Die Unbekannte

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"Aufstehen Jonas, du kommst zu spät!" Noch völlig schlaftrunken hörte ich die Worte meiner Mom, die vom Erdgeschoss hinauf in mein Zimmer hallten. "Ich komm' ja schon" erwiderte ich noch halb im Schlaf, während ich mich langsam aus meinem Bett erhob. Ich trottete ins Bad, wusch mich, putzte mir die Zähne und zog mich anschließend um. Schon etwas wacher ging ich nach unten wo mich - wie jeden Morgen - ein gedeckter Frühstückstisch erwartete. Meine Mom war wie üblich schon in die Arbeit gefahren, hatte mir aber einen Zettel auf dem Tisch hinterlassen. "Hab einen schönen ersten Berufsschultag" stand in schönster Sonntagsschrift auf dem kleinen rosafarbenen Notizzettel. Damit brachte sie mich zum Lächeln und verbesserte meine Laune schlagartig. Schnell aß ich noch zwei Toastbrote, packte meine Brotzeit ein und versuchte möglichst wenig Lärm zu machen, da mein Dad und mein kleiner Bruder um diese frühe Uhrzeit noch schliefen. Nachdem ich meine Sneaker angezogen hatte, zog ich leise unsere Haustür hinter mir zu und machte mich auf den Weg zur nächsten S-Bahn Station.

Es war ein warmer Julimorgen und auf dem Weg zur S-Bahn ließ ich meine bisherigen Erlebnisse der Ausbildung Revue passieren. Das erste Ausbildungsjahr hatte ich nun fast schon hinter mir und jetzt wurde es Zeit für die ersten zwei Wochen Berufsschule. Bis jetzt hatte es mir sehr gut gefallen, aber es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich auf meiner neuen Schule niemanden kannte. Alle meine Freunde hatten sich für andere Berufswege entschieden. Ich hoffte, schnell Anschluss zu finden und coole, neue Leute kennenzulernen, aber was wenn nicht....?

Bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken konnte, sah ich schon die S-Bahn in den Bahnhof einfahren. Sieben Stationen und eine zwanzigminütige Fahrt lagen vor mir, dann musste ich noch für zwei Stationen umsteigen und anschließend noch kurz zur Schule laufen. Den Weg kannte ich schon, ich war ihn vor der Ausbildung schon oft abgefahren. Ich setzte mich also in die S-Bahn, machte es mir auf den alten, durchgesessenen Sitzen so gut es geht gemütlich und steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren. Dann öffnete ich Spotify und spielte die aktuellsten US-Rap Charts ab. So fühlte ich mich wohl und konnte mich am Besten entspannen. Gedankenverloren schaute ich durch das Fenster nach draußen und die ersten vier Stationen vergingen wie im Flug. Die S-Bahn füllte sich im morgendlichen Berufsverkehr immer mehr und gerade als ich an der nächsten Haltestelle einen anderen Song abspielen wollte sah ich sie plötzlich: Ein Mädchen ungefähr in meinem Alter mit langen, glatten und braunen Haaren betrat die S-Bahn. Sie hatte ein weißes bauchfreies Top an und eine kurze blaue Jeans-Shorts, wodurch ihre langen, schlanken Beine gut sichtbar waren. Dazu trug sie elegante Sommersandalen und die Zehen ihrer kleinen Füße waren mit weißem Nagellack perfekt lackiert. Hier blieb ich mit meinem Blick besonders lange haften, denn ich hatte schon vor einigen Jahren bemerkt, dass mich weibliche Füße ziemlich anturnen. Leider konnte ich meine Vorliebe bis jetzt aber noch nicht ausleben.

Wer ist sie? fragte ich mich und wurde das Gefühl nicht los, dass ich sie zumindest vom Sehen her kannte. Da die S-Bahn mittlerweile rappelvoll war, stellte sie sich etwa fünf Meter entfernt von mir in den Mittelgang. Mir fiel auf, dass sie ebenfalls ihre Kopfhörer aufhatte und während sie in ihrer Handtasche kramte beobachtete ich sie kurz, denn ich konnte mir nicht erklären, warum sie mir bekannt vorkam. Plötzlich hob sich ihr Blick, sie schaute mir mit ihren braunen Augen direkt in die Augen und lächelte mich kurz an. Ich erwiderte ihr Lächeln gerade, als genau in diesem Moment die Bahn anhielt und das Mädchen die Bahn wieder verließ. Fast schon zu spät bemerkte ich, dass ich hier auch raus musste um in die nächste S-Bahn umzusteigen. Ich nahm hastig noch meinen Rucksack und verließ schnell die Bahn. Das unbekannte Mädchen hatte ich in der Menschentraube am Bahnsteig natürlich längst aus den Augen verloren, ich konnte aber trotzdem nicht aufhören, an sie zu denken. Zu spät bemerkte ich, dass ich in die falsche Richtung ging und als ich schnell zurück sprintete, sah ich meine S-Bahn gerade abfahren. Na super Jonas, erster Schultag und du kommst zu spät, dachte ich mir ziemlich genervt. Eine Viertelstunde später kam dann die nächste Bahn, die weitere Fahrt zur Schule verlief dann aber zum Glück ohne weitere Vorkommnisse und das Mädchen hatte ich da schon beinahe wieder vergessen.

Ich erreichte die Schule mit ungefähr zwanzig Minuten Verspätung. Als ich mein Klassenzimmer gefunden hatte, öffnete ich die Tür und rief keuchend: "Entschuldigen Sie bitte die Verspätung, meine S-Bahn war...". Noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, bemerkte ich, dass mich ungefähr zwanzig Schüler musterten. Ganz besonders fixierten mich aber die dunkelbraunen Augen einer Person auf der anderen Seite des Klassenzimmers: Ich konnte meinen Augen kaum glauben, es war tatsächlich das Mädchen aus der S-Bahn! Noch bevor ich irgendwie reagieren konnte, befahl mir der Lehrer knapp, mir einen freien Platz zu suchen und mich hinzusetzen. Der einzige freie Platz war neben der Unbekannten aus der S-Bahn. Ich ging also einmal quer durch das Klassenzimmer und setzte mich neben sie.


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