Neue Spielregeln

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Ich traute meinen Ohren nicht und in nur einer Sekunde drohte meine vorhin fast perfekte Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen. 

"Clara, das kannst du nicht machen! Komm, lass den Schwachsinn. Werd vernünftig, solange noch keiner zu Schaden gekommen ist!" rief ich panisch.

Clara grinste mich nur an. "Jonas, du gehörst mir! Ich werde dich nicht dieser falschen Schlange Luna überlassen. Ich habe dich mehrfach gewarnt und jetzt musste ich mir halt etwas einfallen lassen."

"Du bist krank, völlig krank!!" rutschte es mir heraus. 

Claras Grinsen wurde jäh unterbrochen, jetzt blitzte sie mich böse an.

"Genug geredet. Ab jetzt machst du genau das, was ich dir sage. Du wirst morgen früh noch ein einziges Mal zu Luna gehen und ihr dann sagen, dass du nie wieder etwas mit ihr zu tun haben willst. Morgen Abend um neun erwarte ich dich dann im Jugendzentrum im Fachschaftsraum, alleine natürlich. Ich hoffe, das versteht sich. Hast du mich verstanden?"

Mir blieb nichts anderes übrig als stumm zu nicken. Ich war völlig perplex, denn obwohl es doch irgendwie naheliegend war, hatte ich mit sowas nicht gerechnet. 

Claras Miene erhellte sich wieder. 

"Dann bis morgen, Süßer." sagte sie in einem unschuldigen Ton und lächelte. Es war wirklich unfassbar, dass dieses Mädchen innerhalb weniger Sekunden in der Lage war, ihre Stimmung derart zu verändern.

Ich erwiderte nichts und sah Clara nach, bis sie von der Nacht am Horizont verschlungen wurde. Das Gedankenkarussell begann wieder sich in mir zu drehen und ich weiß nicht, wie lange ich in dieser Nacht noch durch die menschenleeren Straßen der Stadt ziellos umherlief. Irgendwann entschied ich mich schließlich nach Hause zu laufen und mich hinzulegen, um mich nicht unnötig mit meinen Gedanken zu quälen.

In dieser Nacht dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis ich endlich in den Schlaf sank und ich hatte verständlicherweise einen sehr unruhigen Schlaf. Ich träumte von Luna und Clara, träumte, wie sie die Videos veröffentlichte und Luna und ich damit zum Gespött der Schule, ja sogar der ganzen Stadt wurden. 

Als ich schließlich am nächsten Morgen aufwachte, erwartete mich eine Nachricht auf Instagram von Clara.

"Bis zwölf Uhr hast du Zeit, das mit Luna zu regeln. Falls nicht, landen die Videos heute noch im Netz." stand dort ohne jegliche Emotionen geschrieben.

Ich blickte auf die Uhr. Es war bereits neun. Beim Gedanken an das, was ich Luna gleich antun musste, wurde mir schlecht. Meinen Körper durchfuhr ein kalter Schauer aber was sollte ich tun? Mir waren die Hände gebunden. Und um uns beide zu schützen, musste ich vorerst das machen, was Clara von mir forderte. Innerlich schwor ich mir aber, dass dieses Biest nicht so leicht davonkommen würde. 

An diesem Morgen frühstückte ich nichts, denn ich wusste, dass ich nicht den kleinsten Bissen herunterbringen würde. Meine Eltern fragten mehrmals nach, was denn bei mir los war, denn so still war ich normalerweise nicht. Ich winkte nur ab und machte mich langsam mit der S-Bahn auf dem Weg zu Luna. Noch nie in meinem Leben hatte ich so eine innere Leere wie in diesen Momenten, in denen die Bahn Lunas Haus immer näher und näher kam. 

Ich stieg schließlich in der Nordstadt aus. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich diesen Weg - vorerst, oder vielleicht doch für immer? - zum letzten Mal ging. Alle möglichen Gefühle wechselten sich in mir ab, von Wut, Hass, Angst und Trauer. Ich musste sogar kurz innehalten und gegen meine Tränen ankämpfen.

Als ich in Lunas Einfahrt stand, atmete ich schließlich tief durch und klingelte dann an der Tür. Luna öffnete nach wenigen Sekunden und als ich sah, wie sehr sie sich freute mich zu sehen, brach es mir fast das Herz. 

Süße VersuchungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt