Kapitel 9

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Jon

Zu Hause angekommen beeilte ich mich, mir wenigstens meine Boxershorts noch überzuziehen, bevor ich mit gesenktem Kopf durch das Haus hoch in mein Zimmer stürmte. Ich konnte mir die Vorwürfe von Lucia jetzt nicht anhören, hatte ich doch genug mit mir selber zu tun. 

Ich wusste, dass in dem Haus mein Mate wohnen musste, aber ich wusste nicht, wem das Haus gehörte. Ich hatte es mir nicht einmal genau angesehen, da ich so von dem Duft meines Mates beeindruckt war. 

Ich hörte, wie jemand die Treppen hinauftrampelte und kurz darauf ein vorsichtiges Klopfen an meiner Tür. "Es ist offen.", murmelte ich nur, während ich mich auf meine Bettkante hockte. Ich vergrub beide Hände in meinen Haaren und schüttelte immer wieder den Kopf.

Doch statt der erwarteten Standpauke merkte ich nur, wie sich zwei Arme um mich schlangen. Dies gab mir ein Gefühl der Geborgenheit und das erste Mal, seit einer Weile, heulte ich los. Ich ließ mich völlig fallen und alle Anspannung wich aus meinem Körper, sodass ich bald mit meinem Kopf bei meiner Beta auf dem Schoß lag. Diese streichelte mir nur beruhigend durch die Haare, während meine Tränen ihre Hose durchnässten. Ich zitterte wie Espenlaub, was sicherlich einerseits an meiner mangelnden Bekleidung lag, andererseits aber auch an meiner Verfassung. 

Nach einigen Minuten versiegten die Tränen und ich konnte wieder einen klaren Gedanken fassen. Ich setzte mich auf und versuchte mich an einem dankenden Lächeln, doch Lucia drückte nur meine Hand und reichte mir eine Packung Taschentücher.

"Deine Eltern haben dich gerade gesehen. Ich habe ihnen noch nichts erzählt.", murmelte Lucia vorsichtig.

"Ja. Danke. Ich, ähm, werde dann mal runter gehen und alles erklären.", räusperte ich mich und war schon dabei aufzustehen.

"Das ist nicht nötig. Die beiden wissen selber zu gut, wie man sich an diesem besonderen Tag fühlt. Sie haben mir noch hinterher gerufen, dass du dir die Zeit nehmen sollst, die du brauchst, also mach dir keine Sorgen.", beruhigte sie mich aber direkt und zog mich am Arm wieder aufs Bett.

"Weißt du, wer es ist?", fragte Lucia bedächtig nach, doch ich schüttelte nur den Kopf. "Dann gehst du jetzt erst einmal in Ruhe duschen und ziehst dir etwas an. Ich mache uns in der Zeit etwas zu essen."

Ich seufzte einmal und stand dann auf, um mir frische Kleidung aus dem Schrank zu ziehen. Jetzt reichte erst noch eine Jogginghose und ein einfaches T-Shirt, ich würde mich erst später schick machen müssen. Damit ging ich dann ins Badezimmer und stellte das Wasser schon mal warm, während ich mir die Boxershorts auszog und in den Wäschekorb warf. Nach einem kurzen Test, ob das Wasser eine angenehme Temperatur hatte, begab ich mich mit dem ganzen Körper unter die Brause und zog die Tür hinter mir zu. Ich ließ meine Stirn gegen die kühlenden Fliesen fallen und dachte erneut über das eben Geschehene nach. Ich verfolgte geistig den Weg, den ich gerannt war, und kam dann zu dem Entschluss, dass sich das Haus definitiv außerhalb unseres Einzugsgebiets befunden hatte. Das hieß also zum einen, dass es wohl jemand aus unserem Nachbarrudel sein musste und zum anderen, dass ich mich nicht auf eine monatelange, ja vielleicht sogar jahrelange Suche nach meinem Mate begeben musste. 

Mit dem Gedanken im Kopf begann ich, mich einzuseifen. Wenn ich mir hier noch länger den Kopf zermarterte, würde ich niemals wieder die Dusche verlassen.

Ich stellte das Wasser ab, nachdem ich mir den ganzen Schaum vom Körper gewaschen hatte, und wickelte mir das Handtuch um die Hüften, welches neben dem Waschbecken lag. Mit einem weiteren kleinen Handtuch rubbelte ich mir etwas die Haare trocken. Den Blick in den Spiegel mied ich gewiss, da ich mir im Moment nicht selber in die Augen sehen wollte. Nach der kurzen Nacht und dem kleinen Unfall eben wollte ich mir gar nicht vorstellen, wie fertig ich aussehen musste. Ich putzte mir lediglich kurz die Zähne, trocknete mich dann fertig ab und zog mir die eben ausgesuchte Kleidung über den Körper.

Als ich zurück in mein Zimmer kam, saß Lucia kauend auf meinem Bett. "Sorry, aber ich hatte so einen Hunger, ich konnte nicht auf dich warten." "Schon okay, ich habe eh nicht so viel Appetit." Und das stimmte, mir war der Hunger vergangen. Ich hoffte nur, dass meinen kleinen Ausrutscher niemand mitbekommen hatte, abgesehen von meiner Familie.

"Jetzt scheiß dir mal nicht ins Hemd! Selbst die Menschen wissen, dass wir an unserem 17. Geburtstag nicht unbedingt wir selber sind. Also wird auch von dir keiner etwas negatives denken, mal ganz davon abgesehen, dass wir, soweit ich weiß, auch von niemandem gesehen wurden. Und jetzt iss bitte etwas, du warst knappe fünf Stunden im Wald unterwegs!" 

Da war sie also doch, die befürchtete Standpauke, jedoch hatte sie mir nicht das an den Kopf geworfen, was ich erst vermutet hatte. Nämlich, dass mein Verhalten unter aller Sau gewesen war und was mir denn einfiele, einfach so in fremde Gärten einzubrechen.

Ich nahm mir also doch zögerlich einen Toast und kleckste etwas Honig darauf. Während ich abbiss, kam mir wieder in den Sinn, was Lucia vorhin gefragt hatte. Ob ich ihn kennen würde. Wusste sie etwa mehr als ich?

"Lucia, weißt du etwa, wer in dem Haus wohnt?", fragte ich argwöhnisch nach. Ertappt sah sie mich an, straffte aber dann die Schultern. "Ja." Ihr Ernst? Ich knurrte sie an, was sie jedoch nicht wirklich beeindruckte. "Es ist jemand aus unserem Nachbarrudel." Danke Sherlock, auf die Idee war ich auch schon gekommen. "Muss ich dir jetzt alles aus der Nase ziehen?", schnaubte ich.

"Es ist Nicholas, Jon. Der Wolf, den wir gestern im Wald getroffen haben. Der zukünftige Alpha."

Diese simple Aussage traf mich wie ein Schlag ins Gesicht, während Lucia fortfuhr. "Zumindest weiß ich nur von Nicholas. Der hat zwar einen älteren Bruder, aber der hat das Rudel bereits vor einigen Jahren verlassen, und ist mit seiner Mate zu ihrem Rudel gegangen. Und sonst wohnen dort nur noch seine Eltern."

Mein Kopf wiederholte immer diese eine Frage. 'Wie soll das funktionieren?' Ich wusste es nicht. Ich hätte niemals damit gerechnet, einen mir ebenbürtigen Partner zu bekommen. Natürlich, meine Eltern waren auch beide Alphas, jedoch mit dem dezenten Unterschied, dass dort eben doch die Rollen von Natur aus besser verteilt waren. Da war es von vorn herein klar, wie die Rollenverteilung beispielsweise bei der Familienplanung aussah. Es konnte nun mal nur der Mann dafür sorgen, dass die Frau schwanger wurde. Männliche Wölfe konnten zwar in keinem Falle schwanger werden, jedoch wäre die Frage, wer die Oberhand in der Beziehung hatte, mit einem normalen Wolf direkt geklärt gewesen.

Ich kaute immer langsamer und dachte nach. Nicholas war etwas jünger als ich, was hieß, dass er noch nichts von unserer Verbindung wusste. In den meisten Fällen verliebte sich der jüngere Partner zwar sehr schnell in seinen Mate, auch wenn dieser noch nicht die gleichen Gefühle hatte wie der Partner, der schon sein 17. Lebensjahr vollendet hatte. Doch bei Nicholas? Ich hatte jetzt schon mehrfach gehört, dass er sich gerne in fremden Betten austobte. 


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Alpha Loverboy?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt