5. Kapitel

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„...Und wenn du nah genug an der Person dran bist und unter Kontrolle hast, dann kannst du ihr auch das Messer abnehmen!", erklärte mir Julian gerade. Mal wieder eine Extrastunde für mich. Dieses mal sollte ich den Nahkampf mit Waffen lernen. Klar, konnte ich eigentlich schon alles, aber ich habe es ehrlich gesagt noch nie mit echten Waffen ausprobiert und diese Aufgabe hatt jetzt Julian übernommen.

Seit gefühlten Stunden wiederholte er mit mir die Schrittfolgen, die ich in und auswendig konnte, was ich ihm natürlich auch schon erklärt hatte, aber er meinte nur das selbst die Besten immer wieder alles trainierten. Während Julian mir das sagte nahm er eine so selbstbewusste Haltung, mit erhobenen Kinn und Augenbrauen ein, das mir klar wurde wer „die Besten" sein sollten. Nämlich er selbst. Arroganter ging es doch schon gar nich mehr. Von seinem Blick wollte ich in diesem Moment gar nicht sprechen, so herablassend wie dieser war, hätte ich ihm das Messer, welches er gerade in der Hand hielt, sonst wo reinrammen können. Abercich sagte nichts und lies meine Wut an ihm aus, was mir ehrlich gesagt ziemlich recht war.

„Whoah, so aggressiv brauchst du doch jetzt auch nicht werden. Ich will gar nicht wissen wie du dann drauf bist wenn wirklich was passieren sollte!", stoppte Julian mich und fing an zu grinsen. Ich würde es ihm glatt abkaufen, aber ich wusste ja wie er drauf war. Also hatte Julian mit so was bei mir keine Chance. Doch was war mit ihm los? Erst ist er einfach nur ein Idiot der auf überdurchschnittlich tut und jetzt? Jetzt will er plötzlich mein bester Kumpel sein. Glaubt mir, das wollte ich ganz sicher nicht. Ich warf Julian einen Blick zu, der sowas wie „Echt jetzt?" ausdrücken sollte. Auf seine Spielchen hatte ich nämlich keinen Bock. Da war mir sogar Martijn lieber. Aber Julian?
Der hielt sich für was besseres, behandelte mich von oben herab und fand es wohl sehr unterhaltsam mich herumzukommandieren. Ich wusste das Martijn genau das selbe auch von mir dachte, aber das war wieder was anderes. Einfach schon weil ich ein Mädchen war. Julian war nur der Beste und Fortgeschrittenste aus seinem Jahrgang und wurde darum gebeten mich weiter in das Ausbildungsprogramm reinzubringen. Nur das ich jetzt auch das lernte was mein Dad mir „verschwiegen" hatte. Es war zwar ein bisschen unlogisch, doch wenn ich das nicht machen würde, hätte Martijn seinen Platz hier gar nicht bekommen. Und so mussten Julian und ich Überstunden schieben. Stören tat es mich wenig, das was mich störte war Julian. Vielleicht war ich es auch nicht gewohnt mit anderen Menschen zusammen zu sein. Ich hatte in Amsterdam keine öffentliche Schule besucht, sondern hatte einen Privatlehrer bekommen. Also hatte ich nie viel Kontakt zu anderen Menschen, außer zu meinem Das und meinem Lehrer. Als wir in Amerika gelebt hatten war ich im Kindergarten und in der Grundschule, weil meine Mum meinte es sei besser für mich, gerade weil ich sonst keine Kontakte schließen würde. Mum hatte so lange auf Dad eingeredet bis er schließlich nachgegeben hatte und zustimmte. Kurz nachdem ich mit der Grundschule fertig war, starb meine Mutter und Dad nahm mich so schnell wie möglich von der neuen Schule runter und sind hierher, nach Amsterdam, gezogen. Von dem einen, auf den anderen Tag saßen wir im Flugzeug und ich weiß noch wie verwirrt ich war.

„Lyra! Konzentrier dich!"

Julians Stimme drang durch meine Gedanken hindurch und ich erschreckte mich. Natürlich war ich auch sauer. Denn mit diesem Ton klang Julian genau wie mein Dad.

„Musst du jetzt auch noch wie Dad klingen? Schlimm genug das du denkst du bist ach so besonders, weil du mir helfen sollst!"

Wie man bemerkte, ich war mal wieder am ausrasten. Vielleicht sollte ich mal Anti-Aggressionstraining machen, aber ob mir das helfen sollte? Eigentlich steckte ich ja schon mitten in so einem Training drin.

„Beruhig dich mal bitte! Ich will nicht das du hier irgendjemanden abstichst, nur weil du heute ein kleines bisschen zu viel Aggression in dir rumträgst, aber das ist kein Grund das an mir auszulassen, kapiert?"

Mir wäre es ja lieber gewesen wenn Julian mich wenigstens ein bisschen angegiftet hätte, dich alles was er sagte wurde durch ein, fast schon belustigtes, Lachen begleitet. Und ehe ich selbst richtig wusste was ich tat, hatte ich ihn mit meiner freien Hand k.o. geschlagen.

Ja, ich hatte wirklich ein Problem mit anderen Leuten, besonders mit gleichaltrigen. Vielleicht sollte ich mir echt mal welche suchen mit denen ich mich auch verstand, und das wurde schwer werden. Denn die einzigen beiden die ich kannte und in meinem Alter waten, waren Martijn und Julian. Und befreundet war ich mit denen wohl kaum, eher auf Kriegsfuß. Und das würde auch noch lange so bleiben.

* * * * * * * *

Und weil ich keine öffentliche Schule besuchte, konnte ich mit meinem Lehrer ziemlich schnell einzelne Themen abschließen. Und doch hatte ich wie jeder andere auch eine lange Prüfungsphase, wenn man seinen Abschluss schaffen wollte. Ich machte mein Abitur und hatte nur noch ein paar Prüfungen die ich abarbeiten musste.
Danach hatte ich nur noch Martijns Ausbildung auf die ich mich konzentrieren konnte. Denn sonst hatte ich ziemlich wenig was ich machen konnte. Ich hatte mein halbes Leben mit dem Geheimdienst zu tun gehabt und meine Freizeit dafür aufgebraucht. Ein ziemlich tristes Leben manchmal. Denn zwischendurch wünschte ich mir einfach ein anderes Mädchen mit dem ich reden konnte. Ich hätte mir auch eins aus dem Ausbildungsprogramm aussuchen können, aber da hatte bereits den Ruf einer Zicke der man nichts recht machen konnte. Einerseits, hatte ich selbst Schuld, aber andererseits, ich sagte ich nur meine Meinung und ich war sowieso anders drauf wenn ich nur jemanden finden konnte der mich verstand und es mir nicht übel nahm wenn ich mal richtig schlecht drauf war.
Doch bis jetzt hatte ich Pech gehabt. Ich war von morgens bis abends beschäftigt. Und zwischendurch wünschte ich mir sogar einfach mal die Einkäufe zu erledigen, aber die bekamen wir nach Hause geliefert und ich hatte keine Chance nach draußen zu kommen außer wenn ich mal joggen gehen wollte.
Vor Wochen hatte ich Dad schon mal gefragt gehabt ob ich das nicht mal machen könnte, doch er sagte das ich höchstens alleine unterwegs sein konnte wenn ich neue Klamotten bräuchte. Aber diese Regelung gab es schon lange. Dad wollte einfach nicht das mir etwas passierte und manchmal hatte ich sogar das Gefühl das diese Art von, sagen wir mal „Übersorge", mit Mums Tod zusammenhing. Aber nachzufragen hatte ich mich dann doch nie getraut. Und durch diese Sorgen über mich war ich dann auch schon mal ziemlich froh darüber, wenn Dad für ein paar Tage außer Haus war, wenn er auf Termine musste, die mit dem Geheimdienst zu tun hatten. Diese fanden meistens im Hauptsitz statt, der in Zoetermeer, in Nordholland, lag. Bei uns in Amsterdam hatte der AIVD nur eine Zweigstelle. Ich liebte die Tage alleine. Ich konnte machen was ich wollte und ging dann auch mal nicht so oft zu dem Training, das ich absolvierte, um zusätzlich fit zu bleiben.
Und weil jetzt wieder so eine Zeit war in der Dad nicht da war, beschloss ich mal wieder raus zu gehen. Meine neuen Klamotten waren sowieso längst überfällig. Deshalb war ich auch kurze Zeit später zu Fuß unterwegs in die Stadt. Na gut, eine Stadt war es nicht direkt, es waren einige Straßen mit kleinen Läden und Cafés. Aber man konnte trotzdem alles finden was man fürs Leben brauchte. Und ich wollte mich endlich mal wieder wie ein normales Mädchen fühlen. Ich lief in Richtung Innenstadt und je weiter ich ging, um so mehr Menschen waren unterwegs. Und eigentlich müsste man denken das diese ganzen Menschen mich nervös machen müssten, aber komischer weise war es nicht so. Ich fühlte mich sogar ziemlich wohl und sicher. Und weil ich so in Gedanken versunken war, bemerkte ich auch erstmal nicht wer alles um mich herum unterwegs war, bis ich in jemanden reinlief und fast zu Boden gegangen wäre, wenn dieser Jemand noch so schnelle Reflexe gehabt hätte und mich davor bewahrt hätte nach hinten zu fallen. Als ich aber sehen wollte wer mich da festgehalten hatte, wäre es mir lieber gewesen jetzt mit dem Hintern auf der Straße zu sitzen. Denn als ich meinen Blick hob, um mich zu entschuldigen und um zu sehen in wen ich reingerannt war, sah ich nur ein Paar eisblaue Augen.

Fighter (Martin Garrix Fanfiktion)(Slow Updates)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt