10. August X742
„Das ist ein schönes Boot, nur eine Sache stört mich, es ist kaputt."
War es das Karma, welches ihn gerade einholte oder hatte er einfach nur mal wieder Pech?
Klitschnass starrte Auron den jungen Mann vor sich an.
Er wirkte, als wäre er Anfang seiner Zwanziger.
Die strahlend grünen Augen hatten einen fast schon unechten Farbton, der bei seiner dunklen Haut und den ebenso dunklen Haaren nur noch mehr herausstach.
Ein Labret-Pircing aus Silber war unter seiner Lippe platziert und auch seine Ohren waren über und über mit Ohrringen, einem Helix und anderen Piercings behangen.
Eine rosige Narbe, die sich quer über sein Gesicht zog, war ebenfalls eines der auffallenden Merkmale, die einem direkt ins Auge sprangen.Auron wusste nicht einmal genau, wie er in dieser Situation gelandet war. Irgendwie war es ihm klar gewesen, dass nicht alles nach Plan laufen konnte. Aber dass er ausgerechnet eines der wenigen demolierten Boote stehlen würde, welches dann erst am Ende der Bucht, wo die Wellen höher wurden, zu sinken begann, war dann doch etwas zu viel des schlechten.
Zum Glück war Noomi, wie sich der junge Fischer vorgestellt hatte, in der Nähe gewesen und hatte Auron kurzer Hand in sein Boot gezogen und somit vor dem ertrinken gerettet.
Denn der Sechzehnjährige war nicht gerade der beste Schwimmer.
So oft er konnte, hatte er das Wasser gemieden. War jeglichen Situationen so gut es ging aus dem Weg gegangen, in denen er hätte Schwimmen müssen.
Ob es nun an der Unwissenheit lag, was genau sich gerade unter ihm befand, was zu einer panischen Angst vor blutrünstigen riesen Haien oder anderen bizarreren Meeresungeheuern, die ihn ja jederzeit von unten angreifen könnten führte, wenn er in offenen Gewässern schwamm oder einfach nur dieses plötzliche Gefühl der Kälte, welches jedes Mal aufs Neue auftrat, wenn man ins Meer ging und an welches er sich beim besten Willen nicht gewöhnen konnte, wusste er nicht.
Er mochte es einfach nur nicht zu schwimmen und dieser Fakt, hatte ihm des Öfteren so einige Diskussionen mit seinen Großeltern eingebracht, die ab und zu mal einen schönen Familientag am Wasser verbringen wollten.
Erneut fuhr ihm ein Stich durch's Herz.„Hm. Hast du eine Ahnung was da los ist? Warum stehen da so viele Leute am Steg?", fragte Noomi auf einmal und riss Auron somit aus den Gedanken.
Tatsächlich standen am Hafen ungewöhnlich viele Menschen. Man erkannte zwar aufgrund der Entfernung nicht alle Details, aber was sicher war, war dass diese Menschenmenge definitiv ungewöhnlich war.
Nervös strich sich Auron seine Dreadlocks zurück, nur um seine Hände hinterher ineinander zu verschränken.
Er wusste genau wer diese Menschen waren. Inzwischen war genügend Zeit vergangen, dass jeder in der näheren Umgebung um sein Haus herum Bescheid wissen sollte, was geschehen war... nun ja, zumindest die Sichtweise seines Nachbars auf die Geschehnisse.Zitternd schrumpfte er in sich zusammen. Er war mit seinen Nerven am Ende. Alles lief schief.
Das Zittern verstärkte sich, sein Herz schlug ihm bis in den Hals und ihm wurde gleichzeitig heiß und kalt als ihm erneut Tränen in die Augen stiegen.Etwas hilflos beobachtete Noomi die Reaktion seines Gegenübers. Er war noch nie sonderlich gut im Umgang mit emotionalen Menschen... oder -wenn er so darüber nachdachte- generell mit Menschen gewesen. Die Gedankengänge seines Gegenübers erschlossen sich ihm meistens erst viel zu spät, was nicht selten dazu führte, dass er einen falschen Schluss zog und genau das falsche sagte.
„Hast wohl etwas angestellt, hm?"Langsam nickte Auron, er war noch immer nicht ganz auf der Höhe. Generell war er eigentlich niemand, der in jeder Situation weinte. Aber das hier gerade, war nicht einfach irgendeine blöd gelaufene Situation. Das alles hier, war viel größer und das machte ihm Angst.
„Hm. Ich schätze, du möchtest gerade nicht dorthin? So wie die schreien, scheinen die ziemlich wütend zu sein."
Überlegend zog Noomi die Augenbrauen zusammen und sah in Richtung des Hafens.Wieder nickte Auron. Er ging davon aus, dass Noomi noch nichts von den Ereignissen wusste, was ihm dann doch ein Stück seiner Sicherheit zurück gab.
Lächelnd wandte sich der Fischer wieder seinem Gegenüber zu.
„Na dann. Wo möchtest du hin? Ich kann dich ein Stück mitnehmen."Überrascht hob Auron seinen Blick. Noomi schien zwar ganz nett zu sein, aber mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet.
„Bist du dir sicher? Die anderen werden..."„Psssssscht."
Mit einem hoch zeigenden Zeigefinger vor seinem Mund, bedeutete Noomi ihm still zu sein, ehe er eines dieser verschmitzten Grinsen aufsetzte, die nur einem Unruhestifter zustanden.
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass mich das juckt, was die von mir denken, oder?"
Sein Grinsen wurde breiter.
„So lange du dich nicht erwischen lässt, kannst du alles machen.
Wir sehen die da hinten nicht einmal richtig, was denkst du sehen die von zwei Jugendlichen auf einem kleinen Boot?"Da Noomi tatsächlich auf eine Antwort zu warten schien, antwortete Auron leise, aber mit deutlich mehr Sicherheit in der Stimme: „Nicht viel. Nur ein Fischerboot mit zwei Leuten."
„Richtig! Du hast es kapiert, gut."
Gut gelaunt wie er war, beugte sich der ältere ein Stück vor und klopfte Auron spielerisch, aber bedacht darauf ihn nicht zu verletzen, gegen die Stirn.
„Hach ja, das ganze wirkt gerade so aufregend! Mein Tag ist gerettet! Also sag, wo willst du hin?"„Ich... glaube Delphi ist nicht allzu weit entfernt, oder?"
Wieder einmal senkte sich Auron's Blick. Inzwischen hatten seine Hände voneinander abgelassen und spielten nervös mit dem Saum seines weiterhin nassen Oberteils.„Okay! Na dann auf nach Delphi!"
Noomi legte seine Hände wie ein Megaphon vor seinem Mund zusammen und entgegen Auron's Erwartung, er würde nun irgendetwas schreien, flüsterte er bloß ein „Yey" und lachte dann leise, während er die Ruder hervor holte und den Kurs in Richtung Delphi setzte.Die gesamte Fahrt über wechselten sie keine Worte miteinander. Auron hing seinen Gedanken nach, während Noomi irgendwann damit begann Lieder zu singen, deren Texte er nicht vollständig kannte, weshalb er ab und zu die fehlenden Passagen durch ein Summen oder Pfeifen ersetzte.
»Eine Frohnatur durch und durch, huh?«
Gebannt lauschte Auron den manchmal nicht ganz so perfekt getroffenen Tönen und tatsächlich schaffte Noomi es, ihm ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zaubern.[1026]
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Der Orden der Streuner
Fantasy»Diese Krankheit breitet sich aus. Unsere Gesellschaft, fast vollständig durch ihre eigenen Vorurteile infiziert, die Stunde für Stunde ihre Herzen verhärten.« Tyrannei, Vorurteile, Verrat, kalte Distanz und mittendrin Auron, der Sohn zweier -zu Tod...