Irgendwann biegt Jordie so scharf nach links ab, dass ich mit der Schläfe beinahe gegen die Fensterscheibe donnere. Das hohe Quietschen der Reifen klingt immer noch unangenehm in meinen Ohren nach, während wir auf einen kleinen, von hohen Wohnblocks eingekesselten Parkplatz zu fahren.
Bevor sie jedoch, wie von mir erwartet, parkt, hält sie plötzlich an. »Also, ich lass dich hier mal raus, hab gleich Schichtende.« Toll, Jordie stellt mich also irgendwo im Nirgendwo ab, wie irgendein durchgesessenes Sofa, das keiner mehr will. Etwas mehr habe ich schon von ihr erwartet, wie ich mir eingestehen muss.
Doch bevor ich enttäuscht aussteigen kann, drückt sie mir auf einmal einen von unzähligen kitschigen Anhängern gespickten Schlüsselbund in die Hand. »Mein Apartment ist Siebzehn D, wenn du durch die Tür da gehst...«, sie deutet auf einen unscheinbaren Hintereingang auf zwei Uhr, »... kommst du ins richtige Treppenhaus. Der Fahrstuhl sieht übrigens ranziger aus als er ist, versprochen. Ist erst kürzlich gewartet worden.«
Jetzt bin ich völlig verwirrt. Irritiert drehe ich langsam meinen Kopf in ihre Richtung und frage: »Und was soll ich da machen?« Sie lacht und schnipst mir gegen die Stirn, was einen kribbelnden Schmerz an der Stelle hervorruft. »Du sollst hochgehen und auf mich warten, du Genie! Nach dem Scheiß-Tag heute hast du dir 'ne Schulter verdient, an der du dich über diesen Volltrottel von Ex-Mann ausheulen darfst, wir kriegen dich schon wieder auf Kurs. Ich muss aber vorher noch den Wagen bei der Zentrale abladen. Bin in etwa zwanzig Minuten wieder da. Und jetzt steig endlich aus!«
Ich beschließe, dass es herzlich wenig Sinn ergibt, mit dieser Naturgewalt einer Frau zu diskutieren und füge mich ihrem Willen. Sobald ich ausgestiegen bin und die Tür hinter mir zugeschlagen habe, braust sie auch schon davon, als hätte ihr Auto statt eines normalen Motors einen Raketenantrieb.
Mir fällt auf, dass mein Gepäck im Taxi geblieben ist und ich hoffe inständig, dass Jordie es mir wieder bringt und nicht im Kofferraum vergisst. Aber so wie ich den heutigen Tag einschätzen würde, schließe ich eine weitere Ladung Pech nicht aus.
Geschwächt von den heutigen Ereignissen seufze ich schwer. Ich weiß, dass ich eigentlich zusammenbrechen und völlig durchdrehen müsste. Dass dieses Gefühl alles mit sich reißender Trauer nicht einsetzen will, gibt mir zu denken. Es liegt sicher nicht daran, dass ich Eric nicht geliebt habe – oder besser gesagt, liebe – denn das ist definitiv der Fall. Egal, wie armselig er mich betrogen und hintergangen hat, solche Gefühle lassen sich nicht von einen auf den anderen Moment abstellen.
Nun stehe ich hier zwischen all den geparkten Autos und frage mich, warum ich einfach nicht weinen kann. Der wunderschöne Nachthimmel über mir scheint mich zu verspotten. Wenn ich mich jetzt in einem Film befände, würde vermutlich ein Platzregen über meinem Kopf niedergehen und die Trostlosigkeit meines Schicksals untermalen. Natürlich passiert nichts davon und die vereinzelten Sterne, die am Firmament zu sehen sind, funkeln weiterhin hämisch auf mich herunter.
Mit einem leisen Seufzen umklammere ich den Schlüsselbund, schultere meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zu der Tür, die mich ins Treppenhaus führen soll.
Nach einigem Rütteln und Ausprobieren verschiedener Schlüssel schaffe ich es schließlich aufzuschließen und die schwere Metalltür zu öffnen. Mit einem vernehmlichen Rums fällt sie hinter mir zu.
Den Fahrstuhl, von dem Jordie gesprochen hat, muss ich gar nicht lange suchen. Ich stehe in einem relativ beengenden, schmucklosenTreppenhaus. Etwa zwei Meter entfernt leuchten mir die knallroten Türen entgegen, bei denen bereits der völlig zerkratzte Lack absplittert. Sie hatte definitiv recht als sie meinte, er wäre ranzig. Hoffentlich stimmt das, was sie außerdem gesagt hat, ebenfalls – nämlich, dass er nicht so schlimm ist, wie es der Schein vermuten lässt.
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Nachtluft
RomanceOPEN NOVELLA CONTEST 2021 - SHORTLIST Callah liebt Eric. Sie legt ihm ihr Herz in die Hände und heiratet ihn in dem Glauben, auch seines zu besitzen. Doch als die junge Grafik-Designerin eines Nachts als Überraschung in seinem Hotelzimmer aufkreuzt...