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„Sommer ist vorbei. Oh Nein. Oh Nein. Wie sollen wir das überleben?", trällerte Dani und küsste mich auf den Scheitel, bevor sie sich auf die Treppen neben mich fallen ließ.

Wie immer trafen wir uns nach dem Unterricht auf den Stufen zum Parkplatz. Dort, wo wir die Wiese vor dem Hauteingang der Schule, die Straße, auf der Jugendliche Skateboard übten, und den Bereich vor der Mensa, mit den zahlreichen Bänken, überblicken konnten. Dahinter thronte die New Brighton High School, ein langgezogener Bau im freundlichem Sonnengelb.

Ein warmer Wind strich über meine nackten Unterarme. Ein letzter Gruß des schwindenden Sommers.

„Erster Schultag und ich bin urlaubsreif."

Ein gespieltes Schluchzen später, nahm Dani ihre Brille ab und putzte die Gläser an ihrem kurzem, schwarzen Rock.

Ein Funkeln hing in ihren blauen Augen. Es verriet mir, dass sie nur scherzte. Wie ich, ging sie gerne zur Schule, solange wir es schafften, alle Clubs und sportlichen Aktivitäten zu umgehen. Schon immer lebten wir nach der Devise, dass es den freien Nachmittag mit allen Mittel zu verteidigen galt. Es funktionierte selten so, wie wir es uns wünschten.

Ich streckte mich und hielt das Gesicht in die Sonne. Halb zufrieden, halb schwermütig.

„Sprich mit mir du kleines Monster. Wie ist die Lage?"

Meine Freundin boxte mich in die Seite. Müde blinzelte ich sie an.

„Nicht anders seit gestern Abend. Ich bin einsam und verlassen."

Mit gespielten Schollmund presste ich die Hände über mein Herz, als wollte es zerspringen.

„Was hör ich da? Immer noch Herzschmerz."

Der Dritte im Bunde landete neben uns. Aydin war die Treppen hinuntergesprungen. Er grinste breit und zog mich am hellbraunen Pferdeschwanz.

„Einen Sommerflirt vergisst man nicht so leicht. Und jetzt sind wir 300 Kilometer getrennt."

Dani klopfte mir mitfühlend auf die Schulter und tröstete mich mit einem Ratschlag:

„Um einen Sommerflirt zu vergessen, hilft ein Schulflirt. Ich helf dir auch dabei. Vertrau mir."

Mit einem bitteren Lachen schüttelte ich den Kopf.

„Oh bitte nicht. Außerdem..."

Ich dämpfte die Stimme, damit nur Dani und Aydin mich hören konnten, „regnets hier nicht gerade Lesben. Ich wart dann doch lieber aufs College."

„Sei nicht so düster. Wir sind doch grad im besten Jahr unseres Lebens."

Aydins Stimme triefte vor Sarkasmus, doch Dani runzelte die Stirn.

„Gib doch nicht einfach so auf. Ich finde du solltest jemanden haben. Dann können wir auf Doppeldates gehen."

Dani strahlte und ich fühlte ein Art verfrühtes Trauma in mir aufsteigen, als ich mir vorstellte, in meiner kleinen Heimatstadt ein Date mit einer Frau zu haben. Händchen halten ging in Ordnung, das taten Mädchen doch ständig. Meine Liebste auszuführen, sie zu küssen und uns öffentlich als Paar zu zeigen, weckte Angst in mir. Die Furcht vor den Reaktionen der Menschen, die mich jetzt noch anlächelten und freundlich grüßten, wenn ich ihnen auf der Straße begegnete.

„Oh ja. Doppeldates. Ganz klar. Jeden Sonntag nach der Kirche.", murmelte ich.

Ich versuchte absichtlich nicht die Niedergeschlagenheit in meiner Stimme zu verbergen, damit Dani ihre Hetero Brille wieder abnahm.

„Genau und ich bring dann auch noch meinen Freund mit. Trippeldate.", flötete Aydin. Er umarmte in einer übertriebenen Geste sein Cap, bevor er es wieder auf seinem dunkelblondem Schopf platzierte.

„Sorry."

Dani legte den Kopf auf die hochgezogenen Knie und zupfte am Saum meiner Jeans. Ich lächelte sie an und griff ihre Hand. Meine beste Freundin seit zehn Jahren meinte es nicht böse. Stets auf meiner Seite, vergaß sie manchmal, dass mich jemand wegen der Art wie ich liebte, verachten konnte.

„Schau da. Wieso suchst du dir nicht eine von denen aus. Ich wette das funktioniert einwandfrei."

Aydin scherzte weiter und zeigte auf eine Gruppe Mädchen, die eben aus dem Haupteingang traten. Eine hübsche Bande in blauen Uniformen, ihre kurzen Röcke mit weißem Saum schwangen verführerisch beim Gehen. Riesige Schleifen zierten die hohen Pferdeschwänze.

Cheerleader. Mein Herz klopfte schneller. Vielleicht entsprach es einem Klischee auf Cheerleader zu stehen, doch ich befand mich in guter Gesellschaft. Der Hälfte der männlichen Schülerschaft fielen fast die Augen raus.

Ein Mädchen fesselte meine Blick ganz besonders. Nicht nur weil ihr dunkelbraunes Haar in der Sonne besonders schön schimmerte, sich die Uniform perfekt um ihre Brüste schmiegte und die anderen Cheerleader sich in einer Traube um sie scharrten. Wir hatten Vergangenheit, und seitdem suchte mein Blick sie wie automatisch.

Heaven Traiber, die mir mit dreizehn Jahren meinen Lolli geklaut und mir in der Art wie sie ihn lächelnd zwischen ihre Lippen geschoben hatte, bewies, dass ich mit Mädchen ein wenig mehr anfangen wollte, als mir das die Erwachsenen und Medien in meiner Kindheit weis machen wollten.

Ich riss den Blick von meiner persönlichen Aphrodite und schenkte meine Aufmerksamkeit wieder meinen Freunden.

Zumindest hatte ich über den verführerischen Anblick meinen Sommerflirt und mein gebrochenes Herz für ein paar kostbare Momente vergessen.

„Ermorden würden die mich, wenn ich sie anmache.", murmelte ich.

„Vermutlich.", stimme Aydin mir zu. Auch Dani nickte grimmig.

Von manchen Früchten sollte man die Finger lassen. Das hatte ich schon als Kind in der Sunday School gelernt, bevor meine Mutter dem Verein den Rücken kehrte. Sie zog ihr Kind den Hasspredigen vor, sagte sie mir immer. Und das Gott uns auch außerhalb der Kirche liebte.

Ein Trost für sie und unwichtig für mich. Das einzig wichtige trug ich mit mir tief in meinem Herzen. Meine Eltern liebten mich, egal welchen Weg ich im Leben wählte.


Hey, Heaven (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt