Ich fühlte nichts. In meinen Gedanken schwebte ich in der Luft. Ich sah auf eine blaue Wand, die sich kurz schwarz färbte und mich in ihren Bann zog, aber gleich darauf war die unheilvolle Schwärze wieder weg. Das Licht wurde gleißend hell. So hell, dass ich mich nicht traute, die Augen zu öffnen. Ich brachte ohnehin nicht die notwendige Kraft auf, um meine trägen Lider in die Höhe zu ziehen. Dazu war ich zu schwach. Dafür kehrte jedoch langsam mein Gehörsinn wieder. Entfernte Stimmen drangen zu mir durch. Sie waren gedämpft, als bestünde mein ganzer Kopf aus Watte. Die Sätze mussten sich ihren Weg zu mir durchkämpfen. Erst waren sie abseits meines Bewusstseins, doch dann kamen sie immer näher, wurden immer lauter.
„Du darfst nicht aufgeben. Das darfst du mir nicht antun!"
Jemand weinte, aber ich konnte nicht sagen wer. Ich verstand kein Wort.
„Atme, verdammt. Atme!"
Ich verstand die Worte, aber irgendwie verstand ich sie auch nicht. Ich wusste, dass ich die Worte eigentlich verstehen sollte, aber in den ersten Sekunden konnte ich sie einfach nicht richtig zuordnen.
„Verdammt, verlass mich nicht. Nicht jetzt!"
„Bitte, Solea!"
Ich kannte die Stimmen. Die eine so sanft und gebrechlich. Die andere Stimme war normalerweise mein Fels in der Brandung. Nun war sie angsterfüllt. Stimmen, denen ich vertrauen konnte. Eine Stimme, die ich liebte. Eine Stimme, zu der ich zurückkehren musste, aber das Meeresrauschen umfing mich erneut. Wasser hatte diese Wirkung auf mich. Es faszinierte mich. Um mich herum war es schwarz, aber langsam wurde der schwarze Fleck vor meinen Augen durch einen Lichtstrahl unterbrochen. Er wurde immer größer. Schemenhaft erkannte ich ihre Umrisse. Langsam wurde es mir klarer. Die Watte in meinem Kopf verflüchtigte sich und ich konnte wieder denken.
„Komm schon!" Da war wieder diese Stimme. Diese unglaublich sanfte Stimme, die so verzweifelt klang.
Und ich wusste was zu tun war.
Hustend riss ich meine Augen auf und spuckte einen Schwall Wasser aus. Meine Lunge schmerzte und raschelte, sobald ich die frische kalte Luft in sie einpumpte. Das Salzwasser klebte in meinen Haaren und überall an meinem Körper. Ich zitterte.
„Scheiße." Tristan hatte sich über mich gebeugt und klopfte mir auf den Rücken. Ein weiterer Schwall Wasser verließ meinen Körper und ich zitterte nur noch mehr. Das war ein ekelhaftes Gefühl. Nicht einmal halb so schlimm wie das Gefühl zu ertrinken. Allein deshalb drohte eine dritte Welle über mich hereinzubrechen, aber mein Kopf sackte nach hinten und erstickte die Welle zeitweilig.
„Oh, Gott sei Dank." Emily hockte ebenfalls neben mir. Ihre Locken standen wild vom Kopf, noch wilder als sonst, und beinahe hätte ich darüber gelacht, aber Tristan kam mir zuvor.
„Solea, kannst du mich hören?" Er schaute mich mit forschenden Augen an. Der tiefe Schock war ihm anzusehen. Seine braunen Augen schienen mich zu durchleuchten, suchten nach Antworten auf seine Fragen. Seine Augen scannten meinen Körper, suchten nach Schürfwunden und Verletzungen, die ich in meiner Benommenheit noch nicht wahrnehmen konnte. Anscheinend konnte er keine finden, denn seine Augen kehrten wieder zu mir zurück. Ich schluckte schwerfällig und nickte müde.
„Mir geht es gut.", sagte ich leise und war selbst erschrocken wie gebrechlich sich meine Stimme plötzlich anhörte. Ich brachte nur einen kläglichen Laut hervor. Der Sprung ins Wasser, hatte mir die letzte Energie geraubt, die ich zustande bringen konnte.
Instinktiv spürte ich, dass Tristan mir nicht glaubte. Nicht einmal ansatzweise. Ein Mann vom Rettungsdienst lief auf unsere kleine Gruppe zu, legte mir eine Decke über die Schultern und schüttelte den Kopf. Ob über meine Dummheit oder über die Geschehnisse allgemein konnte ich nicht sagen. Es war mir in dem Moment aber auch herzlich egal. Auch Tristan legte mir eine zusätzliche Decke auf den Körper. Ich lag auf der Pier. So weit war mein Bewusstsein wieder intakt. Der Boden um mich herum war kalt und nass, wahrscheinlich von meiner Kleidung.
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Meeresrauschen
AdventureIn Soleas Leben geht so einiges mächtig schief, dabei versucht die 18-jährige lediglich ihre Arbeit zu erledigen. Doch an Bord des Kreuzfahrtschiffes MYSTERY geschehen merkwürdige Dinge, denen sie auf den Grund gehen muss. Und dann wäre da noch de...