1 |Ein Licht in der Dunkelheit

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20. September X736

Der Tod hatte viele Fassetten.
Manche meinten man würde in den Himmel kommen und für immer bei den Engeln oder als Blume im Garten Gottes verweilen.
Andere sagten man würde in das ewige Reich geschickt und wäre dort schließlich vollkommen seiner Fantasie überlassen; Von Wahrnehmungen und Wünschen umgeben - In der Lage versäumte Ziele nachträglich erreichen zu können.
Wiederum andere beharrten jedoch darauf, dass man auf ewig in der Hölle schmoren würde und dem einen Wesen -dem Teufel ähnlich- zum Opfer fiele - Verdammt dazu, ewige Qualen der Folter zu durchleben.
Keine dieser Optionen wollte ihm so wirklich gefallen und doch würde er selbst am eigenen Leib erfahren müssen, welche nun der Wahrheit entsprach, wenn er seinen Verfolger nicht abschütteln könnte.

Ein Kind sollte nicht so denken. Nicht in seinem Alter. Doch Auron war schlau. Schlauer als jeder Erwachsene es von einem Zehnjährigen erwarten würde.
Und möglicherweise war dies auch der Grund, der ihn dazu trieb, bereits über den Tod zu philosophieren.

Er hatte den Hass immer als Krankheit angesehen. Eine Krankheit, die sich in seinem Umfeld wie ein Lauffeuer ausbreitete und jeden verschlang, der nicht stark genug war dem entgegenzuwirken. Doch Auron konnte es den Betroffenen nicht einmal übel nehmen, denn er selbst befand sich in den Fängen selbiger Krankheit. Er hatte bereits Bekanntschaft mit dieser korrupten Welt gemacht und kannte seine Bewohner nur zu gut. Schon früh hatte er begriffen, dass sie ihn nicht Teil von ebenjener Welt werden lassen wollten.
Dennoch war er selbst infiziert. Es benebelte seine Sinne und setzte ihm Scheuklappen auf, die ihn jene schönen Dinge übersehen ließen.
So war es kein Wunder, dass sein eigenes Leben ihm niemals wichtig gewesen war ... und doch rannte er. Rannte wie ein Wahnsinniger durch die Straßen des Stadtzentrums.

Er bangte bloß um sein Leben, da die Entscheidung, wann es enden würde, nicht an ihm lag.
Aurons Gedanken waren bei seinen Großeltern, die ihn aufgezogen hatten und denen er am Herzen lag. Sie waren der Grund, dass er nicht gänzlich den Empfindungen verfiel. Die Mühen die sie für ihn auf sich nahmen waren es, die ihn dazu brachten Problemen aus dem Weg zu gehen und bisher hatte er sich auch gut daran gehalten.
Die Tat eines anderen hatte dazu geführt, dass er sich nun in der jetzigen Situation befand. Er selbst war lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und hatte die falsche Abstammung gehabt.

Seine Lungen brannten und seine kurzen Beine schienen wie betäubt. Lange würde er sein Tempo nicht mehr halten können und dann würde sein Verfolger ihn -trotz seines schwerfälligen Ganges- einholen.
Aurons Herz schien ihm beinahe schon aus der Brust zu springen und schrie nach Antworten und Vergeltung. Wut, Enttäuschung und Angst waren die ständigen Begleiter seiner Schritte und die Monster des Straßenrandes lechzten nach seinem brennenden Körper. Immer wieder loderte jene Flamme der Verzweiflung auf, sobald er eine der vielen Personen aus dem Weg stieß.

Egal was er sagen würde, sein Wort war unglaubwürdig. Einmal kriminell und es würde  in der Blutlinie bleiben. Seine Eltern waren ein extremer Fall gewesen und nun war es so, dass er in den Augen anderer keine andere Wahl hatte als ihren Fußstapfen zu folgen.
Die düsteren oder genugtuenden Blicke der Monster des Straßenrandes, führten ihm nur immer wieder erneut vor Augen, wie aussichtslos seine Situation eigentlich war.
Niemand würde ihm zur Hilfe kommen und vor allem würden sie es für gut heißen, ja seinen Peiniger sogar für seine Taten loben!

Verzweifelt biss der Junge die Zähne zusammen und versuchte sein Tempo noch ein wenig zu erhöhen.
Seine vom Schweiß benetzten Haare hingen ihm bereits wie ein dunkler Vorhang vor den Augen, was sein Sichtfeld nur zusätzlich einschränkte, doch er versuchte es zu ignorieren. Verzweifelt suchte er die Umgebung nach einem Ausweg ab, ging seine Erinnerungen durch. Eine ihm bekannte Seitenstraße wäre nun perfekt.
Der Slum, seine Heimat, war noch zu weit entfernt und es wäre töricht in seiner jetzigen Lage gerade dorthin zu wollen.

Der Orden der Streuner  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt