Kapitel 8

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Jon

Lucia und die Zwillinge waren abends noch zu mir gekommen und wir waren alle zusammen vor dem Fernseher eingeschlafen. Ich wachte um kurz nach Mitternacht auf und beschloss, wenigstens meine Schwestern noch in ihre eigenen Betten zu verfrachten, damit ich zumindest ein bisschen Platz beim Schlafen hatte. Lucia ließ ich schlafen, schließlich war das nicht das erste Mal, dass wir uns ein Bett teilten. 

Ich kroch zurück unter die Bettdecke und schnappte mir mein Handy. Ich war zu aufgeregt, um zu schlafen. Ich würde zwar erst später erfahren, wer mein Mate sein würde, aber meine Gedanken kreisten ununterbrochen. Würde er in meinem Rudel sein? Oder in unserem Nachbarrudel? Ich hoffte es. Mich erst noch auf eine monatelange Suche über den ganzen Globus zu begeben, stellte ich mir schrecklich vor. Dieses ungestillte Verlangen nach einer unbekannten Person konnte Wölfe verrückt machen. Der innere Wolf wollte den Mate so schnell wie möglich markieren, und, falls der Mate ebenfalls ein Alpha war, genauso sehr selbst markiert werden. Dafür biss man den Mate beim Geschlechtsverkehr in den Nacken. Die Narbe des Bisses würde später kaum noch zu sehen sein, jedoch erkannten andere Wölfe direkt am Geruch, dass man miteinander verbunden war.

Es war uns Wölfen auch noch möglich, einen sogenannten Seelenbund einzugehen. Dabei musste man sich bei Vollmond, wenn der innere Wolf vollkommen die Kontrolle hatte, erneut in Wolfsform in den Nacken beißen. Dieser Prozess soll sehr schmerzhaft sein, da ein Wolfsgebiss natürlich deutlich gefährlicher war als ein paar spitze Eckzähne. Ebenso konnte sich der menschliche Teil des Wolfes dann nicht mehr in den Vorgang einmischen, da Werwölfe an Vollmond jegliche Kontrolle an den inneren Wolf verloren und sich auch nicht zurück verwandeln konnten, bis am nächsten Morgen die Sonne aufging.

Es gingen nur wenige Wölfe einen Seelenbund ein, da dabei wirklich alles offen gelegt wurde. Man teilte seine Gedanken mit seinem Partner, man spürte jegliche Emotionen und auch körperlichen Schmerz, wenn einer der Beiden beispielsweise verwundet wurde. Ebenso konnte man sich aber auch gegenseitig Schmerz abnehmen, Kraft übertragen oder die Gedanken beeinflussen. Mit viel Übung war es auch möglich, den Mate von der eigenen Gedankenwelt abzuschirmen.

Während ich also an meinem Handy spielend vor mich hin dämmerte, flackerten mir immer wieder die Augen zu. Ich träumte von einer unendlich langen Reise. Lucia war an meiner Seite und wir liefen von Rudel zu Rudel, da ich meinen Mate nicht finden konnte. In meinem Traum kehrte ich nach über zwei Jahren der Suche erfolglos zu meinem Rudel zurück und fand mich mit dem Gedanken ab, niemals meinen Mate zu finden. Dadurch fühlte ich mich allerdings auch nicht in der Lage, das Rudel anzuführen, sodass ich meine Pflichten immer mehr vernachlässigte.

Ich schreckte auf und fuhr mir mit den Händen über meine schweißnassen Haare. Ich warf einen Blick auf mein Handy, welches beim Schlaf unter meine Bettdecke gerutscht war. Es war erst kurz nach sechs Uhr am Morgen. Stöhnend ließ ich mich nach hinten in mein Kissen fallen, rollte mich aber sofort zur Seite und schwang die Füße über die Bettkante. Nach diesem Traum würde ich ganz sicher nicht nochmal einschlafen können. Nur in T-Shirt und Boxershorts verließ ich mein Zimmer, ging runter zur Terrassentür und verwandelte mich, nachdem ich meine Kleidung draußen sicher verstaut hatte. Ich musste jetzt einfach den Kopf frei bekommen, und das ging am besten bei einem schnellen Lauf durch den Wald.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon unterwegs war, doch langsam bekam ich Hunger. Ich hatte zwar unterwegs eine verletzte Maus gefunden, der ich den Garaus machte, jedoch vermochte diese Maus nicht meinen morgendlichen Appetit zu stillen. Ich schlug also langsam trabend den Heimweg ein, bis ich nach einiger Zeit den Geruch von Lucia wahrnahm. Und tatsächlich, da kam sie auf mich zu galoppiert. Hechelnd bremste sie vor mir ab. Sie schien völlig fertig mit der Welt zu sein. Nach einer kurzen Verschnaufpause verwandelte sie sich in ihre menschliche Gestalt und bäumte sich vor mir auf. 

"Was fällt dir ein, uns allen an diesem Tag so einen Schrecken einzujagen! Da verspreche ich deiner Mutter hoch und heilig, auf dich aufzupassen, und als ich wach werde, bist du nicht mehr da! Man Jonathan, es ist gleich 11 Uhr!", faltete Lucia mich mit lauter Stimme zusammen. "Wir werden jetzt sofort zurück nach Hause laufen. Und dann wirst du dich mit mir einschließen, bis wir gemeinsam zur Feier aufbrechen." Etwas atemlos verwandelte sie sich zurück in den Wolf, bevor sie mir spielerisch in die Seite zwickte und wir nebeneinander her weiter Richtung Heimat liefen. 

Plötzlich spürte ich, wie sich mein Inneres zusammenzog. Ich blieb stehen und reckte meine Schnauze in die Luft. Bevor ich realisierte, was ich tat, nahm ich eine Witterung auf und rannte davon. Lucia nahm sofort die Verfolgung auf und versuchte immer wieder, mich beim Laufen in die Hinterbeine zu beißen, doch ich wich ihr instinktiv aus. Ich konnte nicht steuern, woher ich lief und wusste auch nicht, was mein Ziel war. Mein Wolf hatte völlig die Kontrolle übernommen.

Schlitternd kam ich schließlich vor einem großen Haus zu stehen, wo auch Lucia mich wieder einholte. Sie stellte sich bedrohlich vor mich, doch ich hatte nur den wunderbaren Duft eines anderen Wolfes in der Nase. Ich ignorierte Lucia einfach und schlich mich in Richtung eines der Kellerfenster, als plötzlich Lucia auf meinen Rücken sprang und mir seitlich in die Kehle biss. Das brachte mich wieder zur Besinnung.

Was tat ich hier? Ich taumelte rückwärts, weg von dem fremden Haus und dem betörenden Geruch. Mit einem letzten Blick auf meine Begleitung rannte ich wieder Richtung Wald, zurück nach Hause. 

Alpha Loverboy?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt