macht, wenn das letzte Mal die Luft aus seinen Lungen entweicht, ist recht endgültig. Sanft, ruhig und irgendwie gruslig. Nicht dieses Stephen King gruslig. Die Endgültigkeit, die in diesem Geräusch liegt, verschaffte dem Ganzen einen grusligen, kalten Schauer.

Ich gruselte mich vor dem Ungewissen.

Mit einem beherzten Griff drehte ich den Mitte vierzigjährigen Mann um und richtete ihm die strähnigen Haare. Auch wenn ich wusste, dass er meine Berührung nicht mehr spüren würde, streichelte ich die Strähnen behutsam aus seinem Gesicht und entschuldigte mich innerlich dafür, dass ich gerade ihn sterben lassen musste.

Wir benötigten das Bett für die Fälle, die vielleicht überleben würden. Triage war eine furchtbar endgültige Methode. Wir spielten Gott, ohne es zu wollen und entschieden wer bereit war zu sterben, ohne eine Reaktion der Angehörigen abzuwarten.

Ich nahm also das Laken, was dem Mann die letzten Wochen als Decke gedient hatte und zog es vorsichtig über den leblosen Körper, als würde ich ihn bei seinem Nickerchen nicht stören wollen. Immer wieder fragte ich mich, was dieses Gesicht wohl alles erlebt hatte. Hatte er Kinder? Eine Frau? Eine Familie die ihn schmerzlichst vermissen würde?

Die Haut fahl und blass, doch unter seinem rechten Auge hatte er eine kleine Narbe. Zu gern hätte ich die Geschichte zu dieser kleinen Narbe erfahren. Doch wie Dr. Hummel schon sagte, wir hatten verloren und so musste ich schweren Herzens entscheiden, dass auch dieser Mann ohne Namen verlieren würde, damit ein anderer Patient vielleicht überleben konnte.

Vor zwei Wochen wurde er ohne Papiere eingeliefert. Keine Krankenkarte, kein Führerschein, nur sein hilfloser kranker Körper. Wir versetzten ihn ins künstliche Koma, ohne auch nur einmal seine Stimme gehört zu haben und jetzt war er gestorben. Ohne es zu wissen, schlief er ein und wurde von einer fremden Krankenschwester zugedeckt.

„Hanna! Schnell!", schrie Elisabeth vom Flur und ich beendete, was ich begonnen hatte.

„Gute Nacht Jon Doe.", flüsterte ich und zog die Decke über das Gesicht des Fremden. Ich schnappte mir das Stethoskop vom Beistelltisch und wirbelte herum, um das Zimmer zu verlassen.

In diesem Moment hörte ich ein leises Rauschen hinter mir. Stocksteif blieb ich stehen.

Das Fenster war geschlossen. Die Maschinen hatte ich abgeschaltet, den Patienten sterben lassen.

Ich atmete tief durch. Was war das!?

Den kalten Atem konnte ich durch den harten Gummi meines Schutzanzuges spüren. Langsam drehte ich mich zurück zu dem Patienten.

Das Röcheln brannte sich in meine Haut, wie ein Brandeisen, das dem Pferd seine Nummer auf den Schenkel presste. Ich starrte in die kalten, blauen Augen des eben noch totgeglaubten Patienten.

Blass, kalt, und tot blickten sie mir entgegen.

Ich konnte mich nicht bewegen.

„Das...das...kann nicht sein...", stammelte ich mit gebrochener Stimme. Hilflos vereinnahmte mich der Blick des toten Patienten. Er war doch tot. Ich hatte ihm gerade eben die Schläuche entfernt und ihm seinen letzten Atemzug entlockt und jetzt stand er hier. Stocksteif und panisch.

Er röchelte mich an. „Iiih.", fing er an zu stammeln, während ich immer noch atemlos an seinen totgeglaubten Augen hing.

In diesem Moment packte er meine Schultern. Er griff mit seinen starken Pranken hinein und drückte mich beinahe zu Boden. Hätte mich sein Atem aus Stickstoff nicht schockgefrostet, hätte ich geschrien, doch ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen.

„Iiih.", kratzte es wieder aus seinem Hals. Mein Herz pochte. Es versuchte, sich den Weg aus meiner Brust freizuschlagen, damit es zur Flucht ansetzten konnte. Das Visier meines Schutzanzuges beschlug durch seinen Atem wie die Scheibe eines Autos am kalten Wintermorgen.

„Iiih...iiih...iiih kommen!", krächzte der Mann und fiel im nächsten Moment wie ein nasser Sack zu Boden.

Meine Lunge presste die angehaltene Luft heraus, bevor sie wieder gierig nach Sauerstoff hastete. „Was zur Hölle war das?!", schrie ich mich selbst vor Erleichterung an. Ich pulsierte.

Irgendetwas ging hier vor sich. Etwas, das ganz und gar nicht normal war. Wann hatten Patienten angefangen von den Toten zurückzukehren?!

„Hanna!", rief Elisabeth verzweifelt und ich schaltete den emotionalen Teil meines Gehirns ab. Sie brauchte mich. Jon Doe war jetzt hoffentlich endgültig tot. Die Lebenden riefen. Geistesgegenwärtig rannte ich aus dem Zimmer.

30 Minutes to UtopiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt