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Am nächsten Tag erwartete ich aufgeregt die Mathestunde, und das unweigerliche Zusammentreffen mit Heaven. Ich hoffte eine Möglichkeit zu finden mit ihr zu sprechen und Antworten auf meine Fragen zu erhalten.

Beim Kriegsrat mit meinen Freunden hatten wir festgestellt, dass mir nur wenig Wege offenstanden, auf Heavens Verhalten zu reagieren. Die bevorzugte Lösung meiner Freunde setzte sich zusammen aus: hinnehmen, vergessen und weiterleben. Kein Wunder, wenn ich bedachte, wie sehr Heaven bei ihnen in Ungnade gefallen war. Aydin schlug sogar vor, für mich Profile auf diversen Dating Plattformen anzulegen, um jemand besseren zu finden.

Doch ich stieß längst nicht an die Grenze, an der ich diese Liebe aufgeben wollte. Zu lebendig strahlten die Erinnerungen an die Momente, die ich mit Heaven geteilt hatte, in meinem Geist. Jeder Gedanke an meinen Schwarm schmerzte, doch weckte gleichzeitig reines Glück und die pure Lust am Leben in mir. Als ob dieses umwerfende Mädchen allein, den Schlüssel zu meinen Emotionen in Händen hielt. Deshalb hatte ich mich dafür entschieden, das Zusammentreffen mit Heaven heute gut zu nutzen und ihr Problem zu erfahren. Sie hatte sicherlich nicht ohne Grund den Kontakt zu mir abgebrochen.

Ich wippte nervös mit dem Fuß auf und ab. Nach vorne gelehnt auf meinem Pult, krallte ich die Finger um die Tischplatte und starrte zum Eingang des Klassenzimmers. Vor ein paar Minuten hatte ich Heaven eine Nachricht geschickt und sie gebeten, mit mir nach der Mathestunde zu sprechen. Mehr konnte ich im Moment nicht tun. Nur warten und darauf horchen, ob mein Handy mit leisem Pingen die Antwort ankündigte, auf die ich so sehnsüchtig wartete.

Heaven betrat das Klassenzimmer mit ihren Freundinnen und ignorierte stur meine Existenz. Sie wandte nicht einmal den Kopf in meine Richtung, als hätten Bauarbeiter frisch eine Wand in den Raum eingezogen, die mich aussperrte. Ein trotziger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht und sie ballte immer wieder die Fäuste vor Anspannung, trotzdem lachte und scherzte sie mit ihren Freundinnen. So eine Scharade. Ein Musterbeispiel der falschen Welt, in der Heaven lebte.

„Kannst du mal damit aufhören?", fragte Charlie.

Ich schreckte aus meiner Beobachtung hoch.

„Häh? Was?"

Charlie runzelte die Stirn, vermutlich weil ein deutlich aggressiver Unterton in meiner Stimme mitschwang. Langsam streckte er den Finger vor, als hätte er Angst, ich könnte ihn abbeißen und tippe auf die Tischplatte meines Pultes.

„Du kratzt voll laut auf dem Tisch rum. Ekliges Geräusch."

„Ah!"

Ich riss die Hände vom Tisch und klemmte sie unter meine Oberschenkel. Wie peinlich.

„Sorry. Ich hör schon auf."

„Kein Ding. Passt soweit alles bei dir?"

Auf seinem freundlichem Gesicht schwebte ein Hauch Sorge. Charlies Anteilnahme war das Letzte was ich brauchte. Immerhin hatte er den leichten Ausweg bekommen. Heaven hatte den Anstand besessen, ihm eine klare Abfuhr zu erteilen. Das hatte ihm sicher viel unnötigen Herzschmerz erspart. Ich dagegen bekam Zuckerbrot und Peitsche. Hauptsache ich hechelte ihr hinterher wie ein Idiot und verschwendete alle meine Gefühle.

Und jetzt saß ich hier, so nervös, dass ich Charlie am liebsten angeschrien hätte, während das Mädchen meiner Träume mich eiskalt ignorierte.

„Alles wunderbar."

Ob er den Sarkasmus in meiner Stimme hören konnte? Zum Glück gab sich der Junge mit meiner Antwort zufrieden. Er grinste, nickte und wandte sich seinem eigenen Kram zu.

Dann begrüßte uns Herr Brown und begann die Mathestunde.



45 Minuten Hölle später, beendete die Schulglocke den Unterricht. Heaven hatte mich kein einziges Mal angeguckt, während ich stark an mich halten musste, sie nicht durchgehend mit meinem Blick zu verbrennen. Jeder der mir dabei zusah, musste bemerken, dass ich irgendein Problem mit Heaven hatte. Doch niemand sprach mich darauf an. Sogar Charlie hielt die Klappe, obwohl er mich mehrfach irritiert musterte.

Verfluchtes Versteckspiel. Ich hatte keine Lust mehr darauf. Doch weil ich wusste, wie sehr Heaven es brauchte, hielt ich mich daran. Obwohl ich zur ihr stürmen und sie packen wollte, um sie anzuschreien:

„Verflucht. Was ist dein Problem?"

Stattdessen sah ich ihr dabei zu, wie sie das Klassenzimmer nach dem Unterricht verließ, ohne einmal zurückzublicken. Ich hatte sie noch nie so schnell zusammenpacken sehen. Sie konnte es wohl kaum erwarten aus meiner Nähe wegzukommen. Gefangen in einem Netz aus ihren Vorstellungen darüber, wie ich mich verhalten sollte, damit sie mit mir zurechtkam, fühlte ich mich wie festgebunden auf meinem Stuhl. Wenn ich sie bloßstellte vor unseren Mitschülern, dann wäre es endgültig vorbei. Dann hätte ich meine letzte Chance vertan.

Mein eigenes Verlangen mit ihr zu sprechen, würgte mich. Ich kämpfte dagegen an und legte auf diese Weise bereits vor dem Kampf die Waffen nieder.

Ich seufzte traurig. Das wars also. Würde Heaven mir überhaupt die Möglichkeit geben, ihr Verhalten zu verstehen. Oder existierte ein „Wir" in ihrer Welt bereits nicht mehr?

Wie erstarrt blieb ich einfach sitzen, während sich das Zimmer leerte. Innerlich abgestumpft und ausgebrannt. So endete der Traum. Heaven ignorierte meine Existenz.

In Zeitlupe räumte ich Block und Stifte in meinen Rucksack, um mehr Zeit zu schinden und die Hoffnung nicht aufgeben zu müssen, dass heute doch noch ein Gespräch mit Heaven stattfinden würde. Das metallische Knirschen des Reißverschlusse hallte laut durch den leeren Raum. Alles aufgeräumt. Der Rucksack verschlossen. Zeit zu gehen.

Heaven platzte in das Zimmer, als verfolgte sie jemand. Als sie mich erblickte, riss sie weit die Augen auf. Mir blieb das Herz stehen unter ihrem Blick. So viel Wut stand darin. Panik. Verwirrung. Und Hoffnungslosigkeit.

Dann drückte sie die Tür des Klassenzimmers zu. Sie presste fest die Lippen aufeinander und funkelte mich herausfordernd an.

„Heaven.", hauchte ich ihren Namen. Wie sehr ich mich freute, dass sie zurückgekommen war.

„Ja. Ich bin hier. Also lass uns reden.", fuhr sie mich an.

Womit hatte ich sie nur so verletzt?

Ich stand auf und kam einen Schritt auf sie zu. Sie wich von mir zurück und hob die Hände. Scheinbar brauchte sie maximalen Abstand. Mit einem lauten Seufzer ließ ich mich auf einen Stuhl neben mir fallen.

„Ich bleib hier. Magst du dich auch irgendwo hinsetzen?"

Heaven schüttelte knapp den Kopf. Eine Mischung aus Furcht und Zorn verzerrte ihre Züge und sie ließ die Hand auf der Türklinge liegen, als wollte sie sich die Möglichkeit zur Flucht jederzeit offenhalten.

„Ok. Ähm...also was ist los? Hab ich dich verletzt? Warum schreibst du mir nicht mehr?"

Weil ich nicht wusste, wie viel Zeit sie mir schenken würde, stellte ich die Fragen, die mich quälten, direkt.

Heaven schnaubte und schlug den Fuß gegen die Tür in ihren Rücken. Vielleicht unterdrückte sie das Bedürfnis mich zu treten.

„Deine Mum hat meine Mama getroffen. Im Supermarkt."

Sie verkrampfte die Hand um die Türklinge. In ihrem Gesicht stand so viel Abscheu, dass ich ihren Anblick kaum ertrug.

„Und deine Mum hat nichts Besseres zu tun, als stolz zu erzählen, dass wir beide ja jetzt endlich befreundet sind und so ein Mist. Meine Mama hat mich sofort danach gefragt. Weil sie fand das seltsam. Schließlich fand ich dich immer zu langweilig und seltsam. Damals. Außerdem habt ihr die Kirchengemeinde verlassen. Damit ist ja schon klar, dass was mit euch nicht ganz richtig läuft."

Ein Zittern schüttelte ihren Körper und Heaven knetete den Saum ihres Rockes in ihrer Hand. Mir fiel es schwer, die Tragik in ihren Worten zu erkennen. Also glaubte ihre Mutter, dass wir uns angefreundet hatten. Nichts daran hatte die übertriebenen Emotionen verdient, die mir Heaven gerade zeigte.

Hey, Heaven (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt