• ZWANZIG •

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»H-hat er irgendwas gesagt? Wo er hinwill?«, stammele ich. Meine Nachbarin schüttelt bedauernd den Kopf. »Leider nein, meine Liebe. Er hat nicht gerade glücklich ausgesehen, das konnte ich noch erkennen.«

Wie betäubt bedanke ich mich bei ihr, dann gehe ich zurück in meine Wohnung und wähle Jordies Nummer. »Und, wie ist es gelaufen?«, geht sie prompt euphorisch ran. Im Hintergrund höre ich lauten Verkehrslärm, was wohl den Schluss nahelegt, dass sie sich gerade wieder im Dienst befindet. Unwillkürlich beschleicht mich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihre Pause vorhin mit meinem Gequatsche vergeudet habe.

»Er ist weg«, murmle ich mir rauer Stimme. Schweigen am anderen Ende. Dann feuert die in rasantem Stakkato eine Frage nach der anderen ab.

»Wie, ›Er ist weg‹?! Was soll das denn heißen? Hast du mit ihm geredet? Was hat er gesagt? Wieso –«

»Unsere Nachbarin soll ihn mit einer Reisetasche weggehen gesehen haben«, unterbreche ich ihren Redeschwall. Jordie schnaubt verärgert. »Schöne Scheiße.«

»Du sagst es«, stimme ich schwach zu. »Ich schätze, ich muss warten, bis er wieder zurück kommt, wenn ich persönlich mit ihm reden will. Ein Anruf wäre vielleicht nicht ganz angemessen, außerdem weiß ich gar nicht, ob er überhaupt rangehen wür –«

»Den Teufel wirst du tun, wir holen dein Schatzi schon ein!« Plötzlich höre ich das laute Quietschen von Reifen auf Asphalt und eine Stimme im Hintergrund ruft: »Moment, was tun Sie da?!«

»Wir, mein Freund, machen eine kleine Spritztour!«, ruft Jordie dem Ursprung besagter Stimme zu. Oh, Gott, sie wird doch nicht...

»Aber ich muss doch zu –«

»Alles zu seiner Zeit... wie war nochmal Ihr Name?«

»Ähm, Ed.«

»Ed, genau. Also, Sie kommen schon noch zu dieser Patisserie, keine Sorge. Und der ganze Spaß wird Sie auch nichts kosten, wegen der Umstände und so – also, machen Sie sich endlich locker!«

»Aber –«

»Im Ernst jetzt, Ed, wollen Sie dafür verantwortlich sein, dass meine Freundin hier ihrer Liebe nicht sagen kann, dass... naja, dass er ihre Liebe ist? Nein? Das dachte ich mir fast. Und jetzt hören Sie schon auf, so herumzustottern, das Gebäck wird Ihnen nicht davonrennen.«

Gestresst verberge ich die Augen hinter meiner Hand. »Jordie, lass das! Ich will nicht, dass du wegen mir deinen Job verlierst!«, flehe ich, doch sie schnaubt lediglich. »Pff, wird schon nicht passieren. Stimmt's, Ed?«

»N-nein, also, wenn ich wirklich nicht zahlen muss...«

»Sehr schön. Siehst du, Callah? Alles im Lot.«

Ich richte meine Augen verzweifelt zur Decke, weiß aber nicht, was ich dort suche. Gott, der mir beisteht, vielleicht?

»Also, in fünf Minuten bin ich bei dir, sei am besten schon unten. Bye!«

Bevor ich widersprechen kann, ertönt bereits das Freizeichen. Frustriert stöhne ich auf, schlüpfe dennoch in eine Jacke und meine Sportschuhe. Jordie ist eine verdammte Naturgewalt, Widerstand ist da komplett zwecklos. Außerdem muss ich zugeben, dass da tatsächlich diese irrwitzige Hoffnung in mir ist, dass ich Auden noch erwischen kann, bevor er verreist.

Unten angekommen postiere ich mich an der Stelle, wo sie mich das allererste Mal, nämlich am Tag unseres Kennenlernens, abgesetzt hat. Ich muss nicht lange warten – einige Augenblicke später schießt ein Taxi um die Ecke und kommt schließlich ruckelnd vor mir zum Stehen.

Der Sitz auf der Beifahrerseite ist mit leeren Fastfood-Schachteln und sonstigem Müll bedeckt, sodass ich die Rückbank anpeile.

Als ich nervös die hintere Tür öffne, blinzelt mir ein schmächtiger Mann mittleren Alters mit Halbglatze entgegen. Ihm steht der Schweiß auf der Stirn und er klammert sich ängstlich an seinem Sicherheitsgurt fest. »Sind Sie sicher, dass Sie einsteigen wollen?«, fragt er mit dünner Stimme. Ich kann es ihm nicht verdenken, Jodies Fahrstil ist selbst an guten Tagen reichlich halsbrecherisch.

NachtluftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt