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Ein Schauer lief meinen Rücken hinab. Aber natürlich bildete ich mir nur ein, dass sie mich gesehen hatte. Ich versteckte mich wie ein Serienkiller im Dunkel der Nacht. Unsichtbar vor allen Blicken.

Heaven hörte nicht auf zu starren. Verwirrt darüber, wie ich reagieren sollte, blieb ich still stehen. Bei der kleinsten Bewegung würde sie mich entdecken.

Also wartete ich. Der Gruppe würde sicher bald zu kalt sein, um draußen zu verweilen. Noch lachten und quietschten sie hoch amüsiert. Bestimmt lästerten sie über die anderen Schüler.

Nach ein paar Minuten zitterte ich am ganzen Leib. Vor Aufregung und Kälte.

Mein einziger Gedanken galt dem Weg nach Hause und Heaven, die zum Glück nicht mehr planlos in die Gegend starrte.

Endlich kam Bewegung in die Truppe. Ich flitzte los, als sich die Mädchen nach und nach Richtung Turnhalle wandten.

Niemand hielt mich auf. Ich rannte durch die Dunkelheit, voller Freiheitsdrang.

Der Bann war gebrochen. Alles in mir schrie danach, mich von den Gefühlen für Heaven zu lösen. Ein Triumph. Alles was ich mir wünschte.

Freiheit von dem, dass keine Chance hatte und mich nur traurig machte. Wenn ich voller Vernunft darüber nachdachte, bescherte mir diese Schwärmerei nur leiden. Ohne diese vermaledeite Hoffnung, die wisperte, was ich entdecken konnte, wenn ich durchhielt. Nur noch etwas länger durchhielt, bis Heaven mich akzeptierte.

Ich sprang die Treppen zum Parkplatz nach unten und hüpfte in großen Schritten weiter zum Radständer. Eine misslungene Pirouette zu meinem Fahrrad hin später und mein Elan wurde schier gebremst, als ich den Schlüssel für das Schloss nicht in meiner Jackentasche fand.

Es vergingen ein paar Minuten des Schreckens, in denen ich verzweifelt meine ganze Jacke durchwühlte. Natürlich musste mir das passieren, wenn ich so schnell wie möglich wegwollte.

Frustriert stampfte ich den Fuß auf den Boden.

„Du bist noch hier."

Mein Herz begann wie wild zu klopfen. Heaven klang so sanft wie selten. Außerdem war sie mir gefolgt. Weil sie mich sehen wollte. Die einzig logische Erklärung.

Mit einem lauten Schnaufen drehte ich mich zu ihr. Die absolute Niederlage meines neuen Vorsatzes, meine Traumfrau aufzugeben.

„Nicht freiwillig."

Sie schritt die Treppen zum Parkplatz hinunter. Wie eine Königin. Dabei hielt sie den langen Rock ihres Kleides an einer Seite hoch.

„Hmm...Warum bist du dann gekommen?"

Darauf fiel mir keine Antwort ein. Die Wahrheit offenbarte zu viel, für das ich mich schämte.

Stattdessen kickte ich einen kleinen Stein in Heavens Richtung. Zur Abwehr.

„Ich bin auf jeden Fall nicht hier, um dich heimzubringen. Bild dir das bloß nicht ein."

Heaven kicherte. Unten an der Treppe angekommen, lüpfte sie ihren Rock noch höher und zeigte mir ihre dunklen Stöckelschuhe. Diesmal mit weniger hohen Absätzen.

„Ich hab auch keine Turnschuhe an. Passt nicht zum Kleid."

Sie kam auf mich zu und ich wünschte mir, ihr Mantel würde mir nicht die Sicht auf ihre Figur versperren. Immerhin war ich hier, um Heaven im wundervollen blauen Kleid zu sehen. Gleichzeitig dankte ich dem Mantel. Der Blick auf ihrem Körper lenkte mich zu sehr ab. Ihr süßes Gesicht tat es auch.

„Wenn du nicht hier bist, um mich abzuholen. Warum bist du hier?"

Lockerlassen kam eindeutig nicht in Frage. Wie es ihr gefallen musste, mich in eine Ecke getrieben zu haben. Sie gönnte mir nie einen leichten Ausweg.

Nachdenklich biss ich mir auf die Lippe und kramte in allen Ecken meines Kopfes nach einer anständigen Ausrede.

Heaven tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Das machte die Suche nicht gerade einfacher.

Also platzte ich schließlich doch mit der Ausflucht heraus, die mir auf die Schnelle am logischsten erschien.

„Zum Tanzen natürlich. Ist ein Herbstball. Oder?"

Kaum ausgesprochen, schämte ich mich für die absolute Dämlichkeit meiner Worte. Natürlich war ich in Jeans und dicken Pullover zum Herbstball gekommen, um zu tanzen. Das glaubte doch niemand.

Heaven zog eine Augenbraue hoch. Gekonnt abgeurteilt. Ich kam sicher nicht gut dabei weg.

Dann klopfte sie mir mit den flachen Händen auf die Schultern.

„Du bist eine sauschlechte Lügnerin. Wirklich übel."

„Ich..ich lüge überhaupt nicht. Du weißt doch gar nichts."

Der leichter Duft nach Pfirsich, der immer in ihren Haaren hing, kitzelte meine Nase. Er verwirrte meinen Verstand noch mehr. Die Haarsträhnen, die sich in Heavens Stirn ringelten, verführten mich dazu sie anzufassen.

„Nun gut."

Sie packte mich mit beiden Händen an der Jacke, damit ich nicht zurückweichen konnte und lehnte sich zu mir. Mein Herz stolperte gefährlich.

„Dann tanzen wir. Dann bist du nicht umsonst gekommen.", hauchte Heaven.

Ihr Atmen wärmte mein Ohr. Es kribbelte bis hinunter in meinen Bauch.

Kaum ausgesprochen, ließ sie mich los und zog ihr Handy aus der Manteltasche. Wie festgefroren verharrte ich an Ort und Stelle.

Musik dudelte aus dem Telefon.

Die hellen Anfangstöne eines Liedes, das ich nicht kannte. Heaven legte das Handy auf den Randstein des Parkplatzes, richtete sich auf und lächelte mir zu.

Ich konnte kaum glauben was geschah. Wir würden miteinander tanzen. Einen besseren Herbstball hatte ich nie erlebt.

Eine sanfte Männerstimme begann zu singen. Der Gesang umhüllte mich wie eine warme Decke und brachte mich direkt in ein Wunderland, in dem Heaven ihre Hände nach mir austreckte.

Rasch fand ich den Weg zu hier und legte meine Hand in ihre. Sie zog mich näher. Langsam wiegten wir uns hin und her im Takt der Musik. Beide befangen. Mit Überraschung erkannte ich Unsicherheit in der Art wie Heaven meinen Blick suchte. Wir verschränkten den Blick und die Finger.

Und irgendwann tanzten wir. Wie von selbst, als hätten wir ewig darauf gewartet, miteinander alles zu vergessen.

Wild und zwanglos warfen wir die Arme in die Luft und wirbelten über den Parkplatz. Fasste uns immer wieder an den Händen und ließen uns gehen, um wieder zueinander zu finden.

Heavens Rock schwang um ihre Beine. Die Haare zerzaust, lachte sie fröhlich wie ein Kind. Ihr Anblick erfüllte mich mit Freude. Ich fing sie ein und sie ließ es zu. Wie ausgehungert presste sie sich kurz an mich und drehte sich fort. Alles in mir schrie nach ihrer Rückkehr.

An meiner Hand wirbelte ich Heaven im Kreis und zog sie zu mir her. Sie schlang die Arme um meinen Nacken. Ihr Körper schmiegte sich ganz natürlich an mich. Warm und weich.

Heavens Kopf ruhte an meiner Schulter und wir drehten uns langsam weiter. Meine Hände streichelten über ihren schmalen Rücken. Unsere Nähe erfüllte mich von Kopf bis Fuß. Sie brachte alle meine Gedanken dazu, Heavens Namen zu jubeln.

Ein Sternenmeer strahlte auf dunklem Grund über uns, während der Wind leise durch die Bäume heulte. Frost glitzerte auf der Wiese. Die Welt in ihrer unendlichen Schönheit.

Die letzten Töne des Liedes verklangen. Mit verträumten Augen hob Heaven den Kopf. Sie lächelte, wie das Glück selbst.

Dann trat Schrecken in ihre Züge. Sie stieß mich mit aller Kraft von sich. Ich stolperte rückwärst und landete auf dem Boden, mein Steißbein küsste schmerzhaft den Asphalt.

Ihre Stöckelschuhe klapperten, als sie von mir davonlief.

Mir blieb nur ihr nachzusehen. Verletzt, doch voller Sehnsucht.



Anmerkung:

Das ist das Lied, zu dem sie tanzen:

„The Comeback Kid" von the Midnight

Hey, Heaven (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt