»Eric hätte es verdient.«
Auden und ich sitzen auf meinen Sofa, während irgendein Dokumentarfilm über das Donau-Delta auf dem Fernseher vor sich hin flimmert. Mein Kopf liegt auf seiner Schulter und sein Arm um meine Taille.
»Was meinst du?«, fragt er und löst sich von mir, um mich ansehen zu können. Ich räuspere mich und antworte leise: »Du sagtest vorhin, dass du dich nicht mit ihm prügeln wirst. Ich meinte, dass er es verdient hätte, eine aufs Maul zu bekommen.«
Er nickt langsam. »Das stimmt. Ich wollte mich nicht auf dieses Niveau herablassen. Außerdem konnte ich dir deutlich anmerken, wie sehr dich diese Situation zerreißt, deshalb war mir einfach nur wichtig, dass er verschwindet.« Er schluckt. »Es tut mir wirklich leid, was da passiert ist, Callah. So sollte keiner behandelt werden.«
Ich seufze tief. »Danke, dass du für mich da warst... da bist. Das bedeutet mir viel.« Als ich mich wieder an seiner Schulter anlehne, gibt Auden mir einen Kuss auf den Scheitel. Mein Herz zieht sich zusammen wie eine Trockenpflaume, was mich schmerzhaft daran erinnert, dass ich mich eigentlich von ihm distanzieren wollte. Doch ich kann gerade einfach nicht allein sein und seine Gegenwart tut mir unglaublich gut. Ich freue mich sehr, dass er da ist – auch, wenn ich das vermutlich nicht tun sollte.
Aus irgendeinem Grund schäme ich mich dafür, dass Auden diese Szene mitbekommen hat. Ich kann nicht genau den Finger darauf legen, warum. Aber der Gedanke daran, wie abscheulich Eric sich benommen hat, verursacht mir Übelkeit. Und die Tatsache, dass Auden all das mitangesehen hat, macht es kein Stück besser.
Plötzlich liegt seine Hand auf meinem Gesicht und sein Daumen massiert federleicht die Stelle zwischen meinen Augenbrauen. »Du tust es schon wieder«, murmelt er jetzt. »Äh, was denn?«, stammele ich verdattert. »Immer, wenn du grübelst, kriegst du so eine steile Falte dort.«
Ein heißes und zugleich prickelndes Gefühl flutet meine Magengegend – das ist wohl allgemein als ›Schmetterlinge im Bauch‹ bekannt. Das ist schlecht, so richtig schlecht. Ich darf keine Schmetterlinge im Bauch wegen Auden Rivers haben!
»Kann sein«, murmle ich mit brennenden Wangen und rücke ein kleines Stück von ihm ab. Ihm entgeht dies nicht und ich sehe, wie er mir einen verwirrten Seitenblick zuwirft. Doch er kommentiert das nicht weiter.
Eine Weile schauen wir beide schweigend auf das Naturgeschehen im Fernseher. Irgendwann räuspert sich Auden neben mir und dreht den Kopf in meine Richtung. Ich spüre, dass er mich ansieht, also drehe ich mich ebenfalls zur Seite. Unsere Blicke begegnen sich und haften aneinander, als wären sie magnetisch. Wie auf Knopfdruck setzt das altbekannte Ziehen in meiner Magengegend wieder ein und ich würde am liebsten vor Frust schreien.
Er scheint etwas sagen zu wollen, doch ringt mit sich. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es etwas wichtiges sein könnte und das macht mich nervös.
Sein Mund öffnet und schließt sich wieder, ohne dass ein Laut herauskommt. Schließlich gibt er sich trotzdem einen Ruck. »Callah... mir geht da was im Kopf rum, an das ich in letzter Zeit oft denken muss. Ich weiß, dass das hier definitiv nicht der passende Moment ist und es tut mir leid.«
»Das klingt verdammt ernst«, erwidere ich vorsichtig. Die Nervosität in mir ist nach seinen Worten deutlich angestiegen. Ich fürchte mich vor dem, was er mir zu sagen hat.
Jetzt ist er derjenige, der von mir abrückt. Auden vergräbt kurz das Gesicht in den Händen und stützt anschließend müde die Ellenbogen auf den Knien ab. Er lässt den Kopf zwischen seinen Schultern hängen und seufzt.
»Bevor ich dir sage, was ich zu sagen habe, muss ich dir noch etwas anderes erzählen.«
»Okay«, murmle ich gedehnt und beginne, mir nervös den dunklen Lack von den Nägeln zu pulen.
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Nachtluft
RomanceOPEN NOVELLA CONTEST 2021 - SHORTLIST Callah liebt Eric. Sie legt ihm ihr Herz in die Hände und heiratet ihn in dem Glauben, auch seines zu besitzen. Doch als die junge Grafik-Designerin eines Nachts als Überraschung in seinem Hotelzimmer aufkreuzt...